Bummelei über den Polarkreis

Norwegens Norden liegt nicht gerade um die Ecke. Ist man aber dort angekommen, sollte genügend Zeit eingeplant werden für die magische Stimmung und die versteckten Sehenswürdigkeiten entlang der N 17.

Claudia Diemar
Drucken
Der Saltstraumen bei Bodö ist einer der stärksten Gezeitenströme der Welt. (Bild: Alessandra Sarti / Alimdi)

Der Saltstraumen bei Bodö ist einer der stärksten Gezeitenströme der Welt. (Bild: Alessandra Sarti / Alimdi)

Mit 70 km/h rast das Boot zur «Paradiesbucht»: glasklares, türkisfarbenes Wasser, weisser Sand – und kein Mensch am Strand. Das Wetter ist herrlich, der Himmel von so tiefem Blau, wie man es noch niemals vorher gesehen hat. Aber die Ausflügler stecken in dicken «Überlebensanzügen», tragen Mützen und Handschuhe sowie eine Schutzbrille wegen des eisigen Fahrtwinds. Es ist August, und das Wasser in der Bucht misst 12 Grad Celsius. Willkommen jenseits des Polarkreises.

Die weiteren Nordland-Reisen Lappland: Rentiere und Polarlichter Grönland: Was macht das «ewige» Eis? Isalnd: Tauchen zwischen den Kontinenten Lofoten: Wo der Kabeljau vom Himmel fällt Dänemark: Bilderbuch-Idylle auf Äro

Licht und Dämmerung

Das Ziel der Bootstour ist der Saltstraumen, einer der stärksten Gezeitenströme der Welt. Alle sechs Stunden drängen 400 Millionen Kubikmeter Salzwasser durch die nur 150 Meter breite Meerenge, die den Saltenfjord mit dem Skjerstadtfjord verbindet. Mächtige Strudel lassen die Wasserfläche brodeln wie einen Hexenkessel. Der Saltstraumen liegt bei Bodö, der nach Tromsö zweitgrössten Stadt Nordnorwegens. Die Landschaft am Polarkreis lebt mit krassen Gegensätzen: Das Sommerhalbjahr über flutet das Licht mit wochenlang scheinender Mitternachtssonne. Die andere Jahreshälfte über lebt man mehr oder weniger in bläulicher Dämmerung.

Es gibt Menschen, die verlieren ihr Herz an diese Region der Extreme – Leonie Johann zum Beispiel. Sie kam als junge deutsche Studentin wegen der Arbeit bei einer Schiffsgesellschaft hierher. Irgendwann war das Examen gemacht, und sie fand eine Stelle als Biologin in einer Forschungsanstalt in Bodö. Wenn Johann Zeit dafür findet, begleitet sie noch immer als Guide eines der Boote bei der Fahrt zum Saltstraumen. Oder sie zeigt Reisenden den gebrochenen antiken Spiegel, der in einem Hotel ausgestellt ist. Der Spiegel ist einer der wenigen Überreste des alten Bodö, welche die Luftangriffe überstanden. Von den Deutschen einst in Schutt und Asche gelegt, wirken die Strassenzüge pragmatisch-modern. Neuerdings hat Bodö eine Universität und bekommt ein Kulturhaus mit Konzertsälen sowie eine Bibliothek mit Blick zum Hafen. Am Quai halten die Hurtigruten-Schiffe neben den Kuttern, von denen man fangfrische Tiefseegarnelen kauft.

Bodö mit seinem gut ausgebauten Flughafen liegt nicht an der E 6, der schnellen Route zwischen Oslo und dem Nordkap. Hier in Bodö beginnt vielmehr der Kystriksveien, jene Küstenstrasse N 17, die sich auf rund 650 Kilometern Länge, immer auf Tuchfühlung mit dem Nordatlantik, über den Polarkreis hinweg bis nach Steinkjer schlängelt.

