Wes Andersons neuer Film ist eine Wundertüte voller Nostalgie und Zwecklosigkeit

«The French Dispatch» wirft einen liebevollen Blick auf einen Journalismus alter Schule, den es nie gab, von dem man jedoch träumen könnte.

Tobias Sedlmaier
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Prinzipientreu stellt er sich schützend vor seine Schäfchen: der Verleger Arthur Howitzer, Jr. (Bill Murray).

Prinzipientreu stellt er sich schützend vor seine Schäfchen: der Verleger Arthur Howitzer, Jr. (Bill Murray).

Disney

So lange schon scheint Wes Anderson der Leinwand-Jesus für inzwischen ergraute Hipster zu sein, dass man sich fragen kann, ob das, was er tut, überhaupt noch hip ist. Unbeirrt und abseits aller modischen Strömungen frönt der Texaner dem Hang zum Harmlosen, der Neigung zum Niedlichen. Die pittoresken, der Wirklichkeit entrückten Miniaturwelten, in deren strengen Bildkompositionen Schauspielstars wohlklingende, witzige Wortwechsel herunterrattern, haben seinen Filmen einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt.

Andersons neuster Streich, sein zehnter, heisst «The French Dispatch» und ist ein ganzes Museum der Nostalgie geworden. Aber nicht eines von jenen staubtrockenen, in die man als Kind zwecks höheren pädagogischen Werts bugsiert wurde. Sondern eines von den coolen, an denen man sich kaum sattsehen konnte, so sehr lockten Bilder, Farben, Bewegung. Liebevoll ausgestellt wird hier: ein Journalismus alter Schule, den es so freilich niemals gab. Doch wie bei jeder Liebesbezeugung kann man sich einfach blind stellen und geniessen.

Archetypen eigenwilliger Autoren

Die filmische Hommage an das reale Magazin «The New Yorker» wirft durch eine tief rosarot gefärbte Brille einen Blick auf den Alltag einer Zeitung, wie ihn die Leserschaft und noch mehr die Journalisten nur erträumen könnten. Als erstes Original des Kuriositätenkabinetts sehen wir den prinzipientreuen Verleger Arthur Howitzer, Jr., gespielt von einem selten sanftmütigen Bill Murray. Dieser gewährt seufzend Spesen fragwürdigster Herkunft und stellt sich in jeder Lebensnotlage schützend vor seine schreibenden Schäfchen. Nur Weinen ist verboten, wie ein Schild über der Bürotür informiert.

Eine Runde ganz eigenwilliger Autoren versammelt sich in der Redaktion von «The French Dispatch».

Eine Runde ganz eigenwilliger Autoren versammelt sich in der Redaktion von «The French Dispatch».

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In der Redaktion von «The French Dispatch» tummeln sich Archetypen von eigenwilligen Autoren, die heute an der Journalistenschule unter der Devise «Online first and fast» schwer zu leiden hätten. Eine Schreiberin liefert Zigtausende Zeichen zu viel ab (mit Epilog), ein anderer bringt keinen einzigen Text jemals zu Ende, sondern hängt stoisch im Gang herum, die Hand in der Chipstüte. Und dann gibt es noch den Typen mit dem «typografischen Gedächtnis», der jedes seiner jemals zu Papier gebrachten Worte gespeichert hat.

Angesiedelt ist dieser redaktionelle Ableger der amerikanischen Zeitung «Liberty, Kansas Evening Sun» in dem französischen Städtchen Ennui-sur-Blasé. Der Name ist wenig subtil gewählt (ennui = Langweile, blasé = gleichgültig) und die Örtlichkeit das Traumbild eines idealisierten Nachkriegsfrankreich. Nach einem vom Geist der Habsburger erfüllten Hotel 2014 («Grand Budapest Hotel») und vier Jahre später einer japanischen Insel, die seuchengeplagten Hunden ein Refugium bot («Isle of Dogs»), zeichnet Anderson nun mit bonbonfarbenem Pinsel das Savoir-vivre exzentrischer Expats.

Französischer könnte das Terrain der Rahmenhandlung kaum gestaltet sein, prall gefüllt mit Anspielungen auf die reiche Filmgeschichte der Grande Nation, von Jacques Tatis «Mon oncle» über die Gangster bei Jean-Pierre Melville bis zum fröhlichen Eskapismus aus «Le fabuleux destin d’Amélie Poulain». Zwar spielt der Film mit so unterschiedlichen Stilen – selbst dem Comic – ebenso wie mit geschickten Farbwechseln, doch seine Struktur ist klar geordnet: In einem Nachruf, drei grösseren «Storys» aus unterschiedlichen Ressorts und einem kurzen Reisebericht auf dem Rad simuliert «The French Dispatch» für die Zuschauer das Durchblättern eines Magazins.

