Tolkien auf der Bühne: Die Regisseure spielen Herren der Ringe

Die Inszenierung «Riesenhaft in Mittelerde» in der Zürcher Schiffbauhalle ist ein gesamtkünstlerisches Fantasy-Spektakel. Es dominiert ein parodistischer Geist, der eher belustigt als belehrt.

Ueli Bernays 4 min
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Frodo (Kay Kysela) trägt den Ring mit sich wie sein eigenes Schicksal.

Frodo (Kay Kysela) trägt den Ring mit sich wie sein eigenes Schicksal.

Bilder Philip Frowein / Schauspielhaus Zürich

Sind wir in einer Fantasy-World oder im Theater? Ist das eine Kostümparty, ein Maskenball oder eine dramatische Inszenierung? Das Theater hält im besten Falle immer ein paar phantastische oder magische Überraschungen bereit. Wer auf die Bühne blickt, hofft gespannt auf tiefschürfende Schauspielerei, auf den Kitzel von Konflikten, aber auch auf optischen und akustischen Zauber.

Am Samstagabend in der Schiffbauhalle aber wandern die Blicke verwundert über eine ausladende, schummrige Szenerie (Bühnenbau: Katrin Nottrodt) mit zahllosen Schauplätzen und Screens. Statt einer frontalen Bühne gibt es hier eine zentrale Plattform und rundherum verschiedenen Nebenbühnen und Screens. So wandelt man anfangs vorbei an einem Puppentheater, einem Märchenwald, einer Säulenhalle und am «Crazy Horst», einer Taverne, in der für bare Münze Bier ausgeschenkt wird.

Kein Frontalunterricht

Auf dem Programm steht «Riesenhaft in Mittelerde», eine Bearbeitung von J. R. R. Tolkiens «Herr der Ringe». Bei der Kollaboration des Zürcher Schauspielhauses mit dem Theater Hora und dem Helmi-Puppentheater (Regie: Nicolas Stemann, Stephan Stock, Florian Loycke) handelt es sich um ein ziemlich ambitioniertes, gesamtkünstlerisches Projekt. Dem Publikum wird zunächst freier Lauf gewährt, es soll sich selbst einen Weg durch Tolkiens Welt bahnen, bevor der Handlungsstrang szenisch aufgenommen wird. Mit dem Verzicht auf den theatralen Frontalunterricht ist die erzählerische Logik jedoch nicht ganz leicht zu erschliessen. Wie im richtigen Leben erweist sich auch ein bisschen mittelirdische Bildung als hilfreich.

Auf Mittelerde kämpfen Hobbits, Elfen und Zauberer gegen die Macht des Bösen.

Auf Mittelerde kämpfen Hobbits, Elfen und Zauberer gegen die Macht des Bösen.

Allerdings bildet Tolkiens Erzählung nur den lockeren Rahmen, in den die aufgebrezelten Zauberer, Zwerge, Ritter, Elfen und Monster einzelne Motive und abenteuerliche Begebenheiten einbringen. Und wenn sich das Publikum nach ersten Spaziergängen dann doch in den Zuschauerrängen beidseits der Halle niederlässt, kann es dem Geschehen auf unterschiedlichen Bühnen und Screens folgen.

Während nun ein Kahn durch die Halle wackelt, wird dieser von zappeligen Schaumgummi-Fischen begleitet, die Statisten an hohen Stangen hinterhertragen. Gleichzeitig werden die Fische von einer Kamera eingefangen, die den Schwarm auf so viele Flächen projiziert, dass sich die ganze Halle für einen Moment in ein Aquarium zu verwandeln scheint. Dann aber kämpfen zwei Fischer erstmals um jenen Goldring, den der teuflische Diktator Sauron einst im Gebirge von Mordor geschmiedet haben soll, um daran die Macht über die Welt zu knüpfen.

Risiken und Nebenwirkungen

Dass dieser Kampf mit einem Sieger und einem Toten ausgeht, ist weniger wichtig, als dass der Ring darauf irgendwie bei den Hobbits landet, den friedvollen, menschenähnlichen Wesen des Auenlands. Bilbo Beutlin (Gottfried Breitfuss) hat den Ring gefunden und ihn seinem Neffen Frodo (Kay Kysela) vermacht. Beunruhigt durch die Risiken und Nebenwirkungen dieses Schmuckstücks, führt Zauberer Gandalf den kleinen Frodo nach Bruchland, wo die Elfen herrschen.

