Der englischste aller Engländer war ein Dandy, ein Workaholic, und er mochte keinen Champagner. Obwohl er sich stets mit einem vollen Glas ablichten liess

Der Schriftsteller und Songwriter Noël Coward ist auf der Insel immer noch eine Sensation.

Marion Löhndorf, London
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Gertrude Lawrence und Noël Coward in «Private Lives», 1931.

Gertrude Lawrence und Noël Coward in «Private Lives», 1931.

© Vandamm Studio / Billy Rose Theatre Division, The New York Public Library for the Performing Arts

Noël Coward besass, was Briten gerne in sich selbst sehen und im Umgang kultivieren: Witz, Eleganz und Toughness. Er verkörperte den Typ des Dandys im Smoking, dem zu jeder Gelegenheit ein geschliffenes Bonmot zufiel – nicht ganz so funkelnde wie die von Oscar Wilde, mit dem er oft verglichen wurde, aber er war mit derselben Art von Schlagfertigkeit gesegnet. Dafür arbeitete der Schriftsteller, Songwriter und Schauspieler (1899–1973) genauso gern an der eigenen Legende: Er setzte sich als parlierender Müssiggänger und Mann von Welt in Szene.

Kein Kleidungsstück demonstrierte das besser als die seidenen Morgenröcke, in denen er sich so gern fotografieren liess und die, wie die Zigarettenhalter, zu seinem Markenzeichen wurden. Dabei hatte seine Persona nichts mit dem Workaholic zu tun, der er in Wirklichkeit war. Und auch Champagner, das Luxusgetränk, das so oft mit ihm in Verbindung gebracht wurde, verabscheute er, wie er der «New York Times» gegen Ende seines Lebens mit einer gewissen Genugtuung anvertraute.

Denn komplett undurchlässig war sein Image nicht, Coward liess gelegentlich gern wissen, dass das alles ein Spiel war. Auch sich selbst nahm er nur bedingt ernst, oder wenigstens tat er so. Auf die Frage des «Sunday Mirror», warum man ihn «The Master» nenne, antwortete er: «Oh, you know – Jack of all trades, master of none.» Ein Hansdampf in allen Gassen, aber in keiner ein Meister.

Gecovert von McCartney

Tatsächlich bewegte er sich mit Eleganz und ohne Berührungsängste zwischen den Genres und Tonarten der Kultur. Und seine Texte und Themen blieben strapazierfähig und zeitlos anziehend, jedenfalls in der angelsächsischen Welt. Noch heute spielen Theater Stücke wie «Private Lives», «Present Laughter» und «Blithe Spirit» oft. Kino und Fernsehen wiederholen seine Beiträge für die Leinwand, wie den klassischsten aller Ehebruchsfilme, «Brief Encounter», und den Kriegsfilm «In Which we Serve».

Zudem trat Coward in siebzehn Filmen selbst auf, darunter im Sixties-Kultfilm «The Italian Job», seine Songs wurden immer wieder neu belebt, von Sängern wie Paul McCartney, Pet Shop Boys und Bryan Ferry. Im Film «Sunset Boulevard» zitierte der Regisseur Billy Wilder einen der berühmtesten Songs von Coward, «Mad About the Boy», sekundenlang – während die alternde Filmdiva ihrem jungen Geliebten ein Zigarettenetui mit der Gravur dieses Titels schenkt.

Auch ein Hurra-Patriot

Derzeit feiert eine schöne, reich bestückte Ausstellung in der Londoner Guildhall Art Gallery den ewigen Dandy und macht ihn zum Mann der Stunde: Im Land des Brexits wird seine Britishness betont, seine Homosexualität in Zeiten der Inklusivität, obwohl er sie selbst diskret behandelte, da sie in England bis 1967 unter Strafe stand. Ein Scheinwerferlicht wird auf seine Wohltätigkeit gerichtet, und, weniger überzeugend, auf seine Förderung der Frauen, all das also, was man im Moment in Grossbritannien gern vernimmt.

Dass er auch ein Mann vieler Widersprüche war, der Züge eines Hurra-Patrioten trug, der den Hedonismus der zwanziger und den Zynismus der dreissiger Jahre feierte und dabei keineswegs immer für Toleranz und Lockerung der Moral plädierte (konservativ und königstreu wie er war, verurteilte er selbst die Heirat Edwards VIII. mit Wallis Simpson streng) – all dies bleibt unberücksichtigt. Sein Biograf Philip Hoare identifizierte Cowards Unfassbarkeit als Grund für seinen andauernden Erfolg: Er sei alles für alle gewesen. Der Meister selbst aber sagte einmal: «I am England; and England is me.»

Noël Coward: Art & Style. In Guildhall Art Gallery, London. Bis 23. Dezember 2021.

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