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DGZfP-JAHRESTAGUNG 2003

ZfP in Anwendung, Entwicklung und Forschung

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Ein Verfahren zur Fehlererkennung in Röntgenbildern mittels nicht-linearer Diffusion ohne a priori Information

Frank Herold, Technische Universität Hamburg-Harburg, Hamburg
Klaus Bavendiek, YXLON International X-Ray GmbH, Hamburg
Rolf-Rainer Grigat, Technische Universität Hamburg-Harburg, Hamburg
Kontakt: Herold Frank Dipl.-Ing.

Kurzfassung

Die fortschreitende Entwicklung in der Aluminium-/Magnesiumgießtechnik eröffnet immer neue und vielfältigere Einsatzgebiete, z.B. zur Gewichtsreduktion und Energieeinsparung in der Automobilindustrie. Die Röntgentechnik ist ein zuverlässiges Prüfverfahren, das für sicherheitsrelevante Gussteile zur Qualitätssicherung dient.

Für Gussteile, deren Vielfalt und Stückzahl es erlaubt, oder für die Entwicklung von Prototypen ist auch heute eine visuelle Prüfung mit Computerunterstützung üblich anstelle der sonst etablierten vollautomatischen Prüfsysteme (ADR-Systeme). Auf Grund der hier fehlenden fixen Bildansichten steht beim visuellen Prüfen in der Regel keine a priori Information bzw. Vorwissen bezüglich des Prüfteils zur Verfügung.

Das hier beschriebene Verfahren benötigt keine a priori Information. Das zugrundeliegende Filterverfahren ist in diesem Fall die sogenannte nicht-lineare Diffusion. Durch die Anwendung der zweidimensionalen Diskretisierung dieses Filters auf Röntgenbilder wird eine adaptive Glättung bei gleichzeitiger Kantenerhaltung vorgenommen. Die Implementation entspricht einer zweidimensionalen nicht-linearen Regularisierung mit dem "Schnörr'schen" Glattheitsterm, d.h. das Filter lässt sich anhand von nur drei Regularisierungsparametern optimal für jedes Bild anpassen. In der Praxis können zwei Parameter konstant gehalten werden, so dass das Filterergebnis hauptsächlich nur durch einen einzigen Parameter bestimmt wird. Hierdurch ist eine unkomplizierte Handhabung des Filters bei der visuellen Prüfung gewährleistet.

Mit Hilfe dieses Filters werden die Fehler des Prüfobjekts im Bild durch Anwendung moderner Methoden der Bildverarbeitung für eine weiterführenden Analyse entsprechend vorbereitet. Hierbei werden die potentiellen Fehler sehr deutlich sichtbar gemacht. Dazu wird auf das gefilterte Bild ein Segmentierungs-Algorithmus angewandt und anschließend werden die gefundenen potentiellen Fehler speziell markiert. Hierdurch wird der Betrachter bei der visuellen Bildanalyse zusätzlich unterstützt.

Einleitung

Für Aluminium-/Magnesiumgussteile, für die aufgrund ihrer Vielfalt und geringen Stückzahl kein vollautomatisches Prüfsystem (ADR-System) in Frage kommt, wird die visuelle Prüfung mit Computerunterstützung eingesetzt.

Mit dem hier vorgestellten Verfahren wird der Betrachter bei der visuellen Bildanalyse unterstützt.Hierzu ist es möglich, im Röntgenbild automatisch potentielle Fehler zu markieren. Da die Bildansicht des Prüfobjektes frei einstellbar ist, gibt es kein Vorwissen bzw. keine a priori Information bezüglich des Prüfteils an einer bestimmten Position. Dieses Verfahren kommt ohne a priori Informationen aus.

Im ersten Abschnitt wird der dem Verfahren zugrunde liegende Algorithmus, die sogenannte nicht-lineare Diffusion, vorgestellt. Dabei wird auch genauer auf dessen Eignung zur Fehlererkennung speziell in Röntgenbildern eingegangen.

Der Abschnitt Realisierung bezieht sich auf ein konkretes Anwendungsbeispiel des Algorithmus. Hier wurde der Algorithmus mit einer grafischen Benutzerschnittstelle kombiniert. Diese sogenannte Semi-Automatik erlaubt eine einfache und komfortable Benutzung und dient zur Unterstützung während der visuellen Prüfung.

