Oldenburg - Der Streit zwischen der EWE und der Verbraucherzentrale Niedersachsen um verspätete Energieabrechnungen des Oldenburger Energiekonzerns wird jetzt vor Gericht entschieden. Am Mittwoch stand in dem Zivilprozess vor dem Landgericht Oldenburg (Az. 5 O 90/2) die mündliche Verhandlung an.
Hintergrund: Jahres- oder Schlussrechnungen für Energieverträge außerhalb der Grundversorgung müssen spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums beziehungsweise nach Beendigung des Lieferverhältnisses übermittelt werden. Bei der EWE mussten im vergangenen Jahr viele Kundinnen und Kunden – nach früheren Unternehmensangaben „deutlich mehr als 100.000“ – aber länger, teils sogar ein halbes Jahr oder mehr, auf ihre Rechnungen warten. Nach zahlreichen Beschwerden hatte die Verbraucherzentrale den Energiekonzern im Oktober 2023 zunächst abgemahnt und aufgefordert, sich an die gesetzlichen Fristen zu halten. Nachdem sich die EWE nach längeren Gesprächen mit der Verbraucherzentrale letztlich dagegen entschieden hatte, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, hatte die Verbraucherzentrale eine Unterlassungsklage angekündigt. Dass es nicht zu einer gütlichen Einigung gekommen war, lag nach Angaben der Beteiligten vor allem an unterschiedlichen Auffassungen über die Laufzeit einer solchen Erklärung. Die Verbraucherzentrale bestand auf eine unbefristete Laufzeit, was die EWE ablehnte.
Exemplarisch fünf Fälle
Bei der mündlichen Verhandlung am Mittwoch vor dem Landgericht hatte die Verbraucherzentrale exemplarisch fünf unterschiedliche Fälle von EWE-Sondervertragskunden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, die sich auf drei verschiedene Unterlassungsanträge verteilen. Im ersten Unterlassungsantrag ging es um Kunden mit laufenden Verträgen, also um Jahresrechnungen. Hier hatte die Verbraucherzentrale exemplarisch zwei Fälle aufgeführt, je einen für Strom und einen für Gas. Beim zweiten Unterlassungsantrag ging es um Kunden mit beendeten Lieferverhältnissen, also um Schlussrechnungen. Auch hier hatte die Verbraucherzentrale zwei Fälle herausgegriffen, wieder einen für Strom sowie einen für Gas. Der dritte Unterlassungsantrag drehte sich schließlich um einen Kunden mit einem laufenden Wärmelieferungsvertrag. In allen fünf Fällen wurde die Sechs-Wochen-Frist mehr oder weniger deutlich überschritten – von zehn Tagen über dem Zeitraum bis hin zu sieben Monaten und 23 Tagen.
Aus Sicht der Verbraucherzentrale hat sich die EWE in allen Fällen unlauter verhalten, weil sie die Abrechnungen verspätet erteilt hat. Sie sieht hier sowohl bei den laufenden als auch bei den beendeten Strom- und Gasverträgen einen Rechtsbruch in Form eines wettbewerbswidrigen Verstoßes gegen die Marktverhaltensregelung. Der Vorsitzende Richter wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass es bei der juristischen Bewertung überdies auf die „Spürbarkeit der Beeinträchtigung“ ankommt. Anders ausgedrückt: Ist der Verbraucher durch die Tatsache, dass die Abrechnung nicht nach sechs Wochen vorgelegt wurde, in seiner wirtschaftlichen privaten Betätigungsfreiheit nennenswert und wesentlich beeinflusst? „Die Wesentlichkeitsschwelle ist das entscheidende Kriterium“, erläuterte der Richter.
Kundinnen und Kunden der EWE, die wegen der Verzögerungen bei den Abrechnungen länger als gewohnt auf die Auszahlung eines Guthabens warten mussten, hatte der Oldenburger Energiekonzern im Herbst 2023 eine freiwillige einmalige „Entschuldigungszahlung“ zugesagt. Wie ein EWE-Sprecher jetzt auf Anfrage mitteilte, hat das Unternehmen dafür bislang insgesamt rund 2,5 Millionen Euro gezahlt.
Profitieren sollten nach EWE-Angaben alle Kunden, die seit 1. Oktober 2022 mehr als sechs Wochen auf ihre Abrechnung warten mussten und deren Jahresrechnung ein Guthaben von mindestens 100 Euro aufweist. Die Höhe der Zahlung richtet sich laut EWE nach der Höhe des Guthabens und der Dauer der Wartezeit. Bei den meisten der mehr als 100.000 betroffenen Kunden lag die „Entschuldigungszahlung“ zwischen fünf und 15 Euro.
Die EWE wiederum bestritt nicht, dass in den genannten Fällen die Sechs-Wochen-Frist nicht eingehalten wurde. Deren Anwalt vertrat aber die Meinung, dass sich der Energiekonzern damit nicht unlauter verhalten und gegen das Wettbewerbsgesetz verstoßen habe.
Etwas anders gestaltet sich der Fall um den Kunden mit einem Wärmelieferungsvertrag. „Hier betreten wir Neuland“, sagte der Richter. Denn bei Wärmekunden gibt es solch eine Sechs-Wochen-Regelung für Abrechnungen bislang nicht. Nach Meinung der Verbraucherzentrale sollte der Rechtsgedanke aus der Strom- und Gasversorgung aber auch auf Fernwärme übertragen werden.
Im Laufe der mündlichen Verhandlung bekam der Rechtsstreit noch eine zusätzliche Dimension, nämlich ob das Landgericht überhaupt für den Fall zuständig ist. Basierte die Klage der Verbraucherzentrale ursprünglich auf dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), so brachte die Anwältin der Verbraucherschützer im Laufe der Verhandlung auch noch – zur Verwunderung des Richters und der EWE-Seite – Rechtsnormen des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) ein. Für Klagen nach diesem Gesetz wäre aber sachlich ein Oberlandesgericht zuständig. Deshalb musste der Anwalt der EWE – schon aus formalen Gründen – die Zuständigkeit des Gerichts rügen.
Verkündigung Ende Mai
In der inhaltlichen Einschätzung verzichtete der Vorsitzende Richter am Mittwoch bewusst darauf, eine Tendenz abzugeben. Die Thematik sei „sehr komplex“. Er sprach auch von „juristischem Hochreck“, weil man es hier auch mit einem Zusammen- und Wechselspiel zwischen nationalem und europäischem Recht zu tun habe. Nachdem vor allem die Verbraucherzentrale deutlich gemacht hatte, dass sie keine Chance mehr auf eine gütliche außergerichtliche Einigung sehe, nannte der Richter den 31. Mai als Verkündungstermin für die Entscheidung des Gerichts.