Panorama

"Wir brauchen diese Leuchttürme" Wie Frauen sich als Matrosinnen durchkämpfen

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Swetlana Timm-Vengerov ist zweite technische Offizierin. Hier steht sie neben der Hauptmaschine an Bord eines Containerschiffs.

Swetlana Timm-Vengerov ist zweite technische Offizierin. Hier steht sie neben der Hauptmaschine an Bord eines Containerschiffs.

(Foto: dpa)

Eine Frau, die einen Seefahrtsberuf ausübt, wird oft noch immer als ungewöhnlich wahrgenommen. Woran liegt das? Welche Hürden bestehen dort nach wie vor für Frauen - und welche wurden bereits abgebaut?

Als Swetlana Timm-Vengerov das erste Mal zur See fährt, ist sie 17 Jahre alt. Mit dem Flieger geht es von Deutschland nach Südkorea. Und dort in der Hafenstadt Busan zum ersten Mal an Bord. "Es war natürlich erst mal ein ganz imposantes Gefühl und Erlebnis, weil man überhaupt nicht einschätzen konnte, was einen eigentlich erwartet", erinnert sich die inzwischen 30-Jährige.

6,7 Prozent der Seeleute in Deutschland sind Frauen. Bei höheren Dienstgraden sind es nur noch 3,8 Prozent.

6,7 Prozent der Seeleute in Deutschland sind Frauen. Bei höheren Dienstgraden sind es nur noch 3,8 Prozent.

(Foto: dpa)

Über den Pazifik ging es nach Nord- und Mittelamerika und dann wieder zurück nach Asien. Sechs Wochen war Timm-Vengerov damals unterwegs, die ganzen Sommerferien lang. Als Schülerin nahm sie am Ferienfahrer-Programm des Verbands Deutscher Reeder (VDR) teil. Eine Idee ihres Patenonkels, der als einziger in der Familie Kontakt zu der Seefahrt hatte.

13 Jahre später schaut Timm-Vengerov der Bordbesatzung nicht mehr nur über die Schulter. Seit 2021 ist sie zweite technische Offizierin bei der Hamburger Containerreederei Hapag Lloyd. Sie überwacht die technischen Prozesse und beseitigt Fehler, koordiniert Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten sowie das maschinentechnische Personal. "Ich bin da Führungskraft", sagt sie - und gehört damit einer Minderheit an.

Allein unter Männern?

In den höheren Dienstgraden der Seefahrt ist der Anteil weiblicher Seeleute noch einmal geringer als in der Seefahrt insgesamt. Ende September dieses Jahres waren 3,8 Prozent der gut 3300 Kapitäne, Offiziere und vergleichbaren Angestellten in Deutschland Frauen. Das zeigen Zahlen der Knappschaft-Bahn-See.

Von allen gut 7900 rentenversicherungspflichtig an Bord beschäftigten Angestellten der Handelsschifffahrt und Hochseefischerei machten weibliche Seeleute demnach 6,7 Prozent aus. Damit liege der Frauenanteil deutlich über dem internationalen Wert von rund zwei Prozent, betont Gaby Bornheim, die erste Frau an der Spitze des VDR. Dennoch strebe der Verband an, diesen Anteil deutlich zu erhöhen: "Wir können es uns auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels schlicht nicht leisten, auf eine Hälfte der Menschheit zu verzichten."

Auch die technische Offizierin Timm-Vengerov ist meistens die einzige Frau, wenn sie mit rund zwei Dutzend Besatzungsmitgliedern auf See ist. "Ich hatte das jetzt einmal, da waren wir zu dritt. Das hat man schon Frauendampfer genannt", sagt die 30-Jährige, die in Warnemünde Schiffsbetriebstechnik studiert hat. "Man kennt es nicht anders und ich komme da auch gut mit klar." Doch warum ist die Seefahrt nach wie vor eine so männerdominierte Branche? Welche Hürden gibt es dort für Frauen? Und was hat sich bereits verändert?

Weniger körperliche Arbeit dank moderner Technik

"Es ist ja kein einfacher Beruf und früher hat man gesagt: Frauen haben physisch nicht die Kraft dazu", erzählt Franziska Eckhoff, Deutschland Vorsitzende von Wista, eines internationalen Netzwerks von Frauen in der Seefahrtbranche (Women's International Shipping & Trading Association). Doch das habe sich geändert: "Wenn früher die Männer jedes Stück Ladung in einem Sack auf der Schulter rübergetragen haben, haben wir heute Kräne, Container et cetera." Die Schiffe seien technisch innovativer, die körperliche Arbeit weniger geworden. "Das macht die Gleichstellung, dass theoretisch eine Frau auch diesen Job machen kann, einfacher."

