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Paderborn

Als die Nazis Deutschlands Denker verjagten

Ausstellung im Westfalen-Kolleg zeigt die Ausbürgerungspolitik während des Dritten Reiches

Gegen das Vergessen: Juliane Baxmann (v. l.), Theodor Bergmann, Lothar Schulz, Manfred Krugmann und Mareike Friedenburg eröffnen im Westfalen-Kolleg die Ausstellung „Menschenschicksale – Die deutsche Staatsangehörigkeit im ’Dritten Reich’“. | © Marten Siegmann

Gegen das Vergessen: Juliane Baxmann (v. l.), Theodor Bergmann, Lothar Schulz, Manfred Krugmann und Mareike Friedenburg eröffnen im Westfalen-Kolleg die Ausstellung „Menschenschicksale – Die deutsche Staatsangehörigkeit im ’Dritten Reich’“. | © Marten Siegmann

28.04.2015 | 28.04.2015, 16:34

Es sind 45 Bildtafeln, sie stehen stellvertretend für tausende bewegender Geschichten. Bis zum Juni zeigt das Westfalen-Kolleg die Ausstellung „Menschenschicksale – Die deutsche Staatsangehörigkeit im ’Dritten Reich’“. Zur Eröffnung sprach Theodor Bergmann – ein Zeitzeuge, der die Ausbürgerung aus Nazi-Deutschland 1933 am eigenen Leib erfahren hat.

Bergmann, der im März seinen 99. Geburtstag gefeiert hat, hat die Anfänge der Nazi-Zeit selbst miterlebt. Als siebtes Kind einer Großfamilie wurde er 1916 im Berlin geboren und wuchs dort zu Zeiten der Weimarer Republik auf. „Noch schlimmer als das Elend, das damals herrschte, war das Aufkommen der Nazis“, sagt er rückblickend.

Bergmanns Vater war Rabbiner, die Kinder hingegen überzeugte Atheisten. Das ist noch heute so: „Ich glaube an nichts als den menschlichen Verstand“, sagt Bergmann. Dennoch: Auf dem Papier war er jüdisch. Nachdem am 27. Februar 1933 der Reichstag brannte, suchten SA-Männer kurze Zeit später auch seine Familie auf. „Am 7. März, meinem Geburtstag, standen sie vor der Tür“, sagt Bergmann. „Es war halb 5 Uhr morgens.“ Zwei Stunden später habe er am Bahnhof gestanden und auf den Zug gewartet, der ihn weg aus Deutschland bringen sollte. Zuflucht fand er in Israel, später in der Tschechoslowakei und Schweden. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück.

Hannah Arendt, Willy Brandt, Bertolt Brecht, Albert Einstein – auch zahlreiche Prominente standen auf der Liste derjenigen, die die Nazis ausbürgerten. Ihre Geschichten sind auf den Schautafeln der Ausstellung im Westfalen-Kolleg dargestellt. Originaldokumente zeigen die Gesetzesentwürfe von damals, Zeitungsausschnitte zeugen von der öffentlichen Zurschaustellung derjenigen, die im Dritten Reich unerwünscht waren. Lothar Schulz, pensionierter Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes, hat die Tafeln zusammengestellt und betreut die Ausstellung ehrenamtlich. „Die Nazis haben ungeheure Qualen erzeugt – und zwar mit Hilfe der Verwaltungsarbeit“, sagt Schulz. Noch heute gingen jährlich bis zu 4.000 Anträge auf Wiedereinbürgerung beim Bundesverwaltungsamt ein, denn auch Nachfahren haben ein Recht darauf, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen.

„Rassenlehre“ und Ideologie der Nazi-Zeit – beides Themen, die Lehrerin Mareike Friedenburg auch im Deutsch- und Geschichtsunterricht am Westfalen-Kolleg mit ihren Studierenden bespricht. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass die Ausstellung in Paderborn Station macht. „Über einen Kollegen hatte ich von der Möglichkeit erfahren“, sagt Friedenburg. Kollegleiter Manfred Krugmann unterstützte Friedenburg bei der Organisation. „Gerade jetzt, wo sich das Kriegsende zum 70. Mal jährt, ist der Zeitpunkt besonders passend“, sagt er. „Und mit Theodor Bergmann haben wir einen Zeitzeugen gefunden, der viel miterlebt und viel zu erzählen hat.“

Bis mindestens Anfang Juni bleibt die Ausstellung im Westfalen-Kolleg zu sehen. Von montags bis freitags ist sie zwischen 8 und 18 Uhr frei zugänglich. „Das genaue Ende ist noch offen“, sagt Lothar Schulz. „Das entscheiden wir später – je nachdem, wie groß das öffentliche Interesse ist.“