Sie sehen im Gaza-Krieg die Vorboten des Jüngsten Gerichts: Niemand unterstützt Israel so kompromisslos wie die amerikanischen Evangelikalen

Oft sind die evangelikalen Christen in den USA sogar noch loyaler als die amerikanischen Juden. Das hat viel zu tun mit der wörtlichen Auslegung der Bibel.

David Signer, Chicago 4 min
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Vor allem im Hinblick auf seine evangelikale Wählerschaft hat Donald Trump Israel immer entschieden unterstützt – hier an einer Rede zum Jahrestreffen der Republican Jewish Coalition im November 2022.

Vor allem im Hinblick auf seine evangelikale Wählerschaft hat Donald Trump Israel immer entschieden unterstützt – hier an einer Rede zum Jahrestreffen der Republican Jewish Coalition im November 2022.

John Locher / AP

Die treuesten Freunde Israels in den USA sind die Evangelikalen; das zeigt sich gerade jetzt wieder angesichts der Ereignisse im Nahen Osten. Oft ist ihre Loyalität sogar noch stärker als diejenige der amerikanischen Juden. Das hat vor allem theologische Gründe. Die Evangelikalen verstehen die Bibel wörtlich: Die Juden sind Gottes auserwähltes Volk, und er hat ihnen Israel als Heimat versprochen. Die Gründung des modernen Staates Israel im Jahr 1948 und die Einwanderung von Millionen von Juden waren für die Evangelikalen die Erfüllung von Gottes Versprechen.

Die Konflikte im Nahen Osten als Vorboten der Apokalypse

Laut einer Umfrage des amerikanischen Pew-Instituts sind 80 Prozent der weissen amerikanischen Evangelikalen der Ansicht, dass es Gott selbst war, der den Juden ihr Land (zurück)gab; unter den amerikanischen Juden selbst glauben nur 40 Prozent an diese religiöse Lesart der Geschichte. Dieselbe Diskrepanz gibt es in Hinblick auf die Unterstützung Israels. Während 31 Prozent der amerikanischen Juden der Ansicht sind, die USA unterstützten Israel nicht genug, sind es bei den Evangelikalen 46 Prozent. Unter den amerikanischen Juden glauben 60 Prozent, dass ein friedliches Zusammenleben in Form einer Zwei-Staaten-Lösung möglich sei. Unter den Evangelikalen glauben nur 42 Prozent daran.

Kriege im Nahen Osten interpretieren Evangelikale oft als Vorboten von «Harmaggedon», der endzeitlichen Entscheidungsschlacht, wie sie in der Johannes-Offenbarung geschildert wird. Nach diesem Kampf zwischen Israel und den «Königen des Ostens» sowie dem Jüngsten Gericht soll Frieden einkehren und Jesus Christus tausend Jahre lang herrschen. Laut einer Pew-Umfrage von 2022 glauben 60 Prozent der Evangelikalen, dass wir in einer Endzeit leben und der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, bevorsteht. Die Hälfte der Evangelikalen sagt, dass ihre Sicht auf Israel vor allem von der Bibel bestimmt werde.

Eine weitere wichtige Bibelstelle für viele Evangelikale ist der Satz, in dem Gott in Bezug auf Israel sagt: «Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen.» Auch dieses Zitat aus dem 1. Buch Mose nehmen sie wörtlich: Wer für Israel einsteht, dem wird es gutgehen, wer sich gegen das Land stellt, wird bös enden.

Jeder vierte Amerikaner ist evangelikal

Etwa ein Viertel aller Amerikaner bezeichnen