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Suchtbeauftragter besorgt über Glücksspielwerbung bei den Öffentlich-Rechtlichen

Kaum eine andere Sucht zerstöre Existenzen so nachhaltig wie die Glücksspielsucht, sagt Burkhard Blienert. Er fürchtet die Folgen von Wettspots im Fernsehen.

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Experten für Sucht und Glücksspiel sehen die Werbung für Wettanbieter mit Sorge, insbesondere wenn sie im gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft. | © picture alliance / firo Sportphoto

Experten für Sucht und Glücksspiel sehen die Werbung für Wettanbieter mit Sorge, insbesondere wenn sie im gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft. | © picture alliance / firo Sportphoto

26.12.2023 | 26.12.2023, 10:00

Samstag, 18 Uhr in Deutschland: Millionen Menschen schalten den Fernseher ein, Zeit für die „Sportschau“ in der ARD. „Tipico präsentiert die Bundesliga im Ersten“, verkündet eine sonore Stimme, während auf dem Bildschirm freudetrunkene Fans in einer rot-blau flackernden U-Bahn feiern. Ein Handy-Display zeigt: „Wette gewonnen“. Kaum wahrnehmbar, weist Kleingedrucktes am unteren Bildrand auf „Suchtrisiko“ hin. Fünf Sekunden dauert der Spot, der Sportwetten - oft mit Spielmanipulation und Geldwäsche in Verbindung gebracht - als trendiges Lifestyle-Produkt in Szene setzt.

Werbung für Sportwettenanbieter ist im Profifußball allgegenwärtig: auf Stadionbanden, Trikots und beim sogenannten Presenting von Spielübertragungen im Fernsehen. Ganz vorne dabei ist Tipico, der Sponsoring-Partner der Deutschen Fußball-Liga (DFL), die die Übertragungsrechte der Bundesliga vermarktet. Wettspots liefen auch schon im ZDF. Dort kam in der Saison 2022/2023 bei drei Pokalspielen der Online-Wettanbieter Bwin als Partner des Deutschen Fußballbundes (DFB) zum Zug.

Experten für Sucht und Glücksspiel sehen die Werbung für Wettanbieter mit Sorge, insbesondere wenn sie im gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft. „Die ARD-’Sportschau ist seit Jahrzehnten eine Instanz“, sagt Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Uni Bremen. „Wenn dort ein Sportwettenanbieter als Sponsor auftritt, denkt der Zuschauer: An diesem Produkt kann nichts Gefährliches sein.“

Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, erklärt, die Überpräsenz von Glücksspielen im Fernsehen, insbesondere von Sportwetten, könne „die gesundheitlichen und sozialen Probleme, die wir in Deutschland mit dem Glücksspiel schon haben, noch größer machen“. Kaum eine andere Sucht zerstöre Existenzen so nachhaltig wie die Glücksspielsucht, so der Paderborner. Nach einer Erhebung der Universität Bremen und des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung von 2021 ist bei etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland eine „Störung durch Glücksspielen“ erkennbar.

Suchtpotenzial bei Sportwetten ist besonders hoch

Die Warnungen der Fachleute stützen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach das Suchtpotenzial bei Sportwetten im Vergleich zu anderen Glücksspielen besonders groß ist. Grund ist die trügerische Annahme der Wettenden, sie könnten sich auf ihre sportliche Expertise verlassen. Laut Glücksspielforscher Hayer ergeben zwar manche Studien, dass Fußballkenner häufiger korrekte Vorhersagen machen als Ahnungslose. „Doch wenn sie um Geld wetten, haben beide Gruppen tatsächlich immer gleich hohe Verluste.“ Denn für Favoritensiege gebe es nur geringe Gewinne.

Das Sponsoring von Wettanbietern bei Öffentlich-Rechtlichen gibt es erst seit etwas mehr als zwei Jahren - eine Folge des 2021 novellierten Glücksspielstaatsvertrages, der rechtliche Grauzonen beseitigt. Für die ARD bestehe nun „keine rechtliche Grundlage mehr, die es gestatten würde, Tipico als lizenzierten Sportwetten- und Glücksspielanbieter abzulehnen“, sagt die Sprecherin des Senderverbundes, Stefanie Germann. Bei der Bundesliga-Übertragung habe Tipico als sogenannter Premium-Partner der DFL ein vertraglich festgeschriebenes „Erstzugriffsrecht beim Erwerb von Programmsponsoringpaketen“.

Glücksspielforscher sieht Sender in der Verantwortung

Trotz dieser Rechtslage sieht Glücksspielforscher Hayer die öffentlich-rechtlichen-Sender, bei deren Sportsendungen für Wetten geworben wird, in der Verantwortung: Wenn die ARD-„Sportschau“ nicht anders könne, als für Tipico zu werben, sollte sie zumindest suchtpräventive Spots schalten oder am Anfang oder Ende jeder Sendung auf Suchtgefahren hinweisen.

ARD-Sprecherin Germann erwidert, der Senderverbund weise bereits „in verschiedenen journalistischen Formaten“ auf Suchtgefahren hin und problematisiere dabei auch die eigene Rolle. Als Beispiel nennt sie unter anderem einen Beitrag der NDR-Sendung „Zapp“.

Blienert fordert Verbot von Sportwettenwerbung vor 21 Uhr

Der Suchtbeauftragte Blienert spricht sich dafür aus, Werbung und Sponsoring von Sportwettenanbietern vor 21 Uhr generell zu verbieten. Das lehnt der Deutsche Sportwettenverband erwartungsgemäß ab. Werbung lenke die Aufmerksamkeit der Wettspiel-Klientel auf legale Angebote, Restriktionen und Verbote dagegen dienten nur dem Schwarzmarkt, argumentiert die Branche, die nach eigenen Angaben im Jahr 2022 rund 8,2 Milliarden Euro an Einsätzen verbucht hat.

Der Suchtbeauftragte Burkhard Blienert aus Paderborn spricht sich dafür aus, Werbung und Sponsoring von Sportwettenanbietern vor 21 Uhr generell zu verbieten. - © picture alliance / photothek
Der Suchtbeauftragte Burkhard Blienert aus Paderborn spricht sich dafür aus, Werbung und Sponsoring von Sportwettenanbietern vor 21 Uhr generell zu verbieten. | © picture alliance / photothek

Der Staat hat womöglich auch kein Interesse an strengeren Vorschriften, denn er verdient mit. Auf der Grundlage des Rennwett- und Lotteriegesetzes, das auch inländische Sportwetten erfasst, wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr 2,56 Milliarden Euro an Steuern eingenommen. Der Staat sei in der Branche „ein gewichtiger Player“, sagt Hayer: „Es gilt also: It’s all about money - unter dem Strich geht es nur um die Kohle.“