Nervtötendes Warten am Bahnhof

26.10.2010, 22:57 Uhr
Nervtötendes Warten am Bahnhof

© Stefan Hippel

Genervt sitzen die fünf Tobolewskis auf ihren Koffern. In Djerba unter der tunesischen Sonne hatten sie zwei Wochen Kraft getankt. Doch davon ist jetzt, morgens um halb sieben in der Mittelhalle des Nürnberger Hauptbahnhofs, nichts mehr zu merken. Sie sind müde. Und sie wollen heim. Endlich, endlich heim nach Thüringen.

Die sechs Stunden Wartezeit nachts am Münchner Hauptbahnhof hatten sie noch einigermaßen weggesteckt. Aber der nächste Zwangsstopp in Nürnberg ist zu viel. Nur sechs Minuten hätte der Anschlusszug nach Saalfeld auf ihren verspäteten ICE aus München warten müssen. Hat er aber nicht. „Das verstehe ich einfach nicht, dass das an einem solchen Tag wie heute nicht möglich ist“, sagt Mutter Sabine. Die Eltern erkunden, wie ihre Heimfahrt weitergehen könnte. Die Kinder bewachen derweil die Koffer. Und sind zu müde, um sich darüber zu freuen, dass es heute mit der Schule garantiert nichts mehr wird.

Übermüdete Urlauber

Streik im Zugverkehr und im öffentlichen Nahverkehr gleichzeitig — das bedeutet enttäuschte, übermüdete Urlauber, hektische Geschäftsreisende und wütende Pendler. Manche toben während des Wartens, reagieren sich ab an denen, die ihnen eigentlich helfen wollen. Am Servicepersonal im Nürnberger Hauptbahnhof etwa. Andere leiden stumm. Wie die ältere Frau am Bahnhof in Forchheim, die ihre Tochter in Duisburg besuchen will. Eine Stunde lang bibbert sie am Bahnsteig bei minus einem Grad vor sich hin. Als sie ihn gegen sieben Uhr kurz verlässt, um einen Kaffee zum Aufwärmen zu holen, kommt der Zug. Sie verpasst ihn. Sie seufzt nur und wartet auf den nächsten.

„Was mich bedrückt, sind die Auswirkungen auf die Pendler“, sagt Johann Gebhardt offen. Dabei ist er als Organisationssekretär der Gewerkschaft Transnet deren Streikleiter in Nürnberg. Und er steht zu diesem bundesweiten Warnstreik und dessen Zielen. Also der Forderung nach einem Branchentarifvertrag, der auch den 10000 Mitarbeitern der sechs kleinen Privatbahnbetreibern zugute kommen soll. Dennoch würde Gebhardt sein Anliegen gerne anders anbringen. „Aber es bleibt uns nur der Streik.“

Das sehen auch Zugchefin Claudia Hanke und Lokführer Dirk Richter so, die zusammen mit ihren Kollegen morgens um fünf Uhr auf Gleis 23 in Nürnberg bei ihrer Streikversammlung frieren. Etwa 40 Leute stehen hier. Die Transnet hat sie strategisch ausgewählt. So gelingt es, mit wenig Aufwand in drei Streikstunden den Zugverkehr in Nürnberg zeitweise sogar ganz auszubremsen.

Bundesweit legen rund 1700 Mitglieder von Transnet und der befreundeten GDBA die Arbeit befristet nieder. Doch sowohl die Deutsche Bahn, als auch die Privatbahnbetreiber Veolia und Co. gaben sich hinterher unbeeindruckt. Die Gespräche zwischen Gewerkschaften und DB gehen am Freitag weiter. Bis dahin wird auf keinen Fall mehr gestreikt.

GDL hängt sich an

Das zeitgleich zum Bahnstreik auch der öffentliche Nahverkehr in einigen bayerischen Städten bestreikt wurde, hat mit all dem gar nichts zu tun. Die Gewerkschaft GDL hatte sich kurzfristig an die Aktion der Transnet angehängt. Dabei sind die beiden traditionell tief verfeindet. Die GDL hatte den Bahnstreik sogar noch in einem offenen Brief heftig kritisiert. Um nur wenige Stunden später anzukündigen, dass sie ihre Mitglieder unter den Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnfahrern zum Streik aufruft.

Dabei hatte ihr das Nürnberger Landesarbeitsgericht erst vor zwei Wochen Streiks im Bereich der VAG Nürnberg untersagt. Doch die GDL unterlief das Gerichtsurteil, in dem sie ihre Ziele änderte. Jetzt geht es offiziell nicht mehr um die Schichtzeiten, sondern um mehr Geld. Die VAG nahm den Zickzack-Kurs irritiert zur Kenntnis. Und meldet am Abend, der Streik sei fast völlig verpufft: „90 Prozent des Angebots im städtischen Nahverkehr konnten gefahren werden.“

Die Fahrgäste, die es dennoch erwischt, kümmern solche Feinheiten wenig. Sie kommen zu spät zur Arbeit oder nicht zur Tochter. Wer kann, steigt aufs Auto um. Und kocht dann im Stau vor sich hin.

Bilder und ein Video vom Streik im Internet unter www.nn-online.de