Der Papst soll sich bekennen: Franziskus muss den Synodalen Weg in Deutschland nicht nur beobachten, sondern mitgestalten

Er wünscht sich keine zweite evangelische Kirche, sondern eine starke katholische: Schon zweimal hat Franziskus dieses Bonmot an die deutschen Bischöfe gesandt. Nun wird seine Kritik noch deutlicher.

Jan-Heiner Tück
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«Ich will es katholisch, doch in Brüderlichkeit mit der evangelischen Kirche»: Papst Franziskus äussert starke Vorbehalt am Reformvorhaben der deutschen Bischöfe.

«Ich will es katholisch, doch in Brüderlichkeit mit der evangelischen Kirche»: Papst Franziskus äussert starke Vorbehalt am Reformvorhaben der deutschen Bischöfe.

Imago / Massimiliano Migliorato

«Ohne Wiederholung bleibt nichts hängen», lautet ein alter pädagogischer Grundsatz. So hat Papst Franziskus nach seinem Besuch in Bahrain bei einer fliegenden Pressekonferenz sein provokantes Wort wiederholt. «Ich sage den deutschen Katholiken: Deutschland hat eine grosse und schöne evangelische Kirche. Ich würde keine andere wollen, sie würde nie so gut sein; aber ich will es katholisch, doch in Brüderlichkeit mit der Evangelischen.»

Franziskus warnt nicht plump vor einer «Protestantisierung» der katholischen Kirche. Er lobt die evangelische und warnt die katholische vor einer blassen Dublette. Die nachholende Selbstmodernisierung des Katholizismus, die das II. Vatikanische Konzil vor sechzig Jahren eingeleitet hat, soll nicht so fortgesetzt werden, dass das verdunstet, was das Katholische ausmacht. Der Minderwertigkeitskomplex gegenüber der protestantischen Bildungselite, der weit über das deutsche Kaiserreich hinaus bei Katholiken vorherrschend war, dürfte sich seit der Adenauer-Ära ohnehin abgeschliffen haben.

Hintergrund der Äusserung sind die Reformdebatten auf dem Synodalen Weg in Deutschland, auf dem Bischöfe und Laien auf gleicher Augenhöhe beraten und entscheiden. In der evangelischen Kirche in Deutschland sind solche Synodalpraktiken längst eingespielt, auch ist der Zugang von Frauen zum Pfarr- und Bischofsamt möglich, die Liberalisierung der Sexualethik vollzogen. In der «Kirche der Freiheit» wird selbst über assistierten Suizid offen diskutiert. Dies zu kopieren, wünscht Franziskus offensichtlich nicht – und der Zeitpunkt seiner Dissensmarkierung ist bemerkenswert.

Franziskus bleibt skeptisch

Mitte November werden die deutschen Bischöfe in Rom zu den turnusmässigen Besuchen erwartet, um mit dem Papst über die Lage der Kirche in Deutschland zu beraten. Der vorausgegangene Besuch mehrerer Bischöfe, die für das Anliegen des Synodalen Weges nochmals intensiv geworben haben, hat beim römischen Pontifex keine Wirkung gezeigt. Franziskus bleibt skeptisch.

Dies wird Befürworter des Synodalen Weges in Deutschland wenig freuen. Schon der Brief des Papstes an die Kirche in Deutschland 2019 hat ein gespaltenes Echo provoziert. Die Ermutigung zu mehr Synodalität wurde begrüsst, das päpstliche Votum für einen «Primat der Evangelisierung» übergangen. Mehr noch wurde bemängelt, dass der Papst mit keinem Wort auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eingeht, die Frauenfrage ausser acht lässt und über die Verbindlichkeit der Synodalbeschlüsse keine Angaben macht.

Dabei hat der Missbrauchsskandal unverkennbar eine systemische Dimension, die strukturelle Antworten verlangt. Das hat der Synodale Weg in Deutschland gesehen und Beschlüsse getroffen, um die Aufarbeitung der Missbräuche zügig anzugehen und Präventionsmassnahmen zu setzen. Fraglich ist allerdings, ob dies so eng verzahnt werden kann mit weitergehenden Reformabsichten, die das Amtsverständnis und die bischöfliche Kirchenverfassung betreffen.

Am Ende sollen die Bischöfe entscheiden

Heikel ist, dass sich manche Akteure mit ihren Forderungen direkt auf die Missbrauchsbetroffenen berufen. Die Gefahr einer Funktionalisierung oder gar «Retraumatisierung» (Klaus Mertes) steht im Raum. Die einen wünschen sich Reformen, andere lehnen sie ab, wieder andere legen Wert auf zügige Aufarbeitung und schnelle Entschädigung, ohne mit Kirchenreformfragen behelligt zu werden. Im Blick auf das plurale Selbstverständnis der Betroffenen, das in den Betroffenenräten kaum angemessen repräsentiert ist, stellt sich die Frage: Sollen die einen gehört, die anderen übergangen werden?

