Hochgiftiges „Krokodil“ frisst Süchtige von innen auf

20.10.2011, 00:00 Uhr
Hochgiftiges „Krokodil“ frisst Süchtige von innen auf

© dpa

Die Mitarbeiter der Bochumer Krisenhilfe trauten ihren Augen nicht. Kleinere Abszesse ja, die kommen bei Drogensüchtigen immer wieder vor. Aber die Hautveränderungen, unter denen ihre Klienten litten, gingen über alles hinaus, was sie bislang gesehen hatten.

Vier Drogensüchtige hatten sich offenbar gepanschtes Rauschgift gespritzt. Rund um die Einstichstellen entwickelten sich erst kleine, dann immer größere und tiefere Löcher. Es sah so aus, als ob sich der Stoff in rasender Geschwindigkeit durchs Gewebe fressen würde. Die Haut begann zu faulen. Bei einer 23-jährigen Frau war die Zerstörung so weit fortgeschritten, dass die Amputation beider Arme drohte. Letztlich wurde ihr Oberschenkel-Haut auf die Arme verpflanzt.

Die Bochumer Krisenhilfe hat noch keine absolute Gewissheit. Aber sie geht davon aus, dass die Betroffenen an die hochgefährliche Droge „Krokodil“, auch „Krok“, gelangt sind. Krokodil, ein Heroinersatz, ist offenbar in Deutschland angekommen.

In Russland wird die Droge seit Jahren konsumiert. Sie wird als braune Flüssigkeit in kleinen Fläschchen verkauft. Angeblich sollen Tausende russischer Junkies auf dieses Rauschmittel umgestiegen sein, weil es viel billiger ist als Heroin. Krokodil, chemisch gesehen Desomorphin, wird in russischen Giftküchen gebraut. „Es wird aus Codein gemacht, das in Russland nicht rezeptpflichtig ist“, sagt Josef Setzer, Arzt auf der Entgiftungsstation des Nürnberger Klinikums. Setzer hat noch keinen Fall von Krok-Konsum erlebt. Er kennt die Droge bislang selbst nur aus Berichten über die katastrophalen Schäden, die sie anrichtet. Solche Berichte gibt es mittlerweile reichlich. Im Internet kursieren nicht nur Brau-Anleitungen, sondern auch Bilder von den Folgen.

Benzin untergemischt

Es sind die Zusatzstoffe, die die Schäden verursachen. Krokodil wird aus Codein, Jod und rotem Phosphor hergestellt. Es können Zündholzspitzen, Ameisensäure und Benzin beigemischt werden. „Im Rahmen der illegalen Herstellung werden die giftigen Restprodukte nicht aus dem Stoff entfernt“, warnt die Bochumer Krisenhilfe. Diese Gifte verursachen die „katastrophalen Weichteilschäden“.

Krokodil hat seinen Namen nicht von ungefähr. Die Haut wird schuppig. Das Gift zerstört das Gewebe. Es entstehen große offene Wunden. Krok frisst sich durch die Gliedmaßen und kann auch an Organen schwere, sogar tödliche Schäden hervorrufen.

„Es gibt nach dem einmaligen Konsum schon Reaktionen“, sagt Silvia Wilske, die Leiterin der Krisenhilfe in Bochum. „Dann kommt es darauf an, sich sofort in Behandlung zu begeben.“

Die betroffenen Klienten sagen — und das ist das Perfide daran —, dass sie nicht nach Krok gefragt, sondern wie immer Heroin gekauft hätten. Offenbar wurde teures Heroin mit preiswertem, gepanschtem Krokodil gestreckt. Die Polizei im Ruhrgebiet ermittelt. Sie versucht herauszufinden, wer das gefährliche Gemisch auf den Markt gebracht hat. Die Staatsanwaltschaft stellte den Konsumenten sogar Straffreiheit in Aussicht, falls sie sich zu einer Aussage bereiterklären würden. Doch die Betroffenen, die Hinweise geben könnten, sind abgetaucht.

Die Gefahr, dass sich Krok ausbreiten und zu einem echten Problem in der Drogenszene werden könnte, wird ganz unterschiedlich eingeschätzt. Der Nürnberger Mediziner Josef Setzer hält mit seiner Befürchtung nicht hinterm Berg. „Das kann auch bei uns kommen.“

Der Münchner Drogenexperte Felix Tretter, Chef des Kompetenzzentrums Sucht des Isar-Amper-Klinikums, hält den Ball lieber flach. Er rechnet nicht mit einer Verbreitungswelle.

Keine Nachfrage?

„Angesichts des guten Versorgungssystems für Heroinabhängige ist das unwahrscheinlich“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Bei den extremen Nebenwirkungen von Krok und dem vergleichsweise dichten Betreuungsnetz mit gut eingeführten Methadon-Angeboten in Deutschland fehle die Nachfrage der Süchtigen. In Drogen-Elendsvierteln in Hamburg, Berlin oder Köln oder in Städten mit einer starken deutsch-russischen Szene halte er aber Einzelfälle für möglich.

Eine deutsch-russische Drogenszene, die gibt es auch in Nürnberg. Die Nürnberger Drogenhilfe-Einrichtung Mudra streckt unter anderem dorthin ihre Fühler aus. Krok spiele im Großraum bislang aber keine Rolle, sagt Bertram Wehner von der Mudra. Auch die Nürnberger Kripo und das Bayerische LKA haben bislang keinerlei entsprechende Hinweise.

Wehner hofft, dass die Fälle im Ruhrgebiet die große Ausnahme bleiben. Er hält diese Hoffnung nicht für unrealistisch. Schließlich macht der Verkauf von Krokodil nicht einmal aus Dealer-Sicht Sinn. Es mag zynisch klingen, aber Wehner bringt es auf den Punkt: „Die Dealer können doch kein Interesse daran haben, dass ihre Leute früher sterben.“

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