Abgemagert und ekstatisch

24.2.2010, 00:00 Uhr
Abgemagert  und ekstatisch

© Harald Hofmann

Die von der Galerie «arsprototo» ausgestellten Arbeiten des Berliner Bildhauers sind sämtlich in Holz gehauen und Hans Scheib betont den Materialcharakter des Holzes auch in der figürlichen Plastik. Holz ist ein widerständiges Material, dessen Sprödigkeit man entweder glätten oder expressiv hervorheben kann. Scheib hat sich für die raue Wirklichkeit des Holzes entschieden. Unebenheiten und Risse des rohen Stammes leisten einen entscheidenden Beitrag zu einer fast malerisch gestalteten Oberfläche.

Überlieferte Haltungen

Hans Scheib zitiert in seinen Darstellungen der menschlichen Figur die klassischen Motive der Stehenden und Sitzenden oder der Porträtbüste. Sie treten aber ohne illusionistischen Anspruch auf, die überlieferten Haltungen expressiv gesteigert und überhöht bis zu einer ausgesprochen ekstatischen Gestik. Seine fast zum Skelett abgemagerten Mädchen und Frauen entwickeln eine tänzerische Bewegtheit, ohne dass die statuarische Körperlichkeit davon beeinträchtigt wird.

Gegen alle naturalistischen Ansprüche richtet sich der Einsatz der Farbe, mit der Scheib Details wie Haare und Gesichtszüge akzentuiert. Dieser fragmentarische Charakter der Farbe relativiert die statuarische Gewissheit der Figuren, die trotz ihrer extremen Verschlankung nie stilisiert erscheinen, sondern von überraschender anatomischer Exaktheit zeugen. Die Farbe trägt zur Steigerung des expressiven Gestus ins Morbide bei: Scheibs Totenköpfe treten dadurch im Zustand der halben Verwesung auf. Umgekehrt verstärkt die vollständige farbige Fassung der Porträtbüsten das Künstliche ihrer Erscheinung auch darin, dass sie sich wie ironische Zitate aus der Kunstgeschichte ausnehmen.

Tatsächlich gibt sich auch die Morbidezza als ironisches Spiel zu erkennen, gewissermaßen die Konsequenz aus der Abmagerung der Figuren. Bestätigt wird damit der Bruch mit jeder realistischen Illusion. Das «Mädchen mit Reifen» spielt mit einem industriell gefertigten Ready made-Reifen. Das illusionistische Modell der Wahrnehmung, das immer von der Einheit des Artefakts ausgeht, wird damit durchbrochen.

Die Figurengruppe der Dame mit zwei aggressiven Hunden steigert die Plastik zur variablen Installation: Je nach Platzierung der Hunde erzählt sie eine andere Geschichte. Schließlich präsentiert die Ausstellung auch den Bildhauer als Zeichner mit einer Serie von Kaltnadelradierungen. Sie reduzieren das morbide Motiv der in der Wiener Kapuzinergruft gelagerten Habsburger-Leichen ins körperlos Skizzenhafte. KURT JAUSLIN

Hans Scheib: Skulptur und Kaltnadelradierung. Galerie arsprototo, Henkestraße 66. Bis 10. April, Mi. bis Fr. 15 bis 20 Uhr, Sa. 11 bis 16 Uhr.