«Emanzipiert sind wir schon»

Die grossen ideologischen Schlachten der Frauenemanzipation sind geschlagen. Heute stellt keiner mehr ernsthaft das Recht der Frau infrage, berufstätig zu sein und Kinder zu haben.

Hannelore Schlaffer
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Die erste Phase der Frauenemanzipation war die der Polemik, des Kampfes, des Beharrens auf der Idee der Gleichberechtigung. – Paris, 1971. (Bild: Martine Franck / Magnum)

Die erste Phase der Frauenemanzipation war die der Polemik, des Kampfes, des Beharrens auf der Idee der Gleichberechtigung. – Paris, 1971. (Bild: Martine Franck / Magnum)

Es gibt junge Männer, und es gibt alte Männer. Junge Männer wollen alte Männer werden, wollen deren Ruhm, Rang, Reichtum erwerben. Dies ist das Modell, nach dem das männliche Leben seit Jahrtausenden abläuft. Es gibt junge Frauen, und es gibt alte Frauen. Junge Frauen wollen eines auf keinen Fall werden: alte Frauen. Auch das ist immer schon so gewesen und hat seinen Grund darin, dass bis zum heutigen Tag die weibliche Existenz vor allem von der biologischen Anlage, speziell von deren sexuellen Bedingungen wie Erscheinung und Fruchtbarkeit, her definiert ist.

Heute aber kommt zu der Trennung zwischen jungen und alten Frauen eine neue hinzu. Im Unterschied nämlich zum männlichen Lebensentwurf hat der weibliche seit zweihundert Jahren eine Geschichte: die der Emanzipation. Mit ihr vollzog sich und vollzieht sich noch immer ein Wandel des weiblichen Daseins und der Bestimmung dessen, was eine Frau zu sein, zu denken, zu tun habe. Diese Umorientierung, wenngleich sie friedlich verläuft, kommt den sozialen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts an Bedeutung gleich. Zwischen jungen und alten Frauen, zwischen den Frauen von heute und den Frauen von gestern ist erneut eine Grenze gezogen, die nicht mehr auf dem Unterschied biologischer Voraussetzungen beruht, sondern auf sozial unterschiedlichen Chancen. Zwischen den Generationen der Frauen von heute ist eine Trennung entstanden, die aber nicht mehr die begehrenswerte Junge von der reizlosen Alten unterscheidet, sondern eine Chancenungleichheit bedeutet, indem nun die junge Berufstätige, Ehrgeizige, Liberale der Hausfrau und Mutter gegenübersteht.

Zwei Epochen der Frauenbewegung

Ältere Frauen, wenngleich von der Geschichte benachteiligt, müssen in ihrer Jugend nicht unaufgeklärt gewesen sein. Die Frauen, die vor fünfzig Jahren für die Emanzipation eintraten und nun Seniorinnen sind, müssen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Erfolg ihrer politischen Anstrengung jungen Frauen überlassen. Ihnen selbst hat die Gesellschaft noch nicht gewährt, was sie damals forderten. Der Grossteil der alten Frauen von heute lebt, obgleich an der Emanzipation beteiligt, noch immer im Zustand vor der Emanzipation: Sie altern in unzeitgemässer Unemanzipiertheit. Ihre Funktion beschränkt sich auf soziale Dienste und kulturelle Auftritte.

Der historische Abstand zwischen emanzipierter junger und an der Emanzipation vorbei gealterter Frau zeigt sich deutlich im Verhältnis Mutter - Tochter. Der letzte Akt der Emanzipation der fortschrittlich gesinnten, aber nicht durch einen Beruf emanzipierten Mutter ist es, alles für die Emanzipation der Tochter zu tun. Da zu dieser Emanzipation heute vor allem das elegante Management von Ehe, Kind und Beruf gehört, tritt die Mutter in dieses Unternehmen als Hilfskraft ein, entlastet die Tochter im Haushalt und macht den Babysitter. Sie selbst holt ein Restchen Emanzipation nach durch die eifrige Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, erweitert ihre Bildung – die die Tochter in Schule und Universität wie selbstverständlich mitnimmt und nun für einen Beruf nutzt –, indem sie Vorlesungen, Theater, Museen besucht, also wieder zur Schülerin wird.

Die beiden Frauentypen von heute, die Älteren, die sich emanzipieren wollten, und die Jüngeren, die emanzipiert sind, repräsentieren zwei Epochen der Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die erste hatte ihren spektakulären Auftritt in der Studentenbewegung, in der zweiten befinden wir uns mittendrin. Die erste Phase ist die der Polemik, des Kampfes, der hartnäckigen Behauptung der Idee einer politischen und ökonomischen Gleichberechtigung der Frau und der Gleichheit beider Geschlechter. Dies Gefecht endete erfolgreich. Dem Aufstand folgt, und damit sind wir in der Gegenwart, die Epoche der Organisation. Früher sagten Frauen: «Wir müssen uns emanzipieren», heute sagen sie: «Emanzipiert sind wir schon», und fordern von ihren einstigen Kontrahenten: «Nun seht, wie ihr damit zurechtkommt.» Der Aufstand war getragen von jungen Leuten, Studenten und Studentinnen meist, die Organisation liegt in die Hand des Staates.

