Die «Frauenlandi» war vergänglich, die Erinnerung an die Zürcher Architektin bleibt.
Hundert Jahre alt wäre Annemarie Hubacher-Constam (1921–2012), Chefarchitektin der zweiten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa), heute. Sie war eine der ersten Frauen im Herrenklub der Schweizer Architektur und hinterlässt uns nicht nur Bauten, die Zürichs Stadtbild prägen, wie das Strandbad Mythenquai, die Glaskuppeln der Gewächshäuser im Botanischen Garten oder das Hotel Atlantis am Fuss des Üetlibergs. Vor allem bleibt die Erinnerung an einen Pioniergeist, der auch heute dringend benötigt wird.
Nicht ganz hundert Jahre hatte es gedauert, bis an der 1855 eröffneten Eidgenössischen polytechnischen Schule in Zürich die erste Architektin diplomiert wurde: Flora Steiger-Crawford verliess die heute ETH genannte Hochschule 1923 und tat, was in dieser Zeit der einzige Weg in die selbständige Arbeitswelt für junge Frauen war: Sie eröffnete ein Architekturbüro gemeinsam mit ihrem Ehepartner.
Zwei Jahrzehnte später tat Annemarie Hubacher dasselbe. Die Enkelin von Gustav Gull, dem Erbauer des Landesmuseums und des Zürcher Stadthauses, begründete nicht nur eine Lebens-, sondern auch eine Bürogemeinschaft mit ihrem Mann Hans Otto Hubacher. Das Paar baute erst Einfamilien- und Landhäuser und spielte dabei erfolgreich mit schlichten Materialien und einfachen Linien, die an skandinavische Vorbilder erinnern. Ihr Bad am Mythenquai ist bis heute ein beliebtes Ziel, für das eigene Wohnhaus von 1955 erhielten die Architekten von der Stadt Zürich die bis heute geführte «Auszeichnung für gute Bauten».
Die später oft als eines ihrer zentralen gemeinsamen Werke bezeichnete Wohnsiedlung Rietholz in Zollikon (1961) verfolgte eine andere Architektursprache: Komplett aus Beton-Fertigelementen erstellt, sollte die Siedlung zeigen, dass die industrielle Serienbauweise nicht im monotonen Plattenbau enden muss. Geprägt war dieser Gestaltungswille von der wohl wichtigsten Erfahrung nicht nur für Annemarie Hubacher selber, sondern für alle Architektinnen ihrer Zeit: der Saffa.
Vergänglichkeit bestimmte das Programm der «Frauenlandi». Die ephemere Ausstellungsarchitektur, die vorfabrizierten zylindrischen Zeltbauten und der begehbare Wohnturm waren aus industriellen Bauteilen errichtet, zum Beispiel aus Stoffbahnen, die um Stahlstäbe geflochten wurden, um sie straff zu halten, oder ungehobelten Holzschalungen. So konnten sie nach der Ausstellung abgebaut und wiederverwendet werden. «Aus der Not der kurzen Ausstellungsdauer und der begrenzten finanziellen Mittel wurde eine Tugend gemacht», sagte Annemarie Hubacher – design to cost avant la lettre.
Der Chefarchitektin stand ein grosses Frauenteam zur Seite: 33 Architektinnen, eine Ingenieurin und 34 Grafikerinnen. Sie gestalteten auf der Landiwiese und der eigens aufgeschütteten Saffa-Insel eine Ausstellung, deren Masterplan einerseits State of the Art im zeitgenössischen Städtebau war, andererseits aber auch die Themen aufnahm, die den Frauen zugesprochen wurden, um sie in moderner weiblicher Perspektive umzusetzen.
«Die Frau als Gestalterin des Wohnens» war eines dieser Kapitel, und die Chefin der Saffa schuf dafür höchstpersönlich ein Gefäss: einen 30 Meter hohen Turm, eine zweiseitig mit Wellaluminium verkleidete Stahlkonstruktion mit transparenten Brüstungen aus Armierungsnetzen. Mit dem Lift ging es in die achte Etage – schliesslich war Annemarie Hubacher die Tochter eines Ingenieurs und vertraut mit den technischen Entwicklungen –, ins Café mit Aussichtsbalkon und zum Stadtmodell, und zu Fuss wieder hinunter über eine Rampe, die sich um die Fassade wand.
Zwei Geschosse gehörten allein dem neuzeitlichen Wohnen «für untere und mittlere Einkommensschichten» für die verschiedenen Lebensalter mitsamt einer Wohnberatung. Auch das «Saffa-Kirchlein» – ein kleiner Sakralbau, der von den Frauenbünden verschiedener Konfessionen gemeinsam betrieben wurde – hatte Annemarie Hubacher selber entworfen und als Zeichen für die ökumenische Frauenbewegung neben den Haupteingang gestellt.
Die Architektin unterstützte damit die Diskussion um die Sichtbarkeit von Frauen nicht nur in künstlerischen und gestaltenden Berufen, sondern überhaupt in der Gesellschaft – auch wenn die wenige Monate später stattfindende Abstimmung über das Frauenstimmrecht vorerst nochmals scheitern sollte.
Annemarie Hubacher wollte ernst genommen werden als Gestalterin in der von Männern dominierten Architekturwelt, und sie erreichte dieses Ziel ein Jahr nach der Saffa, als sie in den Bund der Schweizer Architekten (BSA) aufgenommen wurde. Seit zwei Jahren liegt ihr Nachlass nun auch im Archiv der ETH Zürich, einsehbar für die Nachwelt, damit nie vergessen gehen wird, wie sie mit ihrem Werk und ihrer Überzeugung vielen nach ihr den Weg gebahnt hat.