Die Immobilie den Kindern übertragen, aber darin wohnen bleiben: Darauf kommt es an

Manche Immobilienbesitzer übertragen ihre Liegenschaft frühzeitig an ihre Nachkommen. Statt sie vollständig zu übergeben, behalten sich aber viele ein Wohnrecht oder eine Nutzniessung vor. Worauf ist dabei zu achten?

Michael Ferber
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Bei einer Nutzniessung erhält ein Berechtigter den «vollen Genuss» an einem Vermögenswert.

Bei einer Nutzniessung erhält ein Berechtigter den «vollen Genuss» an einem Vermögenswert.

Annick Ramp / NZZ

Vielen Menschen wird im Alter der Unterhalt der eigenen Immobilie zu anstrengend. Andere haben Angst, dass sie pflegebedürftig werden und dass sie ihre Liegenschaft verkaufen müssen, um das Pflegeheim zu bezahlen. Deshalb erwägen sie, ihr Wohneigentum schon zu Lebzeiten an ihre Kinder zu übertragen – und kalkulieren, dass die Immobilie so in der Familie bleibt. Dann stellt sich aber die Frage, wo sie danach selber wohnen sollen. Die Nutzniessung und das Wohnrecht machen es möglich, dass man das Eigentum an die Kinder überträgt und dann trotzdem weiterhin darin wohnen bleibt oder daran berechtigt ist.

«Wenn Familien sich für eine Nutzniessung oder ein Wohnrecht bei einer Immobilie entscheiden, steht meist das Motiv dahinter, dass man diese Angelegenheit schon zu Lebzeiten der Eltern regeln und lösen möchte», sagt Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Oft gehe es beispielsweise darum, Streit unter den Nachkommen nach dem Tod der Eltern zu vermeiden und die Aufteilung des Erbes früh zu regeln. Bei Nutzniessung und Wohnrecht gibt es derweil einige Unterschiede und spezielle Regelungen.

«Voller Genuss» bei der Nutzniessung

Wie im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) ausgeführt, erhält ein Berechtigter bei einer Nutzniessung den «vollen Genuss» an einem Vermögenswert. Diese kann auf einen bestimmten Teil des Gebäudes oder des Grundstücks beschränkt werden. Wie die Notariate des Kantons Zürich auf ihrer Website ausführen, kann der Nutzniessungsberechtigte die Liegenschaft entweder selbst nutzen, sie vermieten oder verpachten. Er darf sie aber nicht verkaufen. Zudem ist er dazu verpflichtet, die Immobilie im «Bestande zu erhalten». Ausserdem muss der Nutzniesser die Auslagen für den gewöhnlichen Unterhalt und die Bewirtschaftung sowie Hypothekarzinsen, Steuern und Abgaben bezahlen. Er muss die Immobilien gegen Feuer und andere Gefahren versichern, sofern dies zu den Pflichten einer sorgfältigen Wirtschaft gerechnet wird.

Bei der Nutzniessung erfolgt ein Eintrag ins Grundbuch, der Vertrag muss zudem öffentlich beurkundet werden. Sie ist nicht übertragbar und endet mit dem Tod des Berechtigten. Die maximal zulässige Nutzniessungsdauer liegt bei 100 Jahren. «Die Nutzniessung wird häufiger gemacht als das Wohnrecht», sagt Reinhard. «Man kann sie auch befristen.» Oft werde sie unentgeltlich eingeräumt.

Wohnrecht ist weniger weitgehend

«Das Wohnrecht ist weniger weitgehend als die Nutzniessung, weil die Vermietung nicht erlaubt ist», sagt Thomas Oberle, Jurist beim Hauseigentümerverband (HEV) Schweiz. Beim Wohnrecht darf der Berechtigte in einem Gebäude oder in einem Teil davon wohnen, wie es im ZGB heisst. Es ist nicht übertragbar und kann nicht vererbt werden. Im Allgemeinen ist es laut ZGB nach den persönlichen Bedürfnissen des Berechtigten bemessen. Falls das Wohnrecht aber nicht ausdrücklich auf die eine Person beschränkt ist, kann der Berechtigte Familienangehörige und Mitbewohner in die Wohnung aufnehmen. Ist das Wohnrecht derweil auf einen Teil des Gebäudes beschränkt, so kann die Person die zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Einrichtungen mitbenutzen. Das Wohnrecht entsteht ebenfalls mit einem Eintrag in das Grundbuch.

