Politik

Rhetorik-Fernduell mit Biden An entscheidender Stelle wird Putin nervös

Die Kunst der Rhetorik verlangt Hilfsmittel: US-Präsident Biden blickt während seiner Rede in Richtung eines Teleprompters.

Die Kunst der Rhetorik verlangt Hilfsmittel: US-Präsident Biden blickt während seiner Rede in Richtung eines Teleprompters.

(Foto: REUTERS)

US-Präsident Biden und Russlands Machthaber Putin halten in Warschau und Moskau Reden zum Krieg in der Ukraine, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während der eine die Ukrainer ins Zentrum stellt, macht der andere sie unsichtbar - und leistet sich einen vielsagenden Gestik-Patzer.

Als der russische Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden drei Tage vor dem ersten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine ihre wohl wichtigsten Reden der vergangenen Monate halten, liegen nur etwa 1150 Kilometer Luftlinie zwischen ihnen. Biden spricht in Warschau, nachdem er einen Tag zuvor überraschend Kiew besucht hatte, Putin hält seine "Rede zur Nation" in Moskau.

So gering der geografische Abstand, so groß der rhetorische. Denn beide Redner verwenden grundverschiedene Arten von Beredsamkeit. Das zentrale Thema ihres rhetorischen Fernduells, um das sich die vorliegende Redeanalyse dreht, ist aber gleich: die Ukraine.

Bidens Rede: kurz, knapp und klar

Biden stellt die Ukraine als Land, die Ukrainerinnen und Ukrainer als Menschen ins Zentrum seiner Rede. Er zeigt sich überzeugt, dass Russland den Krieg nicht gewinnen werde. "Die Ukraine wird nie ein Sieg für Russland - nie", sagt er. Die Ukraine sei "stark", "stolz" und "frei" und könne weiter auf die Unterstützung des Westens zählen. Seine nur etwas mehr als 20-minütige Rede ist kurz und knapp gehalten, mit einigen Grundgedanken:

  1. Putin hat sich verkalkuliert
  2. Der Westen hat klar und geeint reagiert
  3. Die Ukrainer sind tapfer, werden siegen und frei sein

Bei Putin ganz anders: Seine Rede dauert etwa fünf Mal so lang und wirkt besonders in der Mitte über weite Strecken monoton. Aus rhetorischer Sicht muss man ihm zugutehalten: Formal hält er eine Rede zur Lage der Nation. Im letzten Jahr hatte er den verfassungsmäßig eigentlich vorgeschriebenen Auftritt ausfallen lassen. Solche Ansprachen sind Rechtfertigungen vor Parlamentariern, die bei Autokraten und Diktatoren gerne zu selbst-beweihräuchernden Shows geraten, aber in jedem Fall zu den eher behäbigeren Redegattungen gehören.

Auch ist als Phänomen besonders in autoritär regierten Ländern zu beobachten, dass Ansprachen häufig lang geraten und bis ins Detail gestrickt sind. Atatürk war einst in der Türkei bekannt dafür, stundenlange Reden zu halten. Eine überlange Rede sollte einem Redner also nicht per se als Nachteil angekreidet werden - zumal in Zeiten der sozialen Medien meist nur wenige "Soundbites" rezipiert werden, die tatsächliche Redelänge also ohnehin nur für das Saalpublikum wirklich wichtig ist.

Putins Rhetorik der Unsichtbarmachung

Was bei Putins Ansprache aber irritiert: Auch wenn diese fast zwei Stunden dauert und sich letztlich voll und ganz um den Krieg in der Ukraine dreht, um seine "Spezialoperation", kommt Putin auf das Land und die Menschen so gut wie gar nicht zu sprechen. Er macht die Ukrainerinnen und Ukrainer - abgesehen von kurzen Nennungen pro-russischer Separatisten im Donbass - unsichtbar. Zwei Dinge stehen im Zentrum seiner Rede: der nach seiner Ansicht verlogene Westen und die russische Wirtschaft mit all ihren Möglichkeiten.

Vom Westen gibt er sich enttäuscht. Die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine liege "bei den westlichen Eliten", behauptet Putin, der Westen habe "den Geist aus der Flasche gelassen". Mehrfach wirft er dem Westen Lügen und Hinterlist vor und stellt dem das Bild eines Russlands entgegen, dem es immer nur um Zusammenarbeit und Hilfeleistungen gehe. Den Krieg hätten der Westen und das "Kiewer Regime" zu verantworten, dem das ukrainische Volk fremd sei, so Putin.

"Gott, vergib uns, sie wissen nicht, was sie tun"

Fast zwanzig Minuten, also in etwa in der Gesamtlänge von Bidens Rede am gleichen Tag, drischt Putin wie fixiert auf den Westen ein und verbindet die Rechtfertigung seines Krieges mit einer Ablehnung des Liberalismus. Nach einem Verweis auf Gender-Diskussionen zu Gott innerhalb der Kirche von England fragt er pathetisch und mit ausgebreiteten Armen: "Was soll man dazu sagen? Gott, vergib uns, sie wissen nicht, was sie tun!"

Diese Themenwahl ist offenkundig rhetorisch kalkuliert. Die ukrainischen Opfer des Krieges auszublenden, verweist auf den Kern seines Krieges: Er spricht der Ukraine die Existenzberechtigung ab. Ginge es nach ihm, gäbe es das Land allenfalls als russische Provinz. Mit seiner Ablehnung progressiver Ideen aus dem Westen versucht er, an westliche Diskurse anzudocken, dort womöglich Hörerinnen und Hörer zu finden - Teil des westlichen Liberalismus ist es ja, dass gesellschaftliche Entwicklungen kontrovers diskutiert werden.

