Andreas Berger weiss aus persönlicher Erfahrung, wie es sich mit Unsicherheit lebt: So tickt der neue Chef und Hoffnungsträger der Swiss Re

Der designierte CEO ist der Hoffnungsträger der als etwas behäbig geltenden Swiss Re. Als er Chef der Unternehmenseinheit Corso wurde, gab es ein «Jahr der Schmerzen» – doch dies war wohl nötig.

Michael Ferber 5 min
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Der Rückversicherer gilt als etwas behäbig und zu wenig gewinnorientiert. Jetzt bekommt die Swiss Re einen Chef, der aufs Tempo drückt.

Der Rückversicherer gilt als etwas behäbig und zu wenig gewinnorientiert. Jetzt bekommt die Swiss Re einen Chef, der aufs Tempo drückt.

Christian Merz / Keystone

Christian Mumenthalers Abgang als Konzernchef von Swiss Re entbehrt nicht der Ironie. Jahrelang hielt der 54-Jährige diese Position, obwohl er mit den vorgelegten Geschäftszahlen mehrmals enttäuschte. Für das Jahr 2023 lieferte Mumenthaler nun den angekündigten Reingewinn von 3 Milliarden Dollar – und muss auf Juli hin gehen.

Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass bei Swiss Re ein Nachfolger in den Startlöchern steht, der etwas vorzuweisen hat: einen Leistungsausweis. Andreas Berger, 58, leitet bei dem Rückversicherer seit März 2019 die Geschäftseinheit Corporate Solutions (Corso) und wurde Anfang April zu Mumenthalers Nachfolger als Konzernchef ernannt. Corso war einst ein Sorgenkind und produzierte rote Zahlen, doch unter Berger hat die Einheit eine Trendwende hingelegt. Mit Corso bündelt Swiss Re die Aktivitäten im Bereich Erstversicherungen für Grosskunden.

Dies hat Berger zum Hoffnungsträger für das Gesamtunternehmen Swiss Re gemacht: Er gilt als Mann für das Tempo. Viele Beobachter halten den Rückversicherer für etwas behäbig und zu wenig gewinnorientiert. Im Zeitraum 2017 bis 2022 legte Swiss Re oftmals schlechte Geschäftszahlen vor. Die Ernennung von Berger zum Konzernchef deuten Analytiker so, dass der Verwaltungsrat verhindern will, dass der Konzern nach dem guten Jahr 2023 zurück in alte Fahrwasser gerät.

Trendwende bei Corso

Andreas Berger tritt im Juli die Nachfolge von Christian Mumenthaler als Swiss-Re-Konzernchef an.

Andreas Berger tritt im Juli die Nachfolge von Christian Mumenthaler als Swiss-Re-Konzernchef an.

PD

Berger war 2019 nach Stationen bei der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group sowie den Versicherern Gerling und Allianz zu Swiss Re gekommen. Im Jahr vor seinem Amtsantritt verbuchte die Unternehmenseinheit einen Nettoverlust von 405 Millionen Dollar bei einem Schaden-Kosten-Satz von 117,5 Prozent. Beträgt dieser Wert 100 Prozent, sind die Schadenzahlungen und Kosten einer Versicherung durch ihre Einnahmen gedeckt. Bei einer Quote oberhalb von 100 Prozent ist das nicht der Fall; es stand also ziemlich schlecht um Corso.

Es gelang Berger aber, die Sparte neu auszurichten, wieder Gewinne zu erzielen und die Schaden-Kosten-Quote deutlich zu verbessern. Im Jahr 2023 erzielte Corso unter Berger einen Gewinn von 678 Millionen Dollar und wies dabei einen stark verbesserten Schaden-Kosten-Satz von 91,7 Prozent aus. Als Gründe für den Erfolg gelten die disziplinierte Übernahme von Risiken, ein striktes Kostenmanagement und anhaltende Preiserhöhungen.

Besuch vom Chef

Dies würde auch den Gesamtkonzern Swiss Re effizienter und profitabler machen. Bergers Vorgehen bei Corso lässt also Rückschlüsse darauf zu, wie der designierte Konzernchef nach seinem Amtsantritt agieren könnte.

Um Corso auf einen besseren Pfad zu bringen, habe er zunächst Büros der Unternehmenseinheit weltweit besucht und sich mit den dortigen Teams unterhalten, «um zu verstehen, wie sie arbeiten», sagte Berger in einem Podcast-Interview aus dem Jahr 2021. Anschliessend entschied er, ob die Einheiten so weitermachen sollten wie bisher oder ob Adjustierungen nötig waren.

Schon fünf Monate nach dem Antritt des Chefpostens bei Corso gab Berger die Neuausrichtung der Einheit bekannt. Die Schadenrückstellungen seien erhöht und die Risiken in bestimmten Sparten reduziert worden, heisst es bei Swiss Re. Das Geschäft sei so fokussierter und profitabler geworden. Berger selbst spricht in dem Interview von einem «sehr schmerzhaften Jahr 2019». Doch mit seinem Management-Team sei er früh gestartet, und sie hätten Dinge schnell erledigt. Corso sei dann auch stark genug gewesen, um die Covid-Krise zu überstehen, sagt er weiter in dem Podcast. Auch als designierter Swiss-Re-CEO plant er nun wieder eine solche «listening tour», wie er bereits angekündigt hat.