Hat die Berechtigte ein ausschliessliches Wohnrecht, muss sie den gewöhnlichen Unterhalt bezahlen. Hat sie lediglich ein Mitbenutzungsrecht, muss der Eigentümer die Unterhaltskosten übernehmen. Die Wohnberechtigte versteuert den Eigenmietwert abzüglich der Unterhaltskosten als Einkommen.

Wohnrecht als «soziales Institut»

Für die Nachkommen ist das Wohnrecht weniger attraktiv als die Nutzniessung. «Wenn sich die Eltern das Wohnrecht vorbehalten, ist das meistens nicht so, wie das die Kinder wollen», sagt Reinhard. «Fallen Hypothekarzinsen an, muss diese der Eigentümer bezahlen.» Ein Wohnrecht könne indessen beispielsweise dann sinnvoll sein, wenn die Eltern ihren Nachkommen ein Mehrfamilienhaus überschreiben und darin noch eine Wohnung bewohnen. Laut dem ZKB-Vertreter kann ein Wohnrecht auch in eine Rente umgewandelt werden, wenn der Berechtigte das Wohnrecht aus gesundheitlichen Gründen oder infolge seines Alters aufgeben muss.

«Das Wohnrecht ist ein typisches soziales Institut», sagt Oberle. Bei Bauernfamilien komme es beispielsweise oft vor, dass sich die Eltern auf dem Hof im Alter ins «Stöckli» zurückzögen. Es gehe dabei darum, soziale Not zu vermeiden. Zu beachten sei, dass die Familienangehörigen beim Wohnrecht oftmals enger beisammenlebten als bei der Nutzniessung.

Steuern sparen als Motiv

Wie Hausinfo, ein Informationsportal von GVB Services und dem HEV Schweiz, in einem Beitrag ausführt, lassen sich sowohl mit der Nutzniessung als auch mit dem Wohnrecht Steuern sparen. Je nach Kanton zahlten die Nachkommen erheblich weniger Erb- und Schenkungssteuern, heisst es darin. Da die Eltern in der Liegenschaft wohnten, verringere sich deren Wert.

Laut Reinhard spielt die Angst vor dem Pflegeheim bei der Thematik oftmals eine wichtige Rolle. Viele Erblasser hätten das Gefühl, sie könnten mit einer solchen frühzeitigen Regelung ihr Erbe schützen. Wird man zum Pflegefall und muss in ein Pflegeheim, wird es schliesslich schnell sehr teuer. Dann muss eine Immobilie möglicherweise verkauft werden, um für diese Kosten aufzukommen. Reinhard weist indessen darauf hin, dass ein solcher Vermögensverzicht durchaus einen Einfluss auf die spätere Zahlung von Ergänzungsleistungen (EL) hat. Möglicherweise werde dadurch der Anspruch auf EL reduziert oder falle ganz weg. Man sollte hier also nicht die Rechnung ohne den Wirt machen und sich genau informieren. Bei wohlhabenden Nachkommen greife auch die Verwandtenunterstützung, sagt Reinhard.

Ordnung schaffen und den Nachlass vereinfachen

Die Übertragung von Immobilien bzw. anderen Vermögenswerten zu Lebzeiten sei aber sehr sinnvoll, wenn man Ordnung schaffen und den Nachlass vereinfachen wolle, sagt der ZKB-Vertreter. Ein wichtiges Motiv sei für viele auch, dass sie nicht mehr so grossen Aufwand mit ihren Vermögenswerten haben wollten.

Bei der Nutzniessung und beim Wohnrecht sei grundsätzlich wichtig, dass die betroffenen Parteien sich gut verstehen und ähnliche Vorstellungen haben, sagt Reinhard. «Beispielsweise muss man bei der Nutzniessung zusammen entscheiden, wenn eine neue Hypothek aufgenommen wird.» Aus Sicht von Oberle ist die Vergabe von Nutzniessung und Wohnrecht nicht unkompliziert. Er rät, sich diesbezüglich beraten zu lassen. Eltern und Nachkommen sollten zusammen abklären, warum sie eine Nutzniessung oder ein Wohnrecht in Erwägung ziehen.