Hiernach folgt die wirtschaftliche Betrachtung der Semi-Automatik. Hier wird ein Einblick in die Praxistauglichkeit gegeben, sowie die erreichten Verbesserungen durch Einsatz der Semi-Automatik untersucht. Eine Zusammenfassung bildet den abschließenden Abschnitt.

Algorithmus

In der visuellen Röntgenprüfung werden die Prüfobjekte i.d.R. frei zwischen der Röntgenröhre und dem Detektor positioniert. Im Gegensatz zu vollautomatischen Prüfsystemen (ADR-Systeme) werden daher nicht exakt dieselben Bildausschnitte des Prüfobjektes angefahren. Daher existiert in diesem Fall kein Vorwissen, d.h. keine a priori Information bezüglich Prüfteil und Position.

Um dennoch potentielle Fehler zu erkennen, wird eine gewisse Glattheit des Prüfobjektes angenommen. Dies ist vergleichbar mit dem Vorgehen eines menschlichen Betrachters. Bei der ersten Ansicht eines unbekannten Prüfteils werden Regionen die nicht dem umgebenden homogenen Grauwertverlauf entsprechen als potentielle Fehlerstellen angesehen. Unvollständige Prüfobjekte werden hingegen nicht erkannt, da hierzu eine a priori Information über das intakte Prüfobjekt vorliegen müsste. Dieser Entscheidungsprozess muss von einem entsprechenden Algorithmus im Rechner nachgebildet werden. Dabei sollen große Intensitätsunterschiede erhalten bleiben, da diese gewöhnlich die Struktur des Prüfobjektes repräsentieren.

Es wird also ein adaptives Filterverfahren benötigt, das die natürlichen Kanten erhält, aber die Fehler glättet, so dass aus dem Differenzbild des gefilterten und des ungefilterten Bildes direkt die Fehlstellen erkannt werden können.

Die nicht-lineare Diffusion erfüllt die o.g. Forderungen. Sie lässt sich aus einer analogen Problemstellung der Physik herleiten. Mit u als Messgröße und v der Geschwindigkeit wird der Fluss als

(1)

definiert, wobei der Fluss proportional zum Dichtegradienten Ñu ist und r den positiven Diffusionskoeffizienten angibt.

Wird der Fluss (1) in die sogenannte Transportgleichung (Massenerhaltung)

(2)

eingesetzt, mit q als Quellendichte am Ort x zur Zeit t , so wird die allgemeine Form der Diffusionsgleichung (Euler DGL, Variationsproblem)

(3)

erhalten.
Die Wahl des Diffusionskoeffizienten bestimmt das Verhalten der Diffusion.

Bei der hier vorgestellten nicht-linearen Diffusion wird ein Ansatz mit dem sogenannten Schnörr'schen Glattheitsterm (siehe [1]) verwandt. Dabei ergibt sich der Diffusionskoeffizient ausgehend von der Regularisierungsfunktion l und dem Parameter t = |Ñu|

(4)

Zu

(5)

mit den Eigenschaften:

  • Existenz einer eindeutigen Lösung,
  • Stetige Abhängigkeit der Lösung von den Eingangsdaten und
    den Regularisierungsparametern

Die Diskretisierung für den zweidimensionalen Fall von (3) ergibt ein adaptives Glättungsfilter mit gleichzeitiger Kantenerhaltung. Diese zweidimensionale nicht-lineare Regularisierung besitzt drei Regularisierungsparameter lh, ll, cr (vergleiche (4)). In Abbildung 1 ist der Verlauf des Diffusionskoeffizienten skizziert.


Abb 1: Verlauf des Diffusionskoeffizienten der nicht-linearen Diffusion.

Für Beträge kleiner gleich cr resultiert lineares Verhalten in (3), für Beträge größer als cr nicht-lineares. Dabei wird durch die Parameter lh und ll die Höhe der Kurve bestimmt. In der Praxis können die Parameter lh und ll konstant gehalten werden, so dass nur cr die Schwelle darstellt, um zwischen Objektkanten und Fehlern zu unterscheiden. Hierdurch ist eine unkomplizierte Handhabung des Filters bei der visuellen Prüfung gewährleistet.

