Politik

"Stoppt dieses Massaker" Gaddafi lässt Kritiker niederschießen

In Libyen sterben nach Angaben der Opposition mehr als 200 Menschen. Während es auch in zahlreichen anderen Ländern der arabischen Welt weiter brodelt, greift das Regime hier offenbar besonders brutal durch. Augenzeugen berichten von Scharfschützen und Raketen, die auf die Menschen niedergehen.

Gaddafi kennt keine Gnade, wenn es um die Sicherung seiner Macht geht.

Gaddafi kennt keine Gnade, wenn es um die Sicherung seiner Macht geht.

(Foto: dpa)

Bei den Unruhen in Libyen sind nach Angaben der Opposition binnen zwei Tagen mehr als 200 Menschen getötet worden. Die Website "Libya al-Youm" spricht von 208 Toten. In der Stadt Bengasi habe sich ein Teil der Soldaten den Aufständischen angeschlossen. Einige Städte sollen nach Angaben von Oppositionellen ganz oder zum Teil "befreit" sein. Von unabhängiger Seite ließen sich diese Informationen jedoch nicht verifizieren. Ein Landsitz von Staatschef Muammar al-Gaddafi in Zawiah soll Gerüchten zufolge in Flammen stehen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von mindestens 104 getöteten Menschen. Die Zahl beruhe auf Angaben von Medizinern und Augenzeugen, sagte ein Sprecher der Organisation. "Wir sind sehr besorgt, dass sich hinsichtlich der Menschenrechtssituation eine Katastrophe anbahnt", warnte er. Wegen der schwierigen Kommunikation in das Land stelle die Zahl ein unvollständiges Bild der Situation dar. Das Ausmaß der Proteste ist nur sehr schwer abzuschätzen. Auf internationaler Ebene hat sich noch niemand zu den Ereignissen in dem Land geäußert.

Scharfschützen schießen auf Demonstranten

Proteste gegen Gaddafi in Washington.

Proteste gegen Gaddafi in Washington.

(Foto: AP)

Am heftigsten sind die Proteste offenbar in der Hafenstadt Bengasi im Norden des Landes. Dort wurden erneut dutzende Regimegegner getötet. Einwohnern zufolge schossen Scharfschützen der Sicherheitskräfte aus einem befestigten Gelände heraus auf Demonstranten. Zehntausende Menschen sollen dort auf der Straße sein, sagte ein Augenzeuge dem US-Sender CNN. "Die Situation ist extrem, den Krankenhäusern gehen die Blutkonserven aus", sagte er am Telefon. Nach seinen Angaben soll das Regime von Gaddafi Söldner angeheuert haben, die auf die Demonstranten unter anderen Waffen auch mit Boden-Luft-Raketen schießen.

Die italienische Nachrichtenagentur Ansa zitierte einen Augenzeugen, wonach die Stadt nach den tagelangen Unruhen "völlig außer Kontrolle" sei. Offenbar werden allmählich die Lebensmittel knapp. Führende muslimische Geistliche des Landes riefen die Sicherheitskräfte auf, das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten zu beenden. "Stoppt das Massaker jetzt", hieß es in ihrem Appell.

"Dutzende wurden getötet, ...nicht 15, Dutzende. Wir befinden und mitten in einem Massaker", sagte ein Einwohner. Seinen Worten zufolge wurden die Demonstranten erschossen, als sie versuchten, in die Kommandozentrale der Sicherheitskräfte einzudringen. Ein anderer Einwohner sagte, die Sicherheitskräfte hätten sich auf das Gelände der Einsatzleitung zurückgezogen.

Regierung spricht von "Verschwörung"

Aktuelle Bilder zu den Protesten gibt es kaum - das wahre Ausmaß lässt sich kaum abschätzen.

Aktuelle Bilder zu den Protesten gibt es kaum - das wahre Ausmaß lässt sich kaum abschätzen.

(Foto: Reuters)

Libyen versucht mit allen Mitteln, eine Berichterstattung über die Vorgänge in dem Mittelmeer-Anrainer zu verhindern. Ausländische Reporter sind nicht zugelassen, einheimischen Journalisten wurde die Reise nach Bengasi verwehrt, wo die Unterstützung für Gaddafi deutlich geringer als in anderen Landesteilen ist. Zudem waren die Mobilfunkverbindungen in das Zentrum des Protests im Osten des Landes häufig unterbrochen. Auch die Internet-Verbindung Libyens wird immer wieder gekappt. Fernsehbilder aus den umkämpften Städten gab es nicht. Die Opposition dokumentiert ihren Aufstand in verwackelten Amateurvideos.

Die Regierung äußerte sich indes nicht zu den Gewaltausbrüchen, sondern macht eine ausländische Verschwörung für die Unruhen verantwortlich. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana verbreitete die Nachricht, die Sicherheitskräfte hätten Angehörige einer Verschwörergruppe festgenommen, die Libyen destabilisieren wolle. Darunter seien Palästinenser, Tunesier und Sudanesen. Es sei durchaus möglich, dass der israelische Geheimdienst bei diesem Komplott seine Finger im Spiel habe.

Anfangs hatten die libyschen Staatsmedien den Aufstand gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi völlig ignoriert. Dann war von Saboteuren die Rede, die öffentliche Gebäude zerstörten. Jetzt werden Verschwörungstheorien verbreitet.

Erstmals Proteste auch in Marokko

Trotz des brutalen Durchgreifens der Sicherheitskräfte sind neue Proteste gegen Staatschef Gaddafi geplant. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte hätte der Opposition neue Energie zugeführt, sagte ein Gaddafi-Kritiker in Libyen zu CNN. Ein Regimegegner sagte dem US-Sender: "Wir wollen, dass Gaddafi geht. Wir wollen Freiheit... Wir wollen Demokratie."

Proteste für Demokratie und soziale Reformen gab es weiterhin auch in Algerien, dem Jemen, in Bahrain, Oman und Kuwait sowie im Kleinstaat Dschibuti am Horn von Afrika.  Erstmals seit Beginn der Massenproteste in der arabischen Welt haben auch in Marokko mehrere tausend Menschen politische Reformen gefordert. In der Hauptstadt Rabat, in Casablanca, Tanger und anderen Städten verlangten die Demonstranten zudem eine Beschneidung der Macht des Königs. Etwa eintausend Menschen versammelten sich im Zentrum von Casablanca und riefen Parolen wie "Freiheit, Würde, Gerechtigkeit!". Auf Plakaten stand "Das Volk will eine neue Verfassung". Mehr als 2000 Demonstranten gingen in Rabat auf die Straße und riefen "Das Volk will den Wandel".

Gespannte Ruhe in Bahrain

Nach tagelangen Unruhen herrschte dagegen in Bahrain gespannte Ruhe. Nach dem Rückzug der Armee in die Kasernen hatten mehrere Tausend Regierungsgegner am Samstag den zentralen Lulu-Platz wieder besetzt und dort Lager aufgeschlagen.

Kronprinz Scheich Salman bin Hamad al-Chalifa bedauerte in einem Fernsehinterview den Tod von mindestens vier Demonstranten in den vergangenen Tagen. Auf Weisung seines Vaters, König Hamad bin Issa al-Chalifa, nahm er erste Kontakte zur Opposition für einen nationalen Dialog auf.

Quelle: ntv.de, rpe/fma/rts/dpa/AFP

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