Die Anstößigkeit, der Staat und die Lächerlichkeit

Michael Fleischhacker
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Das Wunschkennzeichen war schon immer der Spiegel der österreichischen Seele. Als noch die Schwarz-Weiß-Kennzeichen dem Straßenbild so etwas wie angemessene Würde verliehen, war es der Behörde möglich, die latenten Selbstwertprobleme der politischen, medialen und künstlerischen Prominenz durch ein- oder zweistellige Nummernschilder zu lindern.

Dann mussten neue Kennzeichen her. Eine Zeitlang stand die Drohung im Raum, dass Friedensreich Hundertwasser den Generalauftrag zur Kennzeichenverkitschung erhalten könnte. Das konnte verhindert werden, indem eine ausreichend große Zahl von Bürgern die Behörden mit der Drohung konfrontierte, ihre Nummerntafel von Arnulf Rainer übermalen zu lassen.

Man begnügte sich also mit einer enormen Erhöhung der Komplexität: Das Bundesland war nur noch am kleingedruckten Landeswappen zu identifizieren, die Bezirke durch Abkürzungen mit ein oder zwei Buchstaben. Um die Weltläufigkeit des österreichischen Gemüts zu unterstreichen, wies man beispielsweise dem Bezirk Eisenstadt-Umgebung das Kürzel „EU“ zu.

Schwer zu sagen, ob das Wunschkennzeichen ursprünglich eher als verwaltungstechnische Notwendigkeit oder als behördliches Geschäftsmodell geplant war. Sicher ist nur der Effekt: Es kam zu einer massiven Demokratisierung der österreichischen Neurosenkultur.

Während die numerische Erweiterung des Selbstwertes früher enge Beziehungen zur mittleren Führungsstruktur im Verwaltungsapparat voraussetzte, ist sie heute für jedermann zu haben, der bereit ist, bei der Bewilligung 228,30 Euro und bei der Abholung 18 Euro zu zahlen. (Genauere Informationen zum „Verfahrensablauf“ gibt es hier.)

Allerdings gibt es eine Einschränkung: Wer vorhat, seine Ich-Stärke durch die Verwendung einer anstößigen oder lächerlichen Buchstaben-Zahlen-Kombination auf dem Kennzeichen zu konsolidieren, muss mit dem Einschreiten der Staatsgewalt rechnen. Wie Moritz Moser, unser redaktioneller Sonderbotschafter in Skurrilistan, berichtet, wurde dieser Tage der Erlass des Verkehrsministeriums „betreffend anstößige oder lächerliche Wunschkennzeichen“ vorgestellt.

Darüber, was die österreichischen Verkehrsverwaltungsbehörden unter „lächerlich“ verstehen, geben sie in diesem Erlass keine Auskunft. Was „anstößig“ ist, wird hingegen taxativ aufgezählt: Es handelt sich um Codes, die innerhalb von neonazistischen, rassistischen und anderen zu ächtenden Communities verwendet werden, um einander als Gesinnungsgenossen zu erkennen.

Man kann der Meinung sein, dass es Aufgabe des Staates sei, die Verbreitung von gesetzlich geächtetem Gedankengut durch einen eingeschränkten Zugang zu Wunschkennzeichen Einhalt zu gebieten. Man kann aber auch der Meinung sein, dass das, was dadurch verhindert werden soll, nicht verhindert wird: Das Wesen von Geheimcodes besteht nun einmal darin, dass sie nur von Eingeweihten entschlüsselt und geschätzt werden.

AH, 14, 420: Nur wer schon Neonazi ist, wird sich daran erfreuen, dass der entgegenkommende Opel-Manta-Fahrer ein Bruder im Geiste ist. Neonazi-Codes in Autokennzeichen sind denkbar schlecht dazu geeignet, verbotenes nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten. Der flächendeckenden Verbreitung dient eher die öffentlich zugängliche taxative Aufzählung dieser Codes samt Entschlüsselung im Erlass des Verkehrsministeriums.

Das Verdikt der Anstößigkeit und Lächerlichkeit, die angeblich durch die Amtsbehandlung von ideologisch fehlgeleiteten Fahrzeughaltern unterbunden werden soll, fällt damit auf das Verwaltungsgebaren des Staates zurück: Man möchte sich wünschen, dass die Verwaltungsbehörden die menschenwürdige Unterbringung von Konventionsflüchtlingen mit ähnlich viel Akribie in Angriff nehmen wie die ideologische Säuberung von Autokennzeichen.