Eine Einschätzung, mit der Eckhoff nicht alleine ist. "Schwere Arbeit, rauer Umgangston" - mit Blick auf die Arbeitsumgebung herrschten oft Vorurteile, meint VDR-Präsidentin Bornheim. "Dabei ist die Arbeit dank der modernen Technik längst nicht mehr so körperlich fordernd wie früher und das Miteinander an Bord ist von einem starken Teamgeist geprägt."

"Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch Thema"

Nicht durch Technologie lösen lässt sich dagegen der Umstand, dass Seeleute oft mehrere Monate unterwegs sind. Auch bei Timm-Vengerov ist das so. Die vergangenen fünf Jahre hat sie Weihnachten auf See verbracht - mit einem gemeinschaftlichen Essen und einem Weihnachtsbaum an Bord.

"Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch ein Thema", sagt Eckhoff. Doch es gebe auch Bereiche in der Seefahrt, die sich gut mit Familie vereinbaren ließen, weil sie quasi wie Tagesreisen oder eine Wochenreise seien - etwa Fähren, die morgens und abends zurückführen. "Ich bin auch Fan davon, dass mehr Frauen Schlepperkapitäne werden könnten."

Auch in der Linienschifffahrt habe sie von einer Kapitänin mal das Feedback bekommen: "Das ist die beste Work-Life-Balance, die ich je hatte. Ich bin vier Monate auf der Arbeit und das ist meine Arbeit. Dann komme ich nach Hause und ich bin 100 Prozent zu Hause." Außerdem habe sie von dem vereinzelten Modell gehört, dass man seinen Partner oder sein Kind mal mit an Bord nehmen könne, erzählt Eckhoff.

Belästigung an Bord - ein Branchen-Problem?

Und wie sieht es mit Belästigung von Frauen in der Seefahrt aus? An einer Umfrage, die unter anderem von Wista International durchgeführt wurde, haben dem Netzwerk zufolge mehr als 1000 weibliche Seeleute aus 78 Ländern teilgenommen. Zwei Drittel der Befragten stimmten demnach zu, dass ihre männlichen Kollegen weibliche belästigt und eingeschüchtert haben; ein Viertel habe angegeben, dass körperliche und sexuelle Belästigung an Bord vorkomme.

Laut Bornheim sind Diskriminierung und Belästigung von Frauen "kein schifffahrtsspezifisches, sondern ein gesellschaftliches Phänomen". Trotzdem sieht die VDR-Präsidentin eine besondere Herausforderung der Seeschifffahrt: Der Arbeitsplatz sei für einige Zeit auch der Wohnort, an Bord herrsche eine "gewisse räumliche Enge". In den vergangenen Jahren sei das Thema Mobbing und Belästigung - einschließlich sexueller Belästigung - erfreulicherweise verstärkt auf die Agenda internationaler Gremien gerückt. Im Februar 2024 solle es ein erstes Treffen der Weltschifffahrtsorganisation IMO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO geben, "um gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie mit dieser Problematik umgegangen werden sollte".

(Un-)Sichtbarkeit von Seefahrt und Frauen

Im vergangenen Jahr hat die IMO zum ersten Mal am 18. Mai den Internationalen Tag der Frauen in der Seeschifffahrt ausgerufen. "Eine positive Entwicklung ist ganz klar, dass die IMO die Förderung von Frauen in der maritimen Wirtschaft relativ weit oben auf ihrer Agenda hat", sagt Eckhoff. Dadurch könne es keiner mehr ignorieren.

Die Geschäftsführerin der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt, Sabine Zeller, begrüßt es, dass Frauen in der Seeschifffahrt anfingen, sich etwa an diesem Tag mehr zu zeigen. "Wir brauchen diese Leuchttürme", sagt sie. Es mangele an "Sichtbarkeit der Seeschifffahrt als Berufsfeld im Allgemeinen und von Frauen in diesen Berufen im Besonderen". Frauen an Bord würden leider immer noch größtenteils als ungewöhnlich wahrgenommen - sie wolle daran mitarbeiten, "dass es irgendwann normal ist".

Für die technische Offizierin Timm-Vengerov ist es längst Alltag, an Bord großer Containerschiffe zu arbeiten. "Ich würde jede Frau mit Interesse ermutigen, es zu probieren", sagt sie über die Arbeit auf See. "An Land kannst du jederzeit", fügt sie hinzu und lacht.

Quelle: ntv.de, Franziska Spiecker, dpa

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