Politik

Konsterniert und fassungslos Scholz trifft seine härtesten Kritiker

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Aus Sicht der Wirtschaftsverbände unterschätzt der Kanzler den Ernst der Lage.

Aus Sicht der Wirtschaftsverbände unterschätzt der Kanzler den Ernst der Lage.

(Foto: AP)

Die Wirtschaftsverbände kritisieren die Bundesregierung seit einiger Zeit ungewöhnlich massiv - vor allem den Kanzler. Probleme würden nicht wahrgenommen, Kritik werde beiseite gewischt, auf Forderungen nicht reagiert. Heute trifft Scholz vier Männer, die sauer auf ihn sind.

Bundeskanzler Olaf Scholz leidet nicht unter übertriebenen Selbstzweifeln, das ist bekannt. Wäre dies anders, so würde er seinem heutigen Treffen mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft mit Grauen entgegensehen. Denn die Kritik, die dem Kanzler zuletzt von dort entgegenschlug, war außergewöhnlich hart.

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, sagte der Mediengruppe Bayern unlängst, in den Reihen der DIHK-Mitgliedsunternehmen gebe es viel Frust: "So was wie einen Vertrauensverlust in die Regierung. Man hat in den Betrieben das Gefühl, mit seinen Sorgen und Nöten von der Politik nicht wahrgenommen zu werden." Er habe vom Bundeskanzler schon mehrfach den Satz gehört, dass der Kaufmann halt jammert. "Da prallen zwei Welten aufeinander."

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, gab Anfang April in der "Süddeutschen Zeitung" zu Protokoll, die erste Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition seien "zwei verlorene Jahre" gewesen. Auch er kritisierte Scholz' Kommunikation: "Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat 'Die Klage ist das Lied des Kaufmanns'. So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird."

"Vertrauen in die Bundesregierung verloren"

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, sagte im Februar, die Stimmung in der deutschen Wirtschaft und im Handwerk sei schlecht, es fehle an politischer Verlässlichkeit. Die Bundesregierung müsse handeln, wo sie es selbst in der Hand habe. "Die Bürokratie liegt nicht an Russland oder Putin", so der ZDH-Chef.

Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, hatte bereits im Januar erklärt, die Unternehmen hätten "das Vertrauen in die Bundesregierung verloren". Den Landesverbänden der BDA "reißt mittlerweile der Geduldsfaden".

Der Unmut bei den Wirtschaftsverbänden ist besonders groß, weil sie das Gefühl haben, im Kanzleramt nicht wahrgenommen zu werden. "Vor unserem letzten Treffen mit dem Bundeskanzler haben die vier Spitzenverbände der Wirtschaft ihm ein Papier mit zehn konkreten Reformideen zugesandt", sagte Russwurm. "Antwort aus dem Kanzleramt: bisher Fehlanzeige." Zum geplanten Bürokratie-Entlastungsgesetz habe die Wirtschaft "442 konkrete Vorschläge unterbreitet". Aufgenommen habe die Regierung elf.

Nach Treffen mit Scholz "konsterniert" und "fassungslos"

Die zehn konkreten Reformideen hatten die vier großen Wirtschaftsverbände Ende Januar in einem Brandbrief an Scholz vorgetragen. Nach einem Treffen mit dem Kanzler im März am Rande der Handwerksmesse in München seien die Wirtschaftsvertreter "konsterniert" und "fassungslos" gewesen, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Nach Informationen der Zeitung ging Scholz in dem Gespräch auf keinen einzigen der zehn Punkte ein und lobte stattdessen seine Regierung.

Der von Wansleben und Russwurm kritisierte Satz des Kanzlers fiel auch öffentlich schon: "Ich weiß als ehemaliger Hamburger Bürgermeister, dass der Gruß des Kaufmanns die Klage ist", sagte Scholz nach dem Treffen in München. Indirekt warf er den Wirtschaftsvertretern vor, das Land schlechtzureden. "Natürlich hilft es nicht, wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil die Leute ihr Geld dann auf dem Sparbuch behalten und nicht investieren."

Dieses Mal wird es nach dem Gespräch zwischen Scholz und den Vertretern von BDA, BDI, DIHK und ZDH keinen öffentlichen Auftritt geben: Das Gespräch ist vertraulich, es findet im Rahmen einer Klausurtagung der Wirtschaftsspitzenverbände statt. "Dem Bundeskanzler ist der Austausch mit der Wirtschaft und den Verbänden ein wichtiges Anliegen", betonte eine Regierungssprecherin am Freitag. Nach einer Zählung der "Bild"-Zeitung lässt sich das anhand der stattgefundenen Treffen allerdings nicht belegen. Seit Januar 2023 habe es nur sechs Treffen mit Arbeitgeberverbänden gegeben, aber 25 mit Vertretern der Gewerkschaften.

Quelle: ntv.de

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