Der britische Pop-Star Dua Lipa ist eine begnadete Sängerin. Nun stellt sie auch manchen Literaturkritiker in den Schatten

Auf Instagram erreicht die Pop-Ikone neunzig Millionen Follower, die sie mit Sachkenntnis und klugen Gesprächen in die Welt der Gegenwartsliteratur einführt.

Paul Jandl 3 min
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Die Sängerin und Songwriterin Dua Lipa ist auch eine leidenschaftliche Leserin. Hier tritt sie an den Golden Globe Awards im Januar 2024 in Beverly Hills auf.

Die Sängerin und Songwriterin Dua Lipa ist auch eine leidenschaftliche Leserin. Hier tritt sie an den Golden Globe Awards im Januar 2024 in Beverly Hills auf.

Dan Doperalski / Getty

Wenn Pop-Stars ins Gefängnis gehen, hat das mitunter erfreuliche Gründe. Johnny Cash trat 1968 vor den Häftlingen des kalifornischen Folsom State Prison auf. Ein legendärer Erfolg. Weniger bekannt ist der Besuch der Gesangsikone Dua Lipa im Frauengefängnis von Sutton nahe London im Jahr 2023. Dua Lipa kam und tat höchst Ungewöhnliches. Sie sprach mit den Delinquentinnen über Bücher. Man tauschte sich übers Lesen aus. Gemeinsam liess man die Oberflächenwelt des Pop-Geschäfts genauso hinter sich wie den eher unglamourösen Alltag im Sutton Prison.

Dass der albanisch-englische Star eine versierte Leserin ist, weiss man spätestens seit der Verleihungszeremonie des Booker-Preises 2022. Dort hat Dua Lipa eine kluge Rede gehalten und davon erzählt, wie sie als jugendliches Emigrantenkind versucht hat, die Heimat der Eltern durch Bücher zu verstehen. Ismail Kadares Roman «Die Festung» habe ihr damals das Land erklärt.

90 Millionen Follower

Wir leben in Zeiten öffentlicher Ich-Darstellungen, die das Lesen als Lifestyle-Element entdeckt haben, ohne den Beweis tatsächlicher Lektüre antreten zu müssen. Auf dem Onlineportal «Most Recommended Books» kann man lesen, dass zu Harry Styles’ Lieblingslektüren nicht nur die Autobiografie von Keith Richards zählt, sondern angeblich auch Susan Sontags «Against Interpretation». Emma Stone liest Salingers «Franny und Zooey». Elon Musk empfiehlt «Das Kapital» von Karl Marx, «In Stahlgewittern» von Ernst Jünger und die «Encyclopaedia Britannica».

Dua Lipa hat ihren eigenen Kanal für Empfehlungen, und der ist tatsächlich eine kleine Sensation. Mit dem Buchklub auf ihrer Seite Service95 kann die Sängerin 90 Millionen Follower allein auf Instagram erreichen. Service95 liefert allerdings nicht nach dem Bedarf heutiger Booktoker. Hier interessiert man sich nicht für identifikatorische Lektüre und das Emotional Bonding, das digitale Leseklubs sonst sektenhaft zusammenhält. Hier geht es wirklich um Literatur.

Bei den mit Schriftstellern geführten Videogesprächen sitzt Dua Lipa in anrührender Bescheidenheit vor ihrem Londoner Bücherregal. Zwischen den Büchern stehen ein paar Grammys. Das eigene Glam-Image weicht einer hermeneutischen Neugier, aus der die User vieles lernen können. Mit der amerikanischen Autorin Emma Cline redet Dua Lipa über ihren letzten Roman «Die Einladung» und kommt dabei ganz leichthändig zu Konstruktionsfragen des Buches und zu den sozialen Implikationen der in den schwerreichen Hamptons angesiedelten Handlung.

«Tausend strahlende Sonnen», der Roman des afghanischen Autors Khaled Hosseini, ist ihre Empfehlung im Februar. Im Gespräch treten Hosseini und Dua Lipa eine Reise durch ein Land an, das sich seit der Machtübernahme durch die Taliban dramatisch verändert hat. Geschichte und literarische Erzählung werden miteinander abgeglichen. Am Ende der halbstündigen Unterhaltung weiss man sehr viel mehr über das heutige Afghanistan und hat ein Buch kennengelernt, das schon 2007 auf Deutsch erschienen ist.

Intellektuell und kraftvoll

Für Service95 hat sich Dua Lipa mit Patti Smith, Chimamanda Ngozi Adichie, Douglas Stuart und anderen unterhalten. Hintergründe und Rezensionen zu den Büchern werden auf der Seite mitgeliefert. Die Autoren dürfen selbst Bücher empfehlen, und so kommt ein Lesezirkel in Gang, dessen intellektuelle Schwungkraft die bisweilen schwerfällige Kritik klassischer Medien manchmal in den Schatten stellt.

Popkulturell ist Dua Lipa ein Hochglanzphänomen, eingehegt vom selbsterzeugten Image und von Missverständnissen. Als die «Vogue» mitbekommen hat, dass der Pop-Star auch liest, wurde begrifflich etwas nachgeschärft. Dua Lipa sei ein «Renaissancemensch». Vielleicht ist das sogar ein bisschen wahr.

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