Leben

Unbekleidet durch die Welt "Das Nacktsein ist ein großer Gleichmacher"

Nackte sind nicht besser oder schlechter, nur nackt.

Nackte sind nicht besser oder schlechter, nur nackt.

(Foto: imago images/Westend61)

Ohne einen Fetzen Textil am Leib - so macht sich der Autor Marc Engelhardt auf: zum Wandern, ins Museum, auf Kreuzfahrt. Seine Reise zu den unverhüllten Kulturen der Welt führt ihn an seine Schamgrenze und darüber hinaus. Mit ntv.de sprach er darüber, wo es peinlich oder kalt war und warum es eigentlich nichts Besonderes ist, nackt zu sein.

ntv.de: Sie haben bei Ihrem Selbstversuch zahlreiche Orte nackt besucht, ein Kreuzfahrtschiff und ein Museum gehörten dazu. Wo waren Sie am liebsten nackt?

Marc Engelhardt: Ich glaube, am meisten heimisch fühle ich mich tatsächlich am Ostseestrand. Das bin ich seit meiner Kindheit gewohnt, weil ich da schon mit meinen Eltern hingefahren bin. Da hat jeder gebadet, wie er wollte, nackt oder mit Badehose. Auf meiner Reise zu den unverhüllten Kulturen dieser Welt war das Nacktfestival in Japan am faszinierendsten. Das gibt es seit mehr als 1300 Jahren. Zum neuen Jahr ziehen Tausende Männer - mehr als 9000 waren es, als ich da war - bei Schnee und Kälte nackt durch die Stadt und versuchen einen heiligen Mann zu berühren. Wenn man das schafft, hat man Glück im nächsten Jahr. Ich bin mit den anderen dem Glück hinterhergelaufen und habe sehr gefroren, aber es war ein einmaliges Erlebnis.

Was verändert sich, wenn man sich nackig macht?

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Zuerst muss man einfach über seinen Schatten springen. Es ist ja total ungewohnt und auch etwas unangenehm. Aber wenn ich beispielsweise an die Nacktkreuzfahrt denke, die ich gemacht habe, dann begegnet man Menschen tatsächlich auf einmal ganz anders. Es ist alles weg, aus dem man deuten könnte: Ist mein Gegenüber Bankdirektor oder Klempner, ist er konservativ oder progressiv? Nach diesem Tabula rasa kommt man ganz schnell ins Gespräch und spricht auf ganz andere Weise als sonst über persönliche Dinge. Das Nacktsein ist ein großer Gleichmacher, aber es verbindet einen auch.

Viele schämen sich, nackt zu sein und können sich dazu kaum überwinden. Fällt diese Scham unter Nackten dann einfach weg?

Nein, das tut sie nicht und ich musste mich mehr als einmal überwinden. Bei der Nacktwanderung beispielsweise, die mich ins Bergische Land führte. Dorthin bin ich schon mit meinen Eltern sonntags zum Kaffeetrinken gefahren - natürlich ordentlich angezogen. Und jetzt laufe ich um den gleichen See und der Postbote kommt uns entgegen, da bin ich fast im Boden versunken. Aber so nach fünf bis zehn Minuten hatte ich mich dann daran gewöhnt und es fiel mir gar nicht mehr auf, dass ich nackt war. Als wir dann Spaziergängern begegnet sind, habe ich daran gar nicht mehr gedacht, das fiel mir erst danach wieder auf. Ein Problem bei Scham ist ja, dass wir nackte Körper meist nur in der Werbung sehen und da sehen die alle perfekt aus. Das ist ja auch klar, die Bilder sind im Zweifel retuschiert und nachbearbeitet. Aber man fragt sich trotzdem: Wieso sehen die so perfekt aus und ich nicht? Wenn man häufiger nackt ist, sieht man, dass die anderen Menschen auch nicht perfekt aussehen, sondern normal. Und das ist heilsam.

Die Forschung belegt, dass Menschen, die häufiger nackt sind, ein besseres Körperbild und in den meisten Fällen auch ein höheres Selbstwertgefühl haben. Haben Sie das bei sich auch beobachtet?