Mit einem neuen Frauenbild und den daraus entspringenden Rechten und Ansprüchen zurechtzukommen, die Zustimmung zur Befreiung der Frau durch die Einrichtung von Institutionen zu bestätigen, ist gegenwärtig eines der wichtigen gesellschaftlichen Probleme und eine vorrangige Aufgabe der Politik, spezifisch der Familienpolitik. Emanzipation ist zum Ziel der Politik geworden, ihretwegen bedarf es keines Aufbegehrens mehr.

Kampf der Fraktionen

Der Übergang von der aufständischen zur organisatorischen Phase der Frauenbewegung war nur möglich, weil sich, nach all der Unsicherheit und der Suche nach einer Definition dessen, was denn nun die Frau unter den neuen Bedingungen sei, ein konservatives Frauenbild etablierte, das der Mutter. Diese Antwort war von den Achtundsechzigern nicht vorgesehen; sie unterschieden zwischen Emanzipation und Feminismus. Die Frau, die sich emanzipieren wollte, wollte werden wie ein Mann, sie wollte von keiner biologischen und natürlichen Voraussetzung mehr abhängig sein. Keine Kinder zu haben, gehörte zu diesem am männlichen Leitbild orientierten Lebensentwurf. Es ging um die Freiheit der Person und eines Intellekts, der über alle biologische Voraussetzung erhaben war.

Schon in den sechziger Jahren traten gegen dieses Frauenbild die Feministinnen an; sie brachten die Natur der Frau wieder ins Spiel und forderten, dass auch die biologische Ausstattung als Teil ihrer Freiheit zu gelten habe. Schon damals also gab es zwei Parteien: die «Emanzen» und die Feministinnen; die einen waren kinderlos, die anderen trugen ihre Mutterschaft zur Schau und das Kind vor dem Bauch und stillten es in aller Öffentlichkeit. Dieses Frauenbild orientierte sich nicht mehr am männlichen Geist, sondern wieder und wie schon seit Jahrtausenden an der Biologie.

Damit mündete der weibliche Kampf um Gleichberechtigung in ein staatlich akzeptables Fahrwasser. Seit der Zeitenwende, seit dem römischen Kaiser Augustus, gilt die Mutter als eine staatstragende Person. Augustus etwa erhob seine Kaiserin mit ihren beiden Söhnen auf der Ara Pacis zu Vorbildern seines Friedensreiches. Diese Rolle ist der Mutter in allen staatlichen Systemen, in guten wie schlechten, geblieben, und so muss ihr der Staat auch heute, gerade weil dies Bild durch die jüngste Geschichte problematisch geworden ist, besondere Aufmerksamkeit entgegenbringen. Um die Jahrtausendwende gab es in der «FAZ» eine Serie von Artikeln, die sich gegen die Intellektuelle wandten, die berufstätig sei, keine Kinder und nichts als Beruf, Erfolg, Geld im Sinn habe, also politisch verantwortungslos sei. Mit dieser Serie hatte die Zeitung Erfolg, die Intellektuelle wurde bekehrt. Heute gehört es zum Stolz einer berufstätigen Frau, Kinder zu haben und deren Management mit Souveränität zu handhaben. Die berufstätige Mutter überbietet auf diese Weise sogar den nur auf den Beruf konzentrierten Mann .

Die Sorge um das Kind

Das Recht auf Berufstätigkeit wird einer Frau heute kaum abgesprochen. Das politisch präsente Thema ist die Diskussion über den Status der berufstätigen Frau. Dabei geht es nicht eigentlich um ihre Emanzipation, sondern um deren Folgen, vor allem um Erziehungsfragen, die Sorge um das Glück und die günstigste Entwicklung des Kindes. Im Mittelpunkt der Debatte steht eher das Kind als die Mutter. Diese Fragen sind inzwischen die wesentlichen, weil wählerwirksamen der Politik. Der Staat hat die Vollendung der Emanzipation zu seiner Aufgabe gemacht, er übernimmt sie als Problem von einer aufgeklärten Gesellschaft, die an der Organisation dieses neuen Lebensentwurfs arbeitet.

Die Literaturwissenschafterin Hannelore Schlaffer lebt als Publizistin und Buchautorin in Stuttgart. Beim abgedruckten Text handelt es sich um das Statement, das sie im Rahmen des NZZ-Podiums «Was will die Frau? Ortsbestimmungen der Gegenwart» vom 27. November in Zürcher Schauspielhaus abgelegt hat.