Ein verklärtes Frankreich, ähnlich wie bei «Amélie», ist der Ort der Rahmenhandlung.

Ein verklärtes Frankreich, ähnlich wie bei «Amélie», ist der Ort der Rahmenhandlung.

Disney

Dabei ufern die einzelnen Geschichten, die jeweils auch als Emanzipationsbestrebungen ihrer (im weiteren Sinne) künstlerisch tätigen Protagonisten gesehen werden können, vollkommen aus. Da ist es fast schade, dass sie in ihren jeweiligen Formaten Kultur, Politik, Kulinarik verhaftet bleiben. So ist für jeden etwas dabei in dieser Wundertüte. Das macht «The French Dispatch» leider auch zu einem Film, der nicht grösser ist als die Summe seiner einzelnen Teile.

Die Versöhnung zwischen Mainstream und Avantgarde

Sehr gelungen ist gleich der erste Beitrag aus dem Feuilleton, «The Concrete Masterpiece», über einen Maler, der erst nach einer Dekade im Gefängnis seinen Stil (und seine Muse) entdeckt – und zu einer Ikone moderner Kunst avanciert. Ein Förderer schlägt eine versöhnende Symbiose aus Mainstream und Avantgarde vor, indem er darauf hinweist, dass ein Künstler seine Erzeugnisse immer an das Publikum bringen müsse, sonst könne er seine Tätigkeit bleiben lassen. Und, quelle surprise, nach einigen subversiven Versuchen hegt das Kapital letztlich die künstlerische Freiheit ein, ein Andersonsches Augenzwinkern aufs eigene Werk?

Die zweite Geschichte handelt von den Tücken einer bereits im Kern als albern angelegten 1968er Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst. Hier zeigt sich stellenweise arg langatmig der fruchtbare Zusammenprall zwischen Jung und Alt und wie Erstere mal mehr, mal weniger sanft Letztere ablösen. Im dritten, dem rasantesten und voltenreichsten Beitrag schliesslich wird ein Koch zum unfreiwilligen Helden bei einer Geiselbefreiung.

Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens and Griffin Dunne: Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Starensemble, mit dem «The French Dispatch» aufwartet.

Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens and Griffin Dunne: Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Starensemble, mit dem «The French Dispatch» aufwartet.

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Ob Tilda Swinton, Timothée Chalamet oder Edward Norton: Jedes Mal, wenn man glaubt, jetzt seien alle Darstellerinnen und Darsteller aufgetreten, deren Namen Plakat und Trailer verkündeten, taucht schon wieder ein Superstar auf. Ach, Christoph Waltz spielt auch noch für fünf Minuten mit? Und war das nicht gerade Saoirse Ronan im Bild? Die komplette Aufzählung der Riege von Stars in «The French Dispatch» würde die Länge dieses Texts sprengen, aber vermutlich dürfte es kaum mehr einen geben, der sich dem Ideenreichtum von Anderson entziehen wollte.

Fanal der absichtlichen Zwecklosigkeit

Man kann dem Regisseur zugutehalten, dass er mit vollen Händen aus dem Arsenal filmischer Möglichkeiten schöpft. Und mit seiner Feier der Printmedien auch ein Statement für ein analoges, haptisches Erkennen der Welt abgibt. Eine Sehnsucht befeuert, die Dinge zu be-greifen, vor denen wir derzeit aus lauter Ansteckungsscheu zurückweichen. Doch stellenweise wird es dadurch auch beliebig, ständig scheint irgendetwas zu passieren, obwohl in Wahrheit recht wenig passiert.

So wirkt «The French Dispatch» ein wenig wie die berühmten Zeichnungen, die der Brite William Heath Robinson von Maschinen anfertigte, die wahnsinnig aufwendig aussehen, doch wenig wirksam sind. Beim Ansehen hat man seinen Spass, doch in den Gedanken hallt der Film kaum nach. Man verlässt das Museum beseelt, doch ohne Botschaft, ohne Erkenntnis. Solange für ein solches Fanal der absichtlichen Zwecklosigkeit noch Raum ist und der Film seine Anhängerschaft findet, brauchen wir uns um die Kinokultur keine allzu grossen Sorgen zu machen.

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