Ja, das habe ich. Ich bin von den Reisen glücklicher zurückgekommen und habe ein viel normaleres Verhältnis zu meinem nackten Körper, aber auch insgesamt zu Nacktheit. Ich war vorher weder verklemmt noch habe ich mich hässlich gefunden. Ich hatte irgendwie gar kein Verhältnis zu meinem Körper. Das ist jetzt anders. Der Körper ist ja keine Ware, sondern das, was wir sind. Es gibt aber viele, die Geld damit verdienen, dass wir uns in unseren Körpern unwohl fühlen. Schönheitschirurgen etwa verdienen im Moment viel Geld mit Operationen im Intimbereich, vor allem bei jungen Frauen. Da ist es doch ungleich gesünder und günstiger, sich mal nackt an den Strand zu legen und den eigenen Körper schätzen zu lernen.

Kleidung erfüllt bestimmte Funktionen wie Schutz oder Wärme. Haben Sie sich ungeschützt gefühlt?

Ja, am ganzen Körper. Beim Nacktwandern hatte ich erst totale Panik vor Brennnesseln und Zecken. Die erfahreneren Mitwanderer haben dann aber gesagt, dass Zecken ohne Kleidung viel weniger Möglichkeiten haben, sich zu verstecken. Und Brennnesseln seien auch nicht so schlimm, man solle aber unbedingt an Sonnenschutz denken. Sonst verbrennt man nämlich total schnell. Mit der Kälte war es ähnlich. Es war zwar morgens schon noch kühl, der Körper kann das aber ganz gut regulieren. Manche gehen sogar im Winter nackt wandern. Die Kleidung irritiert den Körper und leitet ihn in die falsche Richtung, sagen sie. Deshalb friert man sogar mehr, als wenn man nackt ist. Ich habe das aber nicht ausprobiert.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass es Ihnen zu kalt war?

Das Nacktfestival in Japan findet zum chinesischen Neujahr statt, das war Anfang Februar, also mitten im Winter. Es wehte ein kalter Wind vom Meer her, gefühlt war es unter null Grad. Es wurde die ganze Zeit Sake ausgeschenkt aus großen Fässern, damit man wenigstens von innen warm wurde. Aber als es vorbei war, habe ich gedacht, ich taue in meinem Leben nicht wieder auf. Ich habe dann mehrere Tage in japanischen heißen Quellen verbracht, danach ging es wieder.

Aber würden Sie das Nacktsein anderen empfehlen?

Ich will da nicht missionieren. Jeder muss das für sich selbst wissen, ob er gern nackt sein will oder nicht. Eine Amerikanerin, die Nacktyoga unterrichtet, hat mir gesagt: Nackte Menschen sind keine besseren Menschen, sie sind halt einfach nackt. Und wenn sie das gern mögen, ist gut. Und wenn nicht, ist es auch in Ordnung. Dem stimme ich zu. Aber ich würde empfehlen, es mal auszuprobieren. Sonst erfährt man nicht, ob es etwas für einen ist.

Wenn Sie die Essenz Ihrer Nacktabenteuer zusammenfassen, was ist die wichtigste Erkenntnis?

Eine Erkenntnis ist, dass nackt reisen und nackt sein einen glücklicher macht - und zufriedener mit sich und damit auch mit der Welt. Es ist wie eine kleine Utopie, die jeder haben kann. Dafür braucht man kein Geld und keinen großen Plan. Man kann einfach sagen, jetzt springe ich mal nackt in einen Waldsee und nehme mir ein Stück Glück. Die andere Erfahrung ist, dass ich viele sehr nette Menschen kennengelernt habe, die deshalb nackt sind, weil es ihnen gut gefällt. Die ziehen sich nicht für andere aus, sondern weil sie sich dann besser fühlen. Das sind sehr offene, gesellige und vor allem sehr unterschiedliche Menschen. Das war eine wirklich spannende Erfahrung.

Mit Marc Engelhardt sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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