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Kompromiss gefunden

Tarifabschlüsse mit Privatbahnen: EVG und DB verhandeln Mittwoch weiter

Überraschend einigt sich die Eisenbahnergewerkschaft EVG mit einer Reihe von Privatbahnen auf einen neuen Tarifvertrag. 420 Euro Sockelbetrag bei 21 Monaten Laufzeit plus Inflationsprämie sind vereinbart.

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Die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn (DB) werden am Mittwoch in Berlin fortgesetzt. | © Thomas Banneyer/dpa

Die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn (DB) werden am Mittwoch in Berlin fortgesetzt. | © Thomas Banneyer/dpa

21.06.2023 | 21.06.2023, 06:00

Berlin. Seit Monaten schwelt der Tarifkonflikt zwischen der Eisenbahnergewerkschaft EVG und der Deutschen Bahn (DB). Jetzt könnte er ohne weitere Warnstreiks zu einem Ende kommen. Denn die EVG hat sich mit mehreren privaten Bahnunternehmen auf neue Tarifverträge geeinigt. Darunter ist die Transdev, das nach der DB größte Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland. Es gehört zu einem französischen Konzern.

Bei der Transdev-Gruppe mit Unternehmen wie der Bayerischen Regiobahn, der Nordwestbahn oder Transdev Hannover konnte die EVG eigenen Angaben zufolge eine Entgelterhöhung von insgesamt 420 Euro im Monat erreichen. Hinzu komme eine Inflationsausgleichsprämie von 1400 Euro. Die Laufzeit des neuen Tarifvertrags liege bei 21 Monaten.

Die Lohnerhöhung bei Transdev wird nach EVG-Angaben in zwei Schritten erfolgen: 290 Euro ab 1. November 2023 und weitere 130 Euro ab 1. August 2024 (für Nachwuchskräfte 150 und 70 Euro). Die Gewerkschaft forderte ursprünglich einen hohen Sockelbetrag für alle: 650 Euro. Für Mitarbeitende in höheren Tarifgruppen soll es 12 Prozent mehr Geld geben. Auf eine Inflationsausgleichsprämie, die nicht tarifwirksam wäre, wollte sich die EVG ursprünglich nicht einlassen.

Abschluss sieht nach einem tragfähigen Kompromiss aus

Jetzt aber sagte EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay nach dem Abschluss, die Deutsche Bahn solle sich an diesen Abschlüssen ein Beispiel nehmen. Der Transdev-Abschluss setze für diese Verhandlungen Maßstäbe. „Hier macht die Branche deutlich, was nötig ist, um die Leistungen der Beschäftigten auch finanziell zu honorieren.“

Insgesamt gelten die neuen Verträge für 3.500 Beschäftigte. Gemessen an den 220.000 Beschäftigten, für die die EVG verhandelt, ist das noch ein Bruchteil. Aber der Abschluss sieht nach einem tragfähigen Kompromiss aus: Die Privatbahnen haben einen vergleichsweise hohen Sockelbetrag akzeptiert. Die Deutsche Bahn hingegen setzt bislang auf gestaffelte prozentuale Aufschläge zwischen 8 und 12 Prozent. Zudem offeriert sie eine einmalige Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro.

Die Einigung kommt auch für die EVG überraschend. Zwar hat die Gewerkschaft stets parallel und abwechselnd mit allen infrage kommenden Eisenbahnunternehmen verhandelt, war aber gleichzeitig davon ausgegangen, dass zunächst ein Abschluss mit dem Branchenführer DB erzielt werden müsse, bis die kleineren Konkurrenten nachziehen.

Die kleinen Bahnen sind Vorreiter

Jetzt war es ausgerechnet die kleine norddeutsche Eisenbahn Niebüll, die in Nordfriesland Fahrgäste zu den Fähren nach Föhr und Amrum bringt und zudem eine Nebenstrecke nach Dänemark betreibt, die als erste einschlug und den „Stein ins Rollen brachte“. So schreibt es die EVG. 15 weitere Unternehmen, die unter anderem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Regionalverkehr betreiben, sowie die in mehreren Bundesländern aktive Transdev schlossen sich an.

Laut EVG-Verhandlungsführer Pierre Reyer war der 50-Stunden-Streik im Mai ausschlaggebend, um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Die DB hatte diesen Warnstreik vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main stoppen können, bei den Privatbahnen ging er dennoch über die Bühne.

Am Mittwoch tagt nun die Tarifkommission der EVG. Sie wird bewerten, ob das Ergebnis auch für die Verhandlungen mit der DB tauglich ist. Die am vergangenen Freitag unterbrochenen Gespräche mit dem Staatskonzern könnten dann kurzfristig wieder aufgenommen werden. Ingenschay wollte sich noch nicht festlegen, ob die Sommerferienzeit von Streiks verschont wird. Sie sagte aber: „Arbeitskampf ist immer das letzte Mittel. Im Moment sind wir sehr gut unterwegs.“ Der Verhandlungsstand mit dem Konzern sei so gut, dass es sich lohne, über ihn mit der Tarifkommission zu diskutieren: „Wir streben eine Lösung am Verhandlungstisch an.“

Altersversorgung und Jobräder

Zahlreiche weitere Unternehmen hätten inzwischen angeboten, ebenfalls Tarifverträge mit einem Plus von 420 Euro bei 21 Monaten Laufzeit zu unterzeichnen oder auf dieser Basis weiterzuverhandeln. „Da sind mehr oder weniger abschlussreife Angebote dabei, das wird sich jetzt in den nächsten Tagen herausstellen“, sagte Ingenschay.

Mit der DB hatte die EVG in der vergangenen Woche fünf Tage lang verhandelt und die Gespräche am Freitagabend schließlich vertagt. Mit dem Staatskonzern sei es ungleich schwerer, zu belastbaren Ergebnissen zu kommen, heißt es aus EVG-Verhandlerkreisen. Immer wieder würden bestimmte Unternehmen wie etwa die Bahnbusse aus dem Paket herausgenommen und bereits geeinte Punkte wieder zurückgenommen. Zudem bringen beide Seiten eine große Zahl von Details an den Verhandlungstisch. Da geht es um Altersversorgung früherer DDR-Reichsbahner ebenso wie um den Konzernwunsch, den Mitarbeitern den Kauf geförderter Fahrräder („Jobrad“) zu ermöglichen.

Über jeden ausgehandelten Kompromiss muss dann auch noch die 60?köpfige Tarifkommission der EVG entscheiden. Hinzu kommt, dass immer wieder nötig wird, auch die Arbeitnehmervertreter von einzelnen Unternehmen zu konsultieren.