Düsseldorf. Viele Bahn-Anwohner leiden in Düsseldorf unter Lärmbelastung. Elke Wagner aus Angermund ist eine von ihnen. Was sie wollen und was die Bahn sagt.

Nordrhein-Westfalen ist in vielerlei Hinsicht ein Spitzen-Bundesland: Das höchste BiP, die meisten Menschen – aber eben auch die höchste Lärmbelastung. Nach Zahlen von Statista leben hier 30 % der Menschen, die unter Schienenverkehrslärm leiden. In NRW leben aber nur 21 Prozent der deutschen Bevölkerung. Nachts wird es nur geringfügig besser, der Anteil geht auf 28 Prozent zurück.

Nach Angabe des Eisenbahnbundesamtes (EBA) sind im Düsseldorfer Stadtgebiet „insgesamt rund 7900 Einwohner“ von „Eisenbahnlärm über den gesamten Tag größer gleich 65 Dezibel (dB) betroffen“. Das wäre ein gutes Prozent der Düsseldorfer. Demnach wäre es recht still in der siebtgrößten Stadt Deutschlands. Und das, obwohl die Landeshauptstadt von gleich mehreren sogenannten Haupteisenbahnstrecken zerteilt wird. Im EBA-Jargon sind Haupteisenbahnstrecken Strecken mit als 30.000 Zugbewegungen im Jahr. Und da sollten tatsächlich weniger als 8000 Düsseldorfer von Eisenbahnlärm betroffen sein?

Alexander Führer von der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm (BSV) hat da so seine Zweifel. Er überschlägt, dass in Düsseldorf bis zu 100.000 Menschen von Schienenlärm betroffen sein könnten. Und damit meint er wohlgemerkt ausschließlich die Lärmbelastung durch die Eisenbahn, die 132,5 Kilometer oberirdische Rheinbahnstrecke seien da noch gar nicht berücksichtigt. Dabei ist klar, dass die BSV kein getarnter Autofahrerverband ist: „Schienenverkehr ist eine gute Sache. Es kann aber nicht sein, dass die Menschen, die in der Nähe der Schiene wohnen, darunter zu leiden haben.“

Anwohner in Angermund leiden unter 680 Zügen pro Tag

Genau das ist aber bei Elke Wagner aus Angermund der Fall. Sie ist Vorsitzende der Initiative Angermund und nicht sehr gut auf Bahn und EBA zu sprechen: „Ich wohne 60 Meter von den Gleisen entfernt, ich bekomme den Lärm am Grundstück, im Garten, im Haus ab – überall. Im Sommer können wir nicht bei offenem Fenster schlafen“, der Garten sei kaum benutzbar.

Wagner und ihre Familie leben seit 17 Jahren im eigentlich beschaulichen Stadtteil. Als sie das Grundstück damals gekauft hatte, wusste sie natürlich, dass hier ein Schienenweg verläuft. Damals habe mit der Bahn eine Absprache gegolten, nach der zeitnah in den Lärmschutz investiert werden sollte, „von der entsprechenden Liste wurden wir stillschweigend heruntergenommen. Jetzt heißt es, wir sollten auf den Ausbau des RRX warten, dann würde, weil es sich um eine neue Strecke handele, wieder in den Lärmschutz investiert.“ Ihre Kinder seien mittlerweile im Lärm aufgewachsen, weil seit 17 Jahren nichts passiert sei. Wobei: „Die Frequenz der Züge wurde stetig erhöht. Damals war es schon laut, aber nicht so schlimm wie heute. Es wurden Nebenstrecken stillgelegt – die Züge fahren jetzt hier.“

Durch Angermund fahren täglich 680 Züge oder anders ausgedrückt: Alle zwei Minuten rast ein Zug durch den Stadtteil. Und nicht nur das kleine Angermund mit seinen gut 6.500 Einwohnern ist betroffen. Die Zahl gilt auch für Flingern, Derendorf, Mörsenbroich und Unterrath. Allesamt Stadtteile, die die Deutsche Bahn in einer Auflistung der Lärmschutzprojekte, die unserer Redatkion vorliegt, nicht nennt. Die Lärmkartierung des EBA macht deutlich, wo Schienenlärm in der Landeshauptstadt überall ein Thema ist. Ob Stadtmitte, Oberbilk, Friedrichstadt, Bilk, Lierenfeld, Hassels oder Hellerhof – überall dort verlaufen hochfrequentierte Strecken.