Kulturwandel als Ziel

Nach der Ankündigung als neuer Swiss-Re-Chef Anfang April wurde Berger in den Medien als «Haudegen» dargestellt, der nun bei dem Rückversicherer aufräumen werde. Dies hängt wohl damit zusammen, dass er Corso saniert und neu ausgerichtet hat – und dass dies auch einige Mitarbeitende die Stelle kostete. Schliesslich wurden einige Sparten der Einheit geschlossen. Nun sei die Zahl der Mitarbeitenden bei Corso aber höher als bei Bergers Antritt, meldet die Swiss-Re-Pressestelle.

Ein «Rambo-Image» wird dem 58-Jährigen laut Beobachtern nicht gerecht. Vielmehr zeichnen jetzige und ehemalige Swiss-Re-Mitarbeitende von ihm das Bild eines kundenorientierten Machers, der bei Corso einen Kulturwandel herbeigeführt habe und der rasch handle. Er sei eine «people person» und ein guter Kommunikator, der die Leute in einem Unternehmen hinter sich scharen könne und der grossen Wert auf Teamarbeit lege. Zudem sei er transparent und ehrlich.

Es sei ihm bei Corso nicht nur darum gegangen, das zu reparieren, was vorher schiefgelaufen sei, sagt Berger selbst in dem Podcast. Für eine Trendwende wie bei Corso müsse man «superdiszipliniert» bei der Umsetzung sein. Man müsse tun, was man für richtig halte, und dürfe sich nicht ablenken lassen.

Wurzeln in Kigali, Lissabon und Hennef

Berger hat einen sehr internationalen Lebenslauf. Geboren ist er in Kigali, Rwanda, als Sohn einer Rwanderin und eines Deutschen. Sein Vater arbeitete als Techniker für den deutschen Auslandrundfunk Deutsche Welle in verschiedenen Ländern, hauptsächlich aber in Rwanda. Andreas Berger wuchs auch in Portugal und Deutschland auf. Er ist mit einer Südafrikanerin verheiratet. Sie haben einen Sohn, der an einer englischen Universität studiert.

Berger hat Hochschulabschlüsse in Recht und Betriebswirtschaft. Er habe den Versicherungssektor lange nicht als Chance für eine Karriere gesehen, sagte er 2020 in dem Gespräch mit der Fachpublikation «Fullcover». Als Kind habe er die monumentalen Gebäude der Versicherer als «Forts» wahrgenommen. Es habe sich angefühlt, als hätten die Versicherer hinter ihren dicken Mauern etwas zu verstecken gehabt.

Ungewöhnlicher Weg in die Branche

Im Jahr 1988 sei er dann auf einem ungewöhnlichen Weg in die Branche gekommen. Er habe damals in Paris Betriebswirtschaft studiert und an einem Abend mit Schulfreunden in seiner deutschen Heimatstadt Hennef in der Nähe von Bonn darüber gesprochen, dass er ein internationales Leben führen wolle. Eine Woche später habe er unvermittelt einen Brief von dem deutschen Versicherer Allianz mit einer Einladung erhalten. Ein Elternteil eines seiner Schulfreunde arbeitete dort und hatte von dem Gespräch gehört.

Bei dem Versicherer wurde ihm eine Stelle als Projektassistent angeboten, die ihn schliesslich nach Senegal, Tunesien, Marokko und Côte d’Ivoire führte. Während seiner beruflichen Laufbahn arbeitete er später in Deutschland, Brasilien, Südafrika, Grossbritannien und der Schweiz und hatte globale Verantwortung inne.

Während seines Ausbildungs- und Berufswegs hat der Versicherungsmanager auch früh erfahren, wie sich Veränderungen und Unsicherheit anfühlen. Im Jahr 1972 habe er den Staatsstreich in Rwanda erlebt, als die damalige Regierung gestürzt worden sei, sagte der 1966 geborene Berger in dem Interview mit «Fullcover». In Lissabon wurde er als Achtjähriger Zeuge der Nelkenrevolution und des Endes der Diktatur in Portugal, als er dort eine deutsche internationale Schule besuchte. 1991 sei er im vorletzten Flugzeug gesessen, das Algerien verliess, als der Bürgerkrieg zwischen der Regierung und verschiedenen islamistischen Rebellengruppen ausbrach. Aufgrund seiner Herkunft und seiner familiären Verbindungen war auch der Völkermord in Rwanda 1994 ein besonderer Schock, obwohl er selbst damals nicht im Land war.

Unsicherheit und Risiken drohen auch durch Naturkatastrophen. Global seien deren Auswirkungen auf Individuen, Institutionen und Gesellschaften nicht zu übersehen, sagt Berger in dem Interview mit «Fullcover». Allzu oft seien wirtschaftliche Verluste nicht versichert – und für Swiss Re gehe es darum, diese Lücke zu schliessen und die Resilienz zu erhöhen. Dies sei auch für ihn ein Grund gewesen, für den Rückversicherer zu arbeiten.

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