Abbildung 2 zeigt die Glättungseigenschaften der nicht-linearen Diffusion. Der Fehler am Gradienten wird über mehrere Iterationen hinweg geglättet. Das Differenzbild des ersten Bildes mit dem letzten zeigt nur noch den Fehler, der sich deutlich vom Rauschen abhebt. Mit dem Differenzbild ist nun eine Segmentierung möglich. Dabei werden die potentiellen Fehler vermessen. So werden die Lage, das umschließende Rechteck, sowie Umfang und Fläche in Pixel gemessen. Die Umrechnung in konkrete Größen wie z.B. mm2 kann nur nach einer vorangegangenen Kalibrierung geschehen, d.h., der Benutzer muss die Ausmaße des Pixels selbst angeben. Bei variabler Positionierung sind diese Maße nicht bekannt, sofern keine Rückkopplung zwischen Bildverarbeitung und Positionierungssystem besteht.


3 Iterationen (3D-Gitter)

3 Iterationen (Grauwertbild)

10 Iterationen (3D-Gitter)

10 Iterationen (Grauwertbild)

60 Iterationen (3D-Gitter)

60 Iterationen (Grauwertbild)

Differenzbild (3D-Gitter)

Differenzbild (Grauwertbild)
Abb 2: Exemplarische Darstellung der Wirkungsweise der nicht-linearen Diffusion für einen Gießfehler an einem Gradienten des Prüfobjektes. Linke Spalte: Visualisierung mittels 3D-Gitter, rechte Spalte: Visualisierung in Grauwertbild-Darstellung.

Realisierung

Bei der Realisierung in einem halbautomatischen Bildbearbeitungs-System (Semi-Automatik) zur Unterstützung der visuellen Prüfung wurde darauf geachtet, eine möglichst einfache Bedienbarkeit zu gewährleisten. Der Einsatz des o.g. Algorithmus bietet die Möglichkeit, einem menschlichen Betrachter durch Anzeigen potentieller Fehler bei der Fehlererkennung zu helfen. Um zu entscheiden, welche Fehler von der Semi-Automatik angezeigt werden sollen, wird die Prüfung in 2 Teile aufgeteilt

  1. Supervisor-Betrieb, d.h. variable Parameter zur optimalen Detektion potentieller Fehler
  2. Operator-Betrieb, d.h. Prüfung in Stückzahlen, fixe Parameter

Der Supervisor stellt den Grauwert Bereich ein, der innerhalb des Prüfteils vorkommt (Ausblenden des Hintergrundes). Dann wählt er eine an die Fehlergröße angepasste Schwelle cr , um die Empfindlichkeit bzw. Fehlertiefe einzustellen. Das Ergebnis wird im Quellterm interaktiv dargestellt, d.h., der Supervisor kann mit Verstellen eines Schiebereglers (Sliders) sofort sehen, welche Anomaliengröße besonders deutlich zur Anzeige kommt (Abbildung 3).


Abb 3: Einstellung der Empfindlichkeit anhand des Quellterm-Bildes mit einem Slider.

Die Kennzeichnung der Anomalien wird durch Justierung des sogenannten Intensitäts-Markers beeinflusst. Die bei der Detektion ausgefüllte Fläche kann ggf. über einen weiteren Slider angepasst werden.

Abschließend kann das Ergebnis der Detektion mit einem "Tooltip" überprüft werden - sofern vorab eine Kalibrierung (Umrechnung Pixel in mm) erfolgt ist.

In Abbildung 4 ist zu erkennen, dass auch reguläre Strukturen angezeigt werden - der Operator sollte diese aber von echten Fehlern unterscheiden können.


Abb 4: Detektion und Fehlergröße.

Abb 5:

Operator Mode: Ausführen der Bildverarbeitung und Prüfentscheidung.

Während der Serienprüfung sind die meisten Einstellungen für den Operator verborgen.Dieser sieht zwar die Parameter, kann sie aber nicht verstellen. Nach Eingabe der Teilenummer drückt er den Knopf "Bildverarbeitung" und bekommt die Anzeige wie in Abbildung 5 gezeigt.