BSV-Vorsitzender Führer dazu: „Die Strecke Köln-Duisburg ist eine sogenannte TEN-Strecke, also Teil des Transeuropäischen Netzes. Hier fährt jetzt schon alles durch. Wenn hier für den RRX noch zwei Gleise hinzukommen, sind das keine 680 mehr, dann sind wir schnell bei 1000.“ Es sei endlich an der Zeit, so der BSV, auch mal „verrückter“ zu denken, schließlich seien ewige Lärmschutzwände auch keine Lösung, da sie „den Lärm, der oben am Stromabnehmer entsteht, in der Regel gar nicht abschirmen können. Es sei denn, man macht sie sechs Meter hoch. Aber was die Anwohner dann sagen, wenn sie statt des Sonnenuntergangs eine sechs Meter hohe Wand bewundern dürfen, kann man sich vorstellen.“ Der BSV plädiert daher für Überdachungen und Einhausungen: „Das kostet alles Milliarden, klar. Aber entweder macht man es einmal richtig, oder wir machen weiter wie bisher.“

Kritiker bieten einfache Lösung

Doch die BSV und die Initiative Angermund bringen auch einfachere Vorschläge ins Spiel: „Es würde ja schon reichen, wenn die Züge wenigstens langsamer fahren würden“, sagt Elke Wagner. „Im Moment rauschen die hier mit 200 km/h an den Gärten vorbei.“ Und nicht nur an den Gärten: Vor allem für die Kinder aus dem westlichen Teil Angermunds führt der Schulweg zur örtlichen Grundschule an der Straße Zur Lindung und damit an den Gleisen entlang. „Die Kinder bräuchten Ohrschützer, das tut einem weh, das zu sehen. Wir alle wissen, dass Lärm krank macht, bei Kindern gilt dies in besonderem Maße.“

Und die in Angermund auftretenden Belastungen sind erheblich. Die Bahn spricht von Werten oberhalb von 65 dB. Messungen, die von der Initiative in Auftrag gegeben worden sind, fallen oberhalb von 90 dB aus. Diese „Riesendiskrepanz“ habe derweil einen recht einfachen Grund: „Die Bahn berechnet und misst nicht. Die 65 dB entstehen am Schreibtisch, unsere Werte vor Ort.“

Auch der BSV kann nicht nachvollziehen, warum es für Züge keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. „Warum geht bei der Bahn nicht, was beim Auto geht?“ Und Wagner meint: „Die Bahn muss endlich Verantwortung übernehmen. Ich kann mich nicht als Umweltschützer par excellence hinstellen und dann achte ich nicht auf die Lärmemissionen. Ich wünsche mir mehr Verantwortung für die Menschen, die hier leben. Das vermisse ich beim Staatskonzern Deutsche Bahn.“ Die Vorschläge zur Geschwindigkeitsdrosselung hätten bei der Bahn bisher nicht verfangen: „Da hieß es nur: Geht nicht, machen wir nicht.“

Lärmschutz: Deutsche Bahn investiert in Düsseldorf über fünf Millionen Euro

Die Deutsche Bahn verweist auf NRZ-Anfrage darauf, dass sie bereits mehr für den Schallschutz tue, als ihr gesetzlich vorgeschrieben werde. Die Sachlage sei folgende, berichtet ein DB-Sprecher: „Für existierende Strecken gilt das Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht.“ Dennoch investiere die Bahn kräftig, seit 1999 seien bereits über 1,8 Milliarden Euro „in die Lärmsanierung von über 2100 Kilometern Schienenstrecke und rund 65.000 Wohneinheiten investiert“ worden.

Allein 2022 hätten bundesweit „über 41.500 Anwohner“ profitiert. In Düsseldorf seien insgesamt 5,2 Millionen Euro investiert worden, Schallschutzmaßnahmen haben laut Bahn bereits in Eller, Grafenberg, Rath, Benrath und Garath stattgefunden. Im Moment würden in Rath weitere zwei Kilometer Schallschutzwände aufgebaut.