Der Rubel rollt zu Tal

Die Zentralbank gewährt dem Rubel mehr Freiraum, und der gibt beständig nach. Die traditionelle Angst vor einer schwachen Währung bleibt aus, denn die hat derzeit Vorteile.

Benjamin Triebe, Moskau
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Der schwache Rubel ist eine willkommene Stütze für Russlands Wirtschaft: vor einer Geldwechselstelle in Moskau. (Bild: Reuters / Maxim Shemetov)

Der schwache Rubel ist eine willkommene Stütze für Russlands Wirtschaft: vor einer Geldwechselstelle in Moskau. (Bild: Reuters / Maxim Shemetov)

Der russische Rubel steht derzeit unter so starkem Druck wie lange nicht mehr, und es sieht nicht danach aus, als würde sich daran bald etwas ändern. Am Montag notierte er gegenüber dem Referenz-Währungskorb der Zentralbank (55% Dollar, 45% Euro) so schwach wie zuletzt vor rund fünf Jahren. Ein Dollar ist Rbl. 33.80 wert, rund 10% mehr als vor einem Jahr. Für einen Euro erhält man Rbl. 45.80 (+13%). Die Valuta des drittgrössten Schwellenlandes gibt nicht nur nach, weil Angebot und Nachfrage sie dazu zwingen, sondern auch weil sie es darf: Die Zentralbank hält den Rubel mit Interventionen in einem Korridor zum Währungskorb, reduziert ihren Markteingriff aber kontinuierlich. Sie strebt den Übergang zu einem freien Wechselkurs ab 2015 an, weil sie künftig ein Inflationsziel verfolgen möchte.

Weniger Interventionen

Vor wenigen Tagen hat die Notenbank eines ihrer Interventionsinstrumente aufgegeben, mit dem der Rubel im Korridor gehalten wurde. Zwar greifen die Währungshüter weiterhin automatisch ein, wenn der Rubel sich den Korridorwänden nähert – aber der Korridor wird nun bereits nach Interventionen von 350 Mio. $ täglich statt wie bisher 410 Mio. $ nach oben und unten ausgedehnt, um den Marktkräften Rechnung zu tragen. 2013 griff die Zentralbank mit 27 Mrd. $ in den Devisenmarkt ein, davon entfielen laut Alfa Bank 16 Mrd. $ auf die nun abgeschaffte Interventionsvariante. In den vergangenen Monaten hatte sie den Korridor bereits erweitert und das Interventionsvolumen reduziert ; die jüngste Massnahme ist also ein logischer Schritt. Der Rubel darf nun flexibler und volatiler schwanken, auch wenn er seine wachsende Freiheit vorerst hauptsächlich nutzt, um an Wert zu verlieren. Analytikern gilt er als deutlich überbewertet, manche rechnen mit einem Stand von 35 Rbl. je $ bis Ende 2014.

Höhere Gewinne im Export

Die russische Wirtschaft ist im Abschwung, was sich im Rubel-Kurs niederschlägt. 2013 ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) nach jüngsten Schätzungen vielleicht nur um 1,3% gewachsen; 2012 waren es 3,4%. Für 2014 sind die Aussichten trotz sehr niedrigen Investitionen etwas besser. Dazu könnte gerade ein schwächerer Rubel beitragen, der russische Exportwaren im Ausland günstiger macht bzw. die Exporterlöse erhöht. Damit stemmt sich die Währung gegen die besorgniserregende Erosion des Überschusses der Leistungsbilanz (Ertragsbilanz), den der Rohstoffexporteur Russland sonst traditionell verzeichnet.

Nach einer ersten Schätzung der Zentralbank fiel der Leistungsbilanzüberschuss von 3,6% des BIP oder 72 Mrd. $ im Jahr 2012 auf nur noch 1,6% des BIP oder 33 Mrd. $ 2013. Für die Halbierung ist besonders der Rückgang der Nicht-Energie-Exporte um knapp 5% verantwortlich, der der geringeren globalen Nachfrage nach russischen Metallen und Bergbauerzeugnissen geschuldet ist. Der Wert der Ausfuhren an Erdöl und Erdgas blieb etwa konstant, aber hier sind kaum noch steigende Preise zu erwarten. In der Vergangenheit hatten die international wachsenden Energiepreise zu höheren russischen Exportpreisen und besseren Realaustauschverhältnissen geführt. Das auch daraus resultierende Reallohnwachstum hielt 2013 an und liess die Importe noch um 2,6% wachsen. Aufgrund der Schwäche von Wirtschaft und Währung dürfte das Importwachstum in diesem Jahr zwar niedriger ausfallen, aber wohl nicht genug, um die Leistungsbilanz vollends zu stabilisieren. Die Bank VTB rechnet für 2014 mit einem Überschuss von nur noch 0,9% des BIP; die Alfa Bank erwartet ab dem zweiten Quartal ein Defizit.

Auffällig ist, dass der russische Leistungsbilanzüberschuss zwar stark gesunken ist, aber das Defizit seines Spiegelbildes, der Kapitalbilanz, nur auf etwas schiefe Art und Weise. Beide Statistiken gleichen sich grosso modo aus: Sinkt der eine Positivsaldo, muss auch der andere Negativsaldo schrumpfen. 2013 jedoch blieb der private Nettokapitalabfluss mit 63 Mrd. $ nahezu unverändert gegenüber der revidierten Zahl für 2012. Das drückte ebenfalls auf den Rubel; der statistische Ausgleich kam über das Gegensteuer der Nationalbank an der Währungsfront, deren Reserven um rund 22 Mrd. $ oder 1% abnahmen. Nun streiten sich die Auguren, wie viel von dem Abfluss auf die in Russland berüchtigte «Kapitalflucht» zurückzuführen ist, also den Abzug von Geldern aufgrund von Rechtsunsicherheit und anderen negativen Faktoren für das Investitionsklima. Ein eindeutig positives Zeichen ist der hohe Abfluss jedenfalls nicht.

Wermutstropfen für Anleger

Für in Russland engagierte Anleger ist die Rubel-Schwäche zweifellos ein Wermutstropfen. Nach der Öffnung des Handels von auf Rubel lautenden Staatsanleihen (OFZ) war das Interesse ausländischer Investoren 2013 stark gestiegen. Ihr Anteil am OFZ-Markt ist nach Bloomberg-Daten von weniger als 5% Anfang 2012 auf 26% per Ende November 2013 gewachsen. Anleger können sich immerhin damit trösten, dass aufgrund der nach wie vor hohen Inflation (2013: 6,5%) in naher Zukunft höchstwahrscheinlich keine Zinssenkungen zu erwarten sind. Zinserhöhungen allerdings lässt das politische Klima im Wirtschaftsabschwung auch nicht zu.

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