Franziskus hat die Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes von Anfang an vom Synodalen Prozess der Weltkirche abgekoppelt. 2015 hat er eine Kommission für den Schutz von Kindern eingesetzt und 2019 einen «Anti-Missbrauchs-Gipfel» veranstaltet. Eine juristisch härtere Gangart im Umgang mit Missbrauchstätern hat er eingeleitet. Weitere Schritte müssen folgen. Zugleich hat der Papst einen Synodalen Prozess initiiert, der alle einbeziehen möchte, aber klar zwischen Konsultation und Entscheidung differenziert. Alle Akteure der Evangelisierung sollen ihre Stimme einbringen, die Beschlüsse nehmen die Bischöfe vor. Dabei gilt: ohne spirituelle Erneuerung keine Strukturreform.

Der Synodale Weg in Deutschland verfolgt eine gegenläufige Agenda. Erst die fällige Strukturreform, dann Massnahmen der Evangelisierung. Der Tübinger Theologe Peter Hünermann hat dieses Vorgehen in einem offenen Brief an den Papst soeben verteidigt und auf die tiefe Erschütterung verwiesen, welche die Aufdeckung des Missbrauchsskandals durch die 2018 veröffentlichte Studie der Bischofskonferenz ausgelöst hat. Das neue Gesprächsformat der Bischöfe und Katholiken sei als Weg eines öffentlichen Buss- und Versöhnungsprozesses alternativlos gewesen.

«Gender trouble» in der Kirche

Dass das deutsche Reformprojekt einen kühnen Umbau der Kirchenverfassung anstrebt, hat Hünermann ebenso verschwiegen wie die angezielte Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualethik im Namen der Selbstbestimmung und den schleichenden Einzug radikaler Gendertheorien. Bei der Synodalversammlung im Februar 2022 konnten Frauen nicht mehr als Frauen, sondern nur noch als «Nicht-Männer» abstimmen, weil sich unter den Synodalen eine Person befand, die sich als nicht binär definiert.

Damit war der «gender trouble» in der Kirche angekommen. Die Diversitätstoleranz hatte allerdings den paradoxen Effekt, dass den Synodalinnen unter der Hand ihr Frausein abgesprochen wurde. Das provozierte Unbehagen. So gab es im September eine neue, modifizierte Abstimmungstrias: ‹Mann›, ‹Frau›, ‹divers›. All diese Entwicklungen dürften kaum im Sinne von Papst Franziskus sein.

Der Synodale Weg will einen obersten Rat etablieren, der von Laien und Bischöfen geschlechter- und generationengerecht besetzt sein soll. Das ist ein neuer Typ von Kirchenleitung. Synodalität in Permanenz – einige wenige für alle! Bei der Frankfurter Synodalversammlung im Oktober wurde einem «Synodalen Ausschuss» bereits die Aufgabe übertragen, die institutionelle Verstetigung des Rates vorzubereiten. Das lässt den Apparat weiter anschwellen und verschlingt beträchtliche Finanzmittel bei sinkenden Einnahmen. Auch schränkt das neue nationale Leitungsgremium die Befugnisse der Bischofskonferenz ein, die Papst Franziskus als Zwischeninstanz zwischen Orts- und Universalkirche gerade gestärkt sehen will.

Was denkt das treue Volk?

Loyalitätskonflikte der deutschen Bischöfe sind vorprogrammiert. Als Mitglieder des Bischofskollegiums sind sie Teil der universalen Hierarchie, mit deren Vorgaben die lokalen Mehrheitsbeschlüsse gewiss nicht immer harmonieren. Der Synodale Rat kann nur funktionieren, wenn die Bischöfe sich durch «freiwillige Selbstbindung» dem Rat unterwerfen. Woher die theologische Legitimation stammen soll, dass Laien mit quasi bischöflicher Autorität die Kirche leiten sollen, ist offen. Bezeichnend auch, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Mitglieder des Synodalen Ausschusses allein aus den eigenen Reihen bestimmen will – andere bleiben unberücksichtigt.

Einen Zweifel, dass akademische Eliten und Verbandsvertreter die Gläubigen angemessen vertreten, hat der Papst angedeutet: «Was denkt Gottes treues heiliges Volk? Gehen Sie dorthin, und suchen Sie nach seinen Gefühlen, dieser schlichten Religiosität, die Sie bei Grosseltern finden. Ich sage nicht, zurückzugehen, nein; sondern zur Quelle der Inspiration an die Wurzeln zurückgehen.» Es gibt auch Laien, welche die gereizte Tonlage der Debatten beim Synodalen Weg irritiert. Viele wundern sich, dass die Identitätspolitik sexueller Minderheiten so breiten Raum einnimmt, während der Kollaps der Verkündigung und die galoppierende Versteppung des Glaubens kein Thema sind.

Um die Reformdiskurse aufzubrechen, hat Franziskus seinen Ruf «Zurück zu den Quellen» konkretisiert und der spirituell ausgezehrten Kirche in Deutschland einen deutlichen Wink gegeben: «Wenn es keine Begegnung mit Jesus Christus gibt, wird es eine als Christentum verkleidete Ethik geben.» Ob der Papst seine spontanen Interview-Aussagen den deutschen Amtsbrüdern beim Ad-limina-Besuch persönlich vorhalten wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wäre es höchste Zeit, dass Franziskus vom unentschiedenen Beobachter zum entschiedenen Mitgestalter des Synodalen Weges wird.

Jan-Heiner Tück lehrt Systematische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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