Natürlich kann der Operator jederzeit auf das Originalbild wechseln und dort seine eigene Grauwertskalierung einstellen. Abschließend fällt er die Prüfentscheidung. Der gesamte Vorgang wird automatisch dokumentiert.

Wirtschaftliche Betrachtung der Semi-Automatik

Wenn die Prüfaufgabe aus nur wenigen Prüfteilen einer Sorte besteht, dafür aber eine Vielfalt verschiedener Teile geprüft werden soll, lohnt sich im allgemeinen keine vollautomatische Anlage (ADR-Anlage). Vollautomaten benötigen i.d.R. eine lange Anpasszeit an ein Prüfteil (Wochen) und sind auf nur wenige Prüfteile beschränkt. Die Bildverarbeitung wird genauestens an diese wenigen Prüfteile angepasst, so dass bei hoher Empfindlichkeit nur ein Minimum an Fehl-Detektionen erfolgt. Der große Vorteil dieser Anlagen ist der hohe Durchsatz sowie eine große Prüfsicherheit, da keine "Formschwächen" eines Operators das Prüfergebnis beeinflussen können.

Die Semi-Automatik verbindet die Vorteile beider Prüfarten miteinander, die Prüfsicherheit wird durch den "Vorschlag" des Systems erhöht. Die Teilevielfalt kann groß sein, da keine langwierige Anpassung notwendig ist. Prüfteil und Lagetoleranzen nehmen keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Letzten Endes kann ein höherer Durchsatz erzielt werden, da der Operator sich visuell auf die großen Fehler konzentrieren kann, bei den kleinen bekommt er Unterstützung durch den Rechner.

Tests haben ergeben, dass durch die Semi-Automatik bei vergleichbarer Fehlererkennungsrate durch den Operator die mittlere Prüfzeit für ein Teil von 40s auf 28s reduziert werden kann. Dasselbe Teil wird mit einer ADR Anlage in 12s geprüft.

Unter diesen Bedingungen kann berechnet werden, dass sich die ADR Anlage ab ca. 900 Prüfteilen pro Tag rentiert - verglichen zur visuellen Inspektion ohne Semi-Automatik. Durch den Einsatz der Semi-Automatik verschiebt sich die Schwelle auf ca. 1250 Teile pro Tag (siehe Abbildung 6).


Abb 6: Kostengegenüberstellung Voll-Automat, Semi-Automatik und visuelle Prüfung.

Genauso lässt sich errechnen, dass ab ca. 230 Teilen pro Tag sich die Investition in die Semi-Automatik empfiehlt. In Abbildung 7 kann dies graphisch abgelesen werden.


Abb 7: Kostenvorteil der Semi-Automatik ab ca. 230 Teilen gegenüber visueller Prüfung.

Zusammenfassung

Die Nicht-Lineare Diffusion ist ein geeigneter Algorithmus für die Fehlererkennung ohne a priori Information in Gussteilen. Der Algorithmus bildet die Grundlage für ein Verfahren, das bei der visuellen Röntgenprüfung den Operator bei der Fehlererkennung unterstützt. Der in eine Bildverarbeitungssoftware integrierte Algorithmus kann leicht an verschiedene Prüfaufgaben angepasst werden, da sich die Fehlergrößen und Detektionsschwellen per Schieberegler leicht einstellen lassen, sowie der Hintergrund ausgeblendet werden kann. Die hier vorgestellte Semi-Automatik markiert mit Hilfe des Algorithmus die potentiellen Fehler, so dass der Operator einen detaillierteren Überblick über im Bild vorhandene Anomalien bekommt.

Praxis-Tests haben gezeigt, dass der Durchsatz in der Kleinserienprüfung um 25% gesteigert werden kann, was sofort einen Zeitvorteil und ab ca.230 Prüfteilen pro Tag einen Kostenvorteil bringt.

Referenz

  1. C.Schnörr, "Unique Reconstruction of Piecewise-Smooth Images by Minimizing Strictly Convex Nonquadratic Functionals", Journal of Mathematical Imaging and Vision, Vol.4, 1994, pp.189-198.

STARTHerausgeber: DGfZPProgrammierung: NDT.net