Fast eine Stunde widmet sich Putin dann dem nach seiner Ansicht wirtschaftlich resilienten und potenten Russland. Er stellt neue Sozial- wie Kulturvorhaben bis ins letzte Detail vor, redet von Hochschulreformen und Hochtechnologie. Es ist ein Teil der Rede, der langatmig und monoton wirkt. Zugleich ist es der Teil, in dem Putin sicher auftritt - bis ins Detail informiert, mit Kennzahlen zur Wirtschaftsentwicklung ausgerüstet.

Putin ist nicht gebrechlich, aber wird einmal nervös

Von Gebrechlichkeit, die Putin nachgesagt wird - mit aufgedunsenem Gesicht, hölzernem Gang und zappeligem Verhalten - ist bei dieser Rede keine Spur zu sehen. Trotzdem unterläuft ihm ein Gestik-Fauxpas. Es könnte ein Moment der Unachtsamkeit sein, bei dem er unbewusst Nervosität aufscheinen lässt. Nach einer minutenlangen Schilderung von Schadstoffen auf Müllhalden und der Sauberkeit von Flüssen kommt Putin zum Ende seiner Rede darauf zu sprechen, dass Russland den New-Start-Vertrag mit den USA aussetzen wird. In diesem Abkommen geht es um die gegenseitige Kontrolle der Atomwaffenarsenale beider Länder.

"Und noch ein paar Worte zu dem, was um uns geschieht", beginnt Putin diesen Punkt. Hier wirkt er zum ersten Mal während seiner Rede nervös. Er räuspert sich, stößt mit beiden Händen an die Mikrofone vor ihm, greift sich ins Jackett.

Ein nervöser Gestus kann Publikum unterbewusst verunsichern

Putin redet mit reichlich Abstand zu seinem Publikum, Teleprompter sind im Boden eingelassen.

Putin redet mit reichlich Abstand zu seinem Publikum, Teleprompter sind im Boden eingelassen.

(Foto: via REUTERS)

Es ist nur ein kurzer Moment in einer langen Rede. Aber wer im Publikum oder vor dem Fernseher sitzt und Putin kennt, dem vermittelt er eine Botschaft, die Putins Auftritt zuwiderläuft: Beim Thema USA wird er nervös. Es scheint sein Angstthema zu sein.

Im Folgenden tritt in seinen Schilderungen zu den USA gar eine Ambiguität zwischen tiefer Abscheu und einer latenten Bewunderung zum Vorschein. Das Verhalten der USA gegenüber Russland beschreibt er als "die Höhe des Zynismus oder die Höhe der Dummheit". Dann fügt Putin an: "Aber ich glaube nicht, dass sie so dumm sind. Das sind keine dummen Menschen."

Auch Biden liefert in Warschau kein Meisterstück ab, was die Darbietung seiner Rede angeht. Er verhaspelt sich mehrmals bei gleichklingenden Silben, kommt ins Stammeln. Aber bei dem 80-Jährigen ist das Publikum so etwas mittlerweile gewöhnt. Immerhin redet er, trotz seines Alters, leidenschaftlich und voller Energie - und stellt eben die Ukrainerinnen und Ukrainer ins Zentrum seiner Rede und einen simplen Freiheitsgedanken.

Bidens Empathie wirkt glaubwürdig. Besonders, als er sich einmal nach vorne lehnt und auf den Status Quo nach einem Jahr Krieg voller Pathos in die Menge raunt: "Die Ukraine ist immer noch unabhängig und frei." Er zeigt nicht nur Empathie für die Ukrainerinnen und Ukrainer. Man kauft ihm seine emotionale Rührung auch ab, als er sein Warschauer Publikum auffordert, sich gegenseitig einmal anzuschauen und stolz darauf zu sein, wie viele ukrainische Flüchtlinge Polen in gastfreundlicher Weise aufgenommen habe.

So glaubhaft solche Momente in Bidens Rede sind, so pathetisch, geradezu schwülstig wirken andere Passagen. Etwa, wenn Biden konstatiert, Putin habe sich für "hart" gehalten, sei dann aber auf den "eisernen Willen Amerikas" gestoßen.

In diesem Rede-Duell mit Putin hat Biden allerdings ohnehin die bessere Ausgangsposition. Anders als beispielsweise während des Irak-Kriegs ist die Unterstützung der Ukraine im Westen weitgehend unstrittig - Biden und mit ihm die USA insgesamt können sich auf der richtigen Seite sehen. Er kann sich auf das fokussieren, was US-amerikanischen Politikern rhetorisch seit jeher gut lag: die Kreierung des Bildes eines heldenhaften Freiheitskampfes. Gute gegen Böse. Simple Botschaften, aber solche, die rhetorisch wirken.

Die Kunst der Rhetorik ist Tausende Jahre alt. Einem Schöpfungsmythos zufolge entstand sie im 5. Jahrhundert vor Christus nach dem Sturz eines Tyrannen von Syrakus auf der heutigen Insel Sizilien. Redelehrer traten auf und coachten Bürger vor Streitigkeiten um Territorium. Auch heute bleibt die Kunst der langen Rede relevant - im Kampf um das Territorium der Ukrainer.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen