Der Kulturpass soll in Deutschland die Generation Z ins Kulturleben locken

200 Euro für alle 18-Jährigen: Die Idee ist einfach und klingt attraktiv. Das Interesse der Jugendlichen am Kulturpass bleibt im ersten Jahr jedoch überschaubar.

Paul Jandl 3 min
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Die Kulturpass-App und ein Guthaben von 200 Euro sollten 2023 den 18-Jährigen den Zugang zum kulturellen Angebot erleichtern.

Die Kulturpass-App und ein Guthaben von 200 Euro sollten 2023 den 18-Jährigen den Zugang zum kulturellen Angebot erleichtern.

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Muss man Kulturpessimist werden, oder darf man sich freuen? 200 Euro aus Steuergeldern hat Deutschland jenen jungen Bürgern in die Tasche gesteckt, die 2023 achtzehn Jahre alt wurden. Ganz nach Belieben durfte der Betrag seit letztem Juni für Bücher, Kino, Konzerte, Musikinstrumente oder Theater ausgegeben werden. Das Ganze nennt sich Kulturpass und ist dem sehr erfolgreichen französischen «pass Culture» nachempfunden.

Nach den Erfahrungen des ersten Jahres war es Zeit, Bilanz zu ziehen. Diese ist durchaus gemischt. Nur 38 Prozent der Zielgruppe haben die digitalen Hürden genommen und sich für den Pass angemeldet. Das sind 285 000 Jugendliche, die ausserdem das dafür vorgesehene staatliche Budget von 100 Millionen Euro nicht gerade leer geräumt haben. Insgesamt 21 Millionen flossen in einen Kulturbetrieb, für den der Kulturpass nach dem Darben der Corona-Jahre eine Förderungsaktion sein sollte.

Bücher sind begehrt

Hauptziel allerdings war es, die Generation Z aus ihrem Zimmer heraus- und per Gutschein der Kultur näherzubringen. Claudia Roth, die grüne Kulturministerin, die den Pass initiiert hat, sollte sich die Bilanz ganz genau anschauen, denn der Pass ist so etwas wie ein bildungspolitischer Lackmustest. Was treibt die Generation Z? Und was treibt sie an?

Zuallererst: Mit dem unverhofften kulturellen Taschengeld kauften die Achtzehnjährigen vor allem Bücher. 650 000 Stück, das sind fast 60 Prozent aller Einkäufe. 260 000 Kinokarten wurden über den Kulturpass bezahlt und 110 000 Tickets für Konzerte und Theater. Ein paar Maultrommeln und Geigenbögen werden vielleicht noch dabei gewesen sein.

Bei 650 000 registrierten Einkäufen im Buchhandel weiss man jetzt ziemlich genau, was in der entsprechenden Altersklasse gelesen wird. Mangas und Comics sind ganz oben mit dabei. Wer solchem Material als junger Mensch nicht verfallen war, der werfe den ersten Stein. Was es aber in den Vorgängergenerationen so noch nicht gab, ist ein Genre, das sich auf Tiktok beziehungsweise Booktok als neuer Motor der Kulturindustrie erwiesen hat: New Adult. New Adult ist Fantasy und Herzschmerz, der Arztroman jugendlicher Krankenkassenmitversicherter. Die Spitzenreiter bei den Buchkäufen sind Romane mit Titeln wie «Fourth Wing – Flammengeküsst» oder «It Starts with Us – Nur noch einmal und für immer».

Auch wenn Juli Zeh und Sebastian Fitzek mit auf der Liste sind, im Hinblick auf New Adult scheint sich Claudia Roth die Sache ein bisschen schönzureden. Es gehe dort «um kämpferische Frauenfiguren und weibliche Heldinnen», hat die Ministerin dieser Tage der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» erklärt. Abgesehen davon, dass männliche Heldinnen in Büchern noch relativ selten sind: New Adult ist wohl kaum der Königsweg zur kulturellen Selbstermächtigung neuer Generationen.

Wie weiter?

Ein Blick nach Frankreich lässt neidisch werden, aber auch hoffen. Dort gibt es den «pass Culture» seit 2019. Er ist mit 500 Euro Guthaben ausgestattet und funktioniert offenbar gut. Seit dem Einführungsjahr, in dem Mangas und Comics noch ganz vorne lagen, ist das Niveau deutlich gestiegen. Claudia Roth denkt in erster Euphorie darüber nach, in Sachen Kulturpass künftig mit den Franzosen, wenn nicht überhaupt mit der EU zu kooperieren.

Euphoriedämpfend könnte sein, dass man in Deutschland noch nicht einmal weiss, wie es im Jahr 2024 weitergeht. Weil sie mit ihrer Arbeit den Notwendigkeiten hinterherhinkt, kann die Regierung erst im Februar einen Budgetentwurf vorlegen. Der deutsche Kulturpass ist ein Instrument mit unberechenbarer Streuwirkung. Dass er gar nicht trifft, könnte man nicht sagen. Dem «Spiegel» gegenüber haben sich junge Menschen freudig geäussert. Für sie sei das traditionelle Kulturangebot «ziemlich fucking unzugänglich» gewesen. Mit Pass reist sich’s jetzt leichter.

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