Fall 3 der Weihnachtsaktion

Gewalt überschattete ihr Leben, trotzdem schaffte Syrerin einen Neustart

16.11.2021, 07:45 Uhr
Haifa K. kann hoffentlich bald ohne fremde Hilfe für für ihre Kinder und sich selbst sorgen - als frisch ausgebildete und gefragte Pflegekraft. Ein wenig Unterstützung benötigt sich nach all dem, was hinter ihr liegt, allerdings noch. 

© Christoph Schmidt, dpa Haifa K. kann hoffentlich bald ohne fremde Hilfe für für ihre Kinder und sich selbst sorgen - als frisch ausgebildete und gefragte Pflegekraft. Ein wenig Unterstützung benötigt sich nach all dem, was hinter ihr liegt, allerdings noch. 

Blitzsauber ist die Wohnung, in der Haifa K. (Name geändert) zum ersten Mal seit vielen Jahren zur Ruhe kommen will. Noch sind die Wände kahl, es fehlen Lampen und Möbel. Doch hier hofft die 36-Jährige ihren vier Kindern und sich selbst endlich das sichere und wohnliche Zuhause schaffen können, das ihnen so lange gefehlt hat.

Aber noch ist die Angst, das kleine Glück könnte wieder zerbrechen, ihr ständiger Begleiter. Denn Haifa K. hat sich bislang nur selten sicher fühlen können in ihrem Leben. Erst floh sie vor den Bombenangriffen des syrischen Bürgerkriegs, dann vor ihrem gewalttätigen Ehemann. Und weil eine Trennung in ihrem Kulturkreis nicht vorgesehen ist, lebt K. noch immer ein Stück weit auf der Flucht.

Sie war erst 17 Jahre alt, als ihre Familie sie in Damaskus zur Heirat mit ihrem Noch-Ehemann zwang. Eigentlich habe sie Medizin studieren wollen, erzählt die junge Frau. "Doch dann hat alles aufgehört." Statt sich zur Ärztin ausbilden zu können, wurde sie die, wie sie selbst sagt, "Dienerin" ihres Partners, musste nicht nur ihn, sondern auch dessen drei Brüder versorgen. Sie habe das ausgehalten, weil sie die Familienehre nicht beschmutzen wollte, sagt H..

Als ihr Mann im Irak Arbeit fand, blieb sie mit den mittlerweile vier gemeinsamen Kindern bei den Schwiegereltern - und geriet in die Hölle des syrischen Bürgerkriegs. "Meine Kinder haben zu viel erlebt", sagt K.. "Sie sind noch immer traumatisiert." Ihre älteste Tochter war neun, als sie sah, wie ein Mann mit einer Schusswunde blutend auf der Straße zusammenbrach. Bis heute, sagt die Mutter, träume das Mädchen davon. Einer ihrer Söhne war in der Schule, als eine Bombe auf das Gebäude fiel - sieben Stunden bangten die Eltern um ihre Kinder.

Weil dem Ehemann vom Irak aus die Flucht nach Deutschland gelang, konnte die Familie 2016 ausreisen. In Franken strandete sie zunächst in einer Obdachlosenunterkunft, "es war schrecklich". Und auch, als die Sechs in eine eigene Wohnung ziehen konnten, fand K. keine Geborgenheit, sondern musste wieder die Gewaltausbrüche ihres Mannes ertragen. "Hier ist es noch schlimmer geworden als in Syrien", sagt Haifa. Dass sie rascher als ihr Partner die deutsche Sprache lernte und in den Kursen Freundinnen fand, habe ihr Mann nicht ertragen können. Haifa war schließlich so verzweifelt, dass sie nicht mehr weiterleben wollte und in eine Klinik kam.

Das war der positive Wendepunkt. Die Hilfe des Psychologen habe ihr Kraft gegeben, sagt K.. Mit der Unterstützung des Therapeuten fasste sie neuen Lebensmut und bewarb sich schließlich sogar um eine Ausbildung in der Krankenpflege. Als Siebtbeste unter rund 100 Teilnehmern hat sie diese gerade abgeschlossen und einen unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche: Pflegekräfte wie sie sind bekanntlich begehrt. Die Ehe jedoch ging darüber endgültig in die Brüche. Weil sie nicht auf die Arbeit verzichten wollte, "hat mein Mann mich rausgeschmissen".

Trotz der Erleichterung, wieder frei zu sein, macht ihr der Bruch mit der Tradition zu schaffen, zumal auch ihre eigenen Eltern nichts mehr von ihr wissen wollen. Dennoch baut sie sich mit den Kindern nun ihr eigenes Leben auf. Alle Vier haben sich in Deutschland gut eingelebt. Die Älteste macht im kommenden Jahr Abitur und will dann Medizin studieren, alle haben gute Noten. Mit ihrem Gehalt und dem Kindergeld wird Haifa K. die Familie künftig auch gut versorgen können, doch noch ist sie auf Unterstützung angewiesen.

Aus Angst, von den Angehörigen aufgespürt zu werden, musste K. noch einmal umziehen. Das Ausbildungsgeld reichte nicht für Kaution und Möbel, alle fünf schlafen auf Matratzen auf dem Fußboden, die Stühle am Esstisch sind nur geliehen. Dennoch ist die Familie endlich angekommen. Sie könne jetzt planen und habe ihren Weg gefunden, sagt die Krankenschwester. "Der nächste Sommer wird besser sein." Dabei will die Weihnachtsaktion helfen.

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