Riesenhaft in Mittelerde. Nikolai Gralak.

Riesenhaft in Mittelerde. Nikolai Gralak.

Riesenhaft in Mittelerde. Gianni Blumer, Caitlin Friedly (hinten: Florian Loycke, Brian Morrow)

Riesenhaft in Mittelerde. Gianni Blumer, Caitlin Friedly (hinten: Florian Loycke, Brian Morrow)

Nikolai Gralak spielt den guten Zauberers Gandalf und Gianni Blumer die schöne Eowyn.

Damit kommt es, ziemlich früh schon, zum Höhepunkt des Abends. Unter der Leitung des zerstreuten Magnaten Elrond (Lukas Vögler), der hoch oben auf einer Plattform steht, konferieren die über die ganze Schiffbauhalle verteilten Helden von Mittelerde darüber, wie mit dem Ring umzugehen wäre. Dabei setzten sich die kraftstrotzenden Kämpen Gimli und Boromir (Florian und Felix Loycke) ebenso witzig in Szene wie etwa auch der Schönling Legolas (Vincent Basse). Elronds Tochter Arwen (Caitlin Friedly) ärgert sich derweil über ihren peinlichen Vater. Die Konferenz missrät bald in einem lauten Tohuwabohu, bis sich Frodo bereit erklärt, den Ring zusammen mit einem mittelirdischen Männerbund zurück nach Mordor zu tragen und ihn für immer im Schlund eines Vulkans zu versenken.

Die Szene ist bezeichnend für den parodistischen Geist der Inszenierung. Im Fahrwasser dieser Ironie bleibt indes wenig Raum für Bedeutung und Interpretation. Immerhin nimmt man die Mannhaftigkeit von Tolkiens Helden aufs Korn. Und bevor sie in den Kampf gegen Saurons Armee monströser Orks ziehen müssen, wird zuerst das sogenannte Böse infrage gestellt. Abermals spaziert das Publikum dann in der Halle herum, wo freundliche Orks in schrecklichen Masken Auskunft geben über ihre zoologische Verbindung zu den Orcas. Andere wiederum schimpfen wie Wutbürger und behaupten, Hobbits und Menschen seien die eigentlichen Kriegstreiber. Die Orks würden aber bald zurückschlagen.

Man fühlt sich bisweilen zu aktuellen Bezügen versucht. In der Ukraine werden die russischen Angreifer als Orks bezeichnet. Und wenn ein Hobbit ohne Waffen Frieden schaffen will, lässt das an einen verblendeten Pazifismus denken. Aber der Humor von «Riesenhaft in Mittelerde» bleibt meist simpel; er belustigt, er belehrt aber kaum. Damit fehlt es an kritischem Biss und gesellschaftlicher Brisanz; ein Manko, das bisweilen zu dramaturgischen Längen führt.

Ein vergnüglicher Abend

Als nicht ganz unproblematisch erweist zuletzt auch das Zusammenspiel von Schauspielhaus und Hora-Theater. Die kognitiv beeinträchtigten Schauspielerinnen und Schauspieler des integrativen Theaterprojekts machen zwar eine gute Figur, solange sie sich engagiert und schlagfertig unter die Helden und die Feinde von Mittelerde einreihen. Wenn sie die Regie am Ende aber in einer Art Coda plötzlich sich selbst zur Schau stellen lässt, dann strapaziert das die Idee der Inklusion ebenso wie das Timing der Dramaturgie.

Dass man «Riesenhaft in Mittelerde» trotzdem als vergnüglichen Abend in Erinnerung behalten wird, liegt an der Originalität vieler kleiner schauspielerischer oder szenografischer Einfälle und insgesamt am beherzten Versuch, alle möglichen multimedialen Mittel auszukosten. Dazu zählt, last, but not least, die Musik, die der Inszenierung mit hymnischen Litaneien, Heavy-Metal oder Easy Listening immer wieder Schwung verleiht.

Der Zauberer Saruman (Noha Badir) dient dem bösen Sauron.

Der Zauberer Saruman (Noha Badir) dient dem bösen Sauron.