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  4. Im November 1915 bekämpft die Stadt Gütersloh den Arbeitskräftemangel mit Kriegsgefangenen

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Gütersloh vor 100 Jahren: Die Stadt kontert den Arbeitskräftemangel mit Kriegsgefangenen

Speck zu guten Konditionen

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Hochgerüstete Germania: Die von der Buchhandlung Daltrop äußerst patriotisch gestaltete Postkarte aus dem Dezember 1915 zeigt das katholische Elisabeth-Hospital hinter der Kapelle an seinem alten Standort Am Domhof. | © Stadtarchiv Gütersloh

Hochgerüstete Germania: Die von der Buchhandlung Daltrop äußerst patriotisch gestaltete Postkarte aus dem Dezember 1915 zeigt das katholische Elisabeth-Hospital hinter der Kapelle an seinem alten Standort Am Domhof. | © Stadtarchiv Gütersloh

24.11.2015 | 25.01.2016, 15:01

Gütersloh. "Recht lebhaft und eingehend" diskutierte die Stadtverordnetenversammlung am 26. November 1915 über eine Erweiterung des städtischen Abwasserkanalnetzes, deren Kosten auf gut 19.000 Mark berechnet worden waren. Die Köker- und die Strengerstraße sowie der Domhof, der Alte Kirchhof und die Bahnhofstraße (heute Eickhoffstraße) waren bisher noch nicht angeschlossen.

Die Erweiterung war nicht zuletzt Resultat des Vertrags, den die Stadt mit der Reichsbahn zum viergleisigen Ausbau der Verbindung Köln-Hannover geschlossen hatte, was zu einer Verlagerung des alten Bahnhofsgebäudes in Richtung Innenstadt führen würde. Die Reichsbahn hatte die Kanalerweiterung in den Vertrag aufgenommen. Nach Ansicht des Stadtverordneten Carl Stahl sei die Erweiterung auch aufgrund der in den betreffenden Straßen ansässigen Gewerbebetriebe erforderlich, bei denen unter anderem fetthaltige Abwässer entstünden, die derzeit ungeklärt in den Regenwasserkanal gelangten. Darüber hinaus müsse das Elisabeth-Hospital, das damals am Domhof stand, unbedingt angeschlossen werden. Die Erweiterung des Kanalnetzes erzwang nach Ansicht der Verwaltung auch einen Ausbau der Kläranlage, die mit 29.000 Mark veranschlagt wurde. Mehrere Stadtverordnete hielten diesen Teil des Projektes für verzichtbar.

Stadtbaumeister Ludwig Schluckebier hielt dem entgegen, dass die Anlage schon jetzt unterdimensioniert sei, weil nach den Plänen von 1910 bereits zwei sogenannte Emscher-Brunnen vorgesehen waren, die Stadt aber aus Kostengründen nur einen habe bauen lassen. Ein weiterer Emscher-Brunnen sei daher in jedem Fall unverzichtbar, und die Bezirksregierung werde die Erweiterung des Kanalnetzes nur bei gleichzeitiger Neuanlage eines Brunnens genehmigen. In geheimer Sitzung wurde der Ausbauplan schließlich mit Mehrheit genehmigt.

In der gleichen Sitzung beschlossen die Stadtverordneten, das Kriegsgefangenarbeitskommando, das aktuell noch vom Kreis unterhalten wurde, für den Betrag von 672 Mark in eigene Hände zu nehmen, um dem kriegsbedingten Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. "Arbeit sei noch hinreichend vorhanden", erklärte Stadtbaumeister Schluckebier in der Begründung des Antrages und empfahl eine Aufstockung von derzeit 80 auf 100 Kriegsgefangene, dem die Versammlung zustimmte.

Die Aktiengesellschaft der Fleischereifabrik Vogt & Wolf sah sich gegen Monatsende zu einer Erklärung bezüglich ihres Gewinns genötigt, der nach eigener Darstellung "vielfach kritisiert worden" war. Unausgesprochen stand der Vorwurf im Raum, die durch den Krieg entstandene Notlage, zum eigenen Vorteil ausgenutzt zu haben. Nach dem amtlichen Gutachten der Handelskammer konnten im vorangegangenen Geschäftsjahr 3,8 Millionen Pfund, das sind 1,9 Millionen Kilogramm Fleisch, abgesetzt werden. Der "Verdienst" belief sich auf zehn Prozent. Das sei vergleichbar mit einem Lebensmittelkaufmann oder einem Bauern.

"Was das günstige Ergebnis bei uns herbeigeführt hat, ist also lediglich die Menge des verarbeiteten Fleisches gewesen", lautete das Fazit im Rückblick. Jedoch räumten die Verantwortlichen ein, dass der Gewinn im laufenden Jahr 1915 höher ausgefallen war, weil das Unternehmen noch vor der jetzt eingetretenen kriegsbedingten Teuerung große Lagerbestände aufgebaut habe, die nun aus Unternehmenssicht "günstig" verkauft werden konnten.

Außerdem haben die Militär- und Zivilbehörden über das gesamte Jahr Speck zu guten Konditionen abgenommen, wohingegen Speck "sonst nur schwer zu erträglichen Preisen abzusetzen ist". Dem unausgesprochenen Vorwurf des Kriegsgewinnlertums widerspricht die Erklärung unmissverständlich: "Eine Lagerung der Ware, um höhere Preise zu erzielen, hat bei uns niemals stattgefunden."