Gastronomie

Wirtsfamilien-Ära in Glatt geht zu Ende

Walter und Edeltraud Hellstern schließen das Hotel Kaiser zum 30. Juni. Mangels familiärer Nachfolge haben die Inhaber das Haus an einen privaten Investor verkauft. Dieser möchte das Drei-Sterne-Haus weiterführen. Der scheidende Chef erinnert sich an Feste und Gäste und spricht über den Wandel der Branche.

13.04.2018

Von Cristina Priotto

Erbe verpflichtet: Walter Hellstern führt das Hotel Kaiser in Glatt seit 1980 – seit der Gründung in sechster Generation. Gegenüber derRezeption hängen zwei Portraits der Urgroßeltern. Die zweite Ehefrau Edeltraud unterstützt den gelernten Koch seit 15 Jahren. Bilder: Priotto

Erbe verpflichtet: Walter Hellstern führt das Hotel Kaiser in Glatt seit 1980 – seit der Gründung in sechster Generation. Gegenüber der Rezeption hängen zwei Portraits der Urgroßeltern. Die zweite Ehefrau Edeltraud unterstützt den gelernten Koch seit 15 Jahren. Bilder: Priotto

Die gerahmten „Grund-Acten des Königlichen Kreis-Gerichts“ an der Wand hinter dem Stammtisch im Anbau des Hotels Kaiser in Glatt weisen Anton Hellstern als Besitzer des Anwesens seit dem Jahr 1780 aus. „Dieses Haus hat eine sehr lange Geschichte“, sagt Walter Hellstern und betrachtet das historische Dokument nachdenklich.

Doch die Ära der Wirtsfamilie Hellstern, deren Wappen den großen Saal ziert, wird im Glatttal bald enden: Zum 30. Juni schließen Walter und Edeltraud Hellstern das Traditions-Hotel und gehen in den Ruhestand.

Seit der Kindheit im „Kaiser“

Dieser Schritt fällt dem gebürtigen Glatter sehr schwer, ist Walter Hellstern doch in sechster Generation Chef des Betriebs im Herzen des Orts gewesen. 66 Jahre alt ist der gelernte Koch, die zweite Gattin Edeltraud zählt 72 Jahre. „Mit zunehmendem Alter wird vieles anstrengender“, meint der Gastronom aus Leidenschaft im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE, und es klingt Bedauern aus der Stimme.

Das ganze Leben hat Hellstern, der mit drei Schwestern in Glatt aufwuchs, im „Kaiser“ verbracht und war von Anfang an im elterlichen Betrieb eingespannt. Anfangs gehörte auch Landwirtschaft dazu. Der berufliche Werdegang schien vorgezeichnet, und Walter Hellstern verrät: „Ich wollte schon früh Koch oder Landwirt werden“. Letztlich fiel die Wahl auf eine Koch-Ausbildung, die der Wirtssohn im „Hotel Bären“ in Freudenstadt absolvierte.

Im Jahr 1980 übernahm Walter Hellstern Hotel und Restaurant von seinem Vater Anton – und stand seither fast jeden Tag selbst am Herd.

Ein spezielles Lieblingsgericht hatte der Koch nicht: „Mir gefällt die Vielfalt, und vor allem die regionale und saisonale Küche haben mich immer fasziniert“, erzählt Hellstern. Dies liegt mit daran, dass der „Kaiser“ auch eine landwirtschaftliche Vergangenheit hat. Bis heute gehören der Inhaber-Familie Hellstern landwirtschaftliche Flächen im Glatttal. Zudem diente das Gasthaus als Posthilfstelle und Umspannstation für Kutschpferdewechsel. Im ehemaligen Rinderstall befindet sich mittlerweile die modern eingerichtete Küche. Der Speisesaal wurde von 1930 bis 1932 angebaut. „Früher wurde dort Theater gespielt, einschließlich Bühne und Kulissen, und auch der Musikverein trat diverse Male hier auf“, erinnert sich der Inhaber. Die Glatter Vereine nutzten den Anbau ebenfalls häufig für Veranstaltungen. Für Familienfeiern war das „Hotel Kaiser“ ebenfalls immer einer beliebte Adresse: Ganze Dynastien aus der Region haben dort besondere Anlässe begangen. „Es gibt etliche Familien, da haben schon die Großeltern hier geheiratet, dann folgten nach einiger Zeit die Kindstaufen, später Kommunion, Konfirmation und wieder Hochzeit, und jetzt werden schon die Enkel konfirmiert“, verweist Hellstern auf die enge Bindung vieler Menschen aus der Region an die Traditions-Gaststätte. Die Kommunionen der eigenen drei Kinder erlebte der Koch indes nur teils mit – denn da rührte der Chef selbst in den Töpfen.

Doch auch darüber hinaus hat das Restaurant Stammgäste aus einem Einzugsgebiet von Stuttgart bis Villingen und zur Schwäbischen Alb, die jedes Wochenende kommen. „Normalerweise ist es sonntags voll mit 140 Gästen“, erzählt Hellstern mit Stolz.

Manche Hotel-Gäste beherbergt der Inhaber seit 38 Jahren. „Das ist über die Jahrzehnte gewachsen, und das Aufhören fällt mir auch deshalb schwer, weil ich mit den Gästen alt geworden bin“, sagt der Mittsechziger. Durch die Lage Glatts am Neckartal-, Drei-Täler- und Hohenzollern-Radweg konnte der „Kaiser“ immer auch auf Fahrradtouristen bauen. Viele nutzten aber auch die Pauschal-Angebote rund ums Wandern
– zumal die Inhaber als besonderen Service den Gepäcktransport von und bis Tübingen anboten.

Umzug nach München

Weniger stark frequentiert ist hingegen mittlerweile der Stammtisch: „Es gibt ihn nicht mehr so wie früher“, beschreibt Hellstern die Entwicklung. Die Vereine bilden jedoch nach wie vor eine treue Klientel. „Einige begleiten wir schon seit Jahrzehnten“, sagt Walter Hellstern wehmütig.

Doch nach einigen Operationen ist der „Kaiser“-Chef gesundheitlich angeschlagen. Die Gastronomie fordert jedoch immer vollen Arbeitseinsatz. Zudem ist das Glatter Drei-Sterne-Haus inzwischen das einzige am Ort, das noch Fremdenverkehr mit Halb- oder Vollpension anbietet. Gerade im Ferienbereich sei der Aufwand noch größer. Mit Mitte 60 und Anfang 70 fühlt sich das Ehepaar Hellstern den gewandelten Anforderungen nicht mehr gewachsen.

Nach zweijähriger vergeblicher Suche nach einem Nachfolger außerhalb der Familie haben Hellsterns das Hotel und Restaurant an einen privaten Investor verkauft. „Wir haben selbst versucht, einen Nachfolger zu finden, aber Gastronomie ist nicht gut zu veräußern“, weiß Walter Hellstern. Wenn, dann geschehe dies häufig unter Wert. Dabei standen die Chancen auf eine familieninterne Weitergabe an die nächste Generation eigentlich gut: Zwei von Hellsterns Kindern haben ebenfalls eine gastronomische Laufbahn eingeschlagen. Die jüngere Tochter und der Sohn absolvierten eine Koch-Lehre.

Allerdings heiratete die Jüngste in einen Restaurant-Betrieb auf der Schwäbischen Alb ein, und dem Sohn fehlt es an einer Partnerin, um den Familienbetrieb in Glatt mit 70 Betten und Platz für 140 Gäste im Restaurant zu übernehmen. Die älteste Tochter ist im medizinischen Bereich tätig.

Nach 38 Jahren an der Spitze des Hauses, unzähligen Wochenenden und Feiertagen in der Küche kann der 66-Jährige es Jüngeren ein Stück weit aber auch nicht verübeln, einen anderen Weg einzuschlagen: „Wer will schon jedes Wochenende arbeiten?“, fragt Walter Hellstern, der 35 Jahre lang Köche ausgebildet hat, rhetorisch.

Seit zwei Jahren hatte der „Kaiser“ zu Weihnachten und Silvester nicht mehr geöffnet – es fand sich kein Servicepersonal dazu bereit.

Die Zukunft der fünf Festangestellten und der fünf Teilzeitkräfte ist noch offen. Der Investor möchte erst Einiges renovieren und umbauen, plant aber die Fortführung des Hotels und der Gastronomie
– ein Pächter vorausgesetzt.

Die Wohnung im Obergeschoss des „Kaisers“ wird das Wirte-Paar bals räumen müssen. Dann zieht es Hellsterns zunächst nach München. Ganz den Kochlöffel abgeben muss Walter Hellstern nicht: „Im Restaurant meiner Tochter auf der Alb dürfte ich helfen“, sagt der Gastronom strahlend.

Wenn der „Kaiser“ wiedereröffnet, wollen Walter und Edeltraud Hellstern mal nach Glatt kommen – dann aber als Gäste.

Ursprünglich war das „Gasthaus zum Deutschen Kaiser“ von Anton Hellstern auch Posthilfstelle und Umspannstation für Pferdewechsel der Kutschen.

Ursprünglich war das „Gasthaus zum Deutschen Kaiser“ von Anton Hellstern auch Posthilfstelle und Umspannstation für Pferdewechsel der Kutschen.

Wirtsfamilien-Ära in Glatt geht zu Ende

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13.04.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 13.04.2018, 01:00 Uhr

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