Die N 17 ist so etwas wie der Highway Nummer 1 von Nordnorwegen. Man kann die Strasse in zwei bis drei Tagen schaffen, aber dann müsste man sich beeilen. Viel besser ist es, nach der Devise «Der Weg ist das Ziel» zu reisen. Es gibt einfach zu viel zu sehen und zu erleben. Den Svartisen-Gletscher mit seinen 60 (!) Eiszungen etwa, von denen eine bis fast an das Ufer eines Fjords reicht. Man kann den Svartisen per Boot vom Wasser aus erleben oder den bläulich schimmernden Giganten auf einer Tour unter die Füsse nehmen.

Ungezählt sind die Inseln und Inselchen, die vor der Küste liegen. Die meisten davon werden mit Linienfähren wie dem Nordlandsekspressen angefahren. Stött zum Beispiel. Ganze 30 Einwohner hat das Eiland, aber ein kleines Restaurant im historischen Inselladen, wo eine ehemalige schwedische Parlamentarierin beim Servieren hilft und nebenbei Pralinés herstellt. Maggi Mikaelsson erzählt gern von ihren Treffen mit Politikern wie Bill Clinton, Nelson Mandela oder Jasser Arafat. Die kluge Frau kam weit herum, aber Stött ist der Platz, an dem sie alt werden will.

Nordnorweger gelten als die Italiener unter den Skandinaviern. Wer der winterlichen Kälte und dem Dunkel trotzen will, muss gut drauf sein. Nina Frees, eigentlich Lehrerin, ist Besitzerin des schönen Campingplatzes in Nesna und der angesagtesten Kneipe weit und breit. Frees ist stets gutgelaunt und begrüsst selbst um Mitternacht angereiste Gäste noch wie alte Freunde. Ihr dröhnendes Lachen begleitet uns auf den Berg Nesnafjell mit weitem Blick über die Küste. Der Kystriksveien bietet tolle Landschaftspanoramen – und genug Gelegenheit für die in Norwegen überaus beliebten Outdoor-Aktivitäten: Bergläufe und Wanderungen auf dem «Polarsirkeltrimmen» oder Angeltouren auf dem Meer.

Regenbogen und Fischsuppe

Am Polarkreis, dieser unsichtbaren Grenze zur Arktis, muss man einen Stopp machen. Am besten an einem Platz wie Oscarbrygga, wo man Salzwiesenlamm mit Sommergemüse in einem alten Fischereikontor am Meer speist. Irgendwo draussen regnet es, und das auf die Tröpfchen prallende Licht zaubert einen unwirklich intensiven Regenbogen über den landeinwärts liegenden Hügeln. Wetter und Landschaft wetteifern um den dramatischsten Auftritt: Der Berg auf der voraus liegenden Insel hat eine Wolkenfahne so über seinen Gipfel drapiert, dass es scheint, als speie er eine dicke Rauchfahne aus. Eben noch gleisst die See davor in der späten Sonne wie rotes Gold, Minuten später riffeln Böen die Dünung auf, und der Ozean droht in dunklem Graublau.

Bis man in Steinkjer, dem geografischen Mittelpunkt Norwegens, wieder auf die E 6 nach Süden einschwenken muss, ist noch genug Zeit für ein paar Inselhüpfer oder Abstecher in die weich gerundeten Fjällberge. Und wenn es regnet? Allein 16 Museen reihen sich entlang der N 17. Eines muss man unbedingt gesehen haben, auch wenn man sich nicht für Theologie interessiert: das Petter-Dass-Museum in Alstahaug – wegen seiner atemraubenden modernen Architektur und der phantastischen Fischsuppe im Restaurant.

Swiss und SAS fliegen nonstop von Zürich nach Oslo, ab rund 480 Franken hin und zurück. Weiterflug nach Bodö oder Namsos (nahe Steinkjer) mit Wideröe ab 100 Franken pro Strecke, www.wideroe.no. Adressen mit Unterkünften unter www.rv17.no. www.visitnorway.com.