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Kurt Tucholsky: "Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist", der alles darf

Von Karin Schütze, 09. Jänner 2015, 00:04 Uhr
Kurt Tucholsky: "Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist", der alles darf
Ein kritischer, hellwacher Geist: Kurt Tucholsky (1890-1935)

Heute vor 125 Jahren wurde der zeitkritische Journalist und Autor in Berlin geboren.

"Ein kleiner, dicker Berliner, der mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte", so beschrieb Erich Kästner 1946 seinen Kollegen, der für Missstände scharfe Worte fand und der Frage, was Satire dürfe, ein "Alles" entgegenhielt. Der aber auch festhielt: "Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen." – Welche Worte hätte er wohl heute für das Massaker in Paris gefunden?

Geboren am 9. Jänner 1890 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, studierte Tucholsky Jus und war kurz Bankvolontär. Die Lust an der spitzen Feder teilte er schon als Schüler: In der linksliberalen Wochenzeitschrift Ulk machte sich der 17-Jährige über den Kunstgeschmack Kaiser Wilhelms II. lustig. Mit "Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte" legte der 22-Jährige seine erste erotisch-verspielte Erzählung vor. An seinem Geburtstag, 1913, erschien sein erster Artikel in der Zeitschrift "Die Schaubühne", Vorläufer des Wochenblatts "Die Weltbühne".

Überzeugter Pazifist

Dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges entkam auch der junge Dichter nicht: Tucholsky musste an die Ostfront in Polen. Als Schreiber und Feldzeitungs-Redakteur konnte er den Schützengraben umgehen. "Ich wandte viele Mittel an, um nicht erschossen zu werden und um nicht zu schießen – nicht einmal die schlimmsten Mittel. Aber ich hätte alle, ohne jede Ausnahme alle, angewandt, wenn man mich gezwungen hätte: keine Bestechung, keine andre strafbare Handlung hätt’ ich verschmäht. Viele taten ebenso."

Als überzeugter Pazifist wurde er 1918 Chefredakteur des Ulk. Parallel arbeitete er für "Die Weltbühne": Unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel oder Kaspar Hauser verfasste er politische Leitartikel, Glossen, Satiren, Gedichte. 1920/’21, schrieb er auch für das Reichs-Propagandablatt Pieron, das – vor der Volksabstimmung über die deutsch-polnische Grenze – anti-polnische Stimmung schüren sollte. "Ich hätte es nicht tun dürfen, und ich bereue, was ich getan habe", blickte er später zurück.

Möge Deutschland "verrecken"!

Nach zwei gescheiterten Ehen lebte Tucholsky ab 1930 in Schweden. Aus der Ferne warnte er hellsichtig: "Sie rüsten für die Reise ins Dritte Reich."

1933 verboten die Nazis die "Weltbühne", verbrannten seine Bücher, bürgerten ihn aus. Briefe spiegeln Tucholskys Verzweiflung wider: "Dass unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher: Werde ich erst amal das Maul halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an", schrieb er einem Freund 1933 resignativ, und, 1935, an seinen emigrierten Kollegen Arnold Zweig: "Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken – möge es Russland erobern – ich bin damit fertig." Er starb noch im selben Jahr. War die Überdosis Schlaftabletten Selbstmord, Mord, ein Versehen? Man weiß es nicht.

Für seinen Grabstein hatte er einst lakonisch vorgeschlagen: "Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze – gute Nacht." Seine Nachwelt zog Goethes Faust vor: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis".

Tipp: Texte von Kurt Tucholsky unter www.gutenberg.de

„Was darf die Satire? Alles“

Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel erschien am 27. Jänner 1919 im Berliner Tageblatt Nr. 36 der Beitrag „Was darf Satire?“ von Kurt Tucholsky.

Auszüge daraus:

„Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“

„Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.“

„Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“

„Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint. Was darf die Satire? Alles.“

 

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2  Kommentare
2  Kommentare
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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 09.01.2015 08:23

Avis an meinen Verleger

Von allen Leser-Briefen, lieber Meister Rowohlt, scheint mir dieser hier der allerschönste zu sein. Er stammt von einem Oberrealschüler aus Nürnberg.

»Lieber Herr Tucholsky!

Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen zu Ihren Werken meine vollste Anerkennung ausspreche. Das wird Ihnen zwar gleichgültig sein – aber ich möchte doch noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel). Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, dass man es sich nicht kaufen kann.

Gruß!«

Da hast es.

Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!

Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 01.03.1932, Nr. 9, S. 345.

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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 09.01.2015 08:22

so nötig ist, an den Geburtstag von Kurt Tucholksy erinnern und einen so schönen Überblick bringen.

Ein begabter und spitzer Schreiber wie Kurt Tucholsky würde auch heute sehr not tun, um die Missstände unserer Zeit schonungslos darzustellen und anzuprangern.

Ich sehe leider kaum einen, der sein Format, seinen Mut und seinen unbestechlichen Blick auf die politische und gesellschaftliche Realität hätte.

Genial von ihm: Avis an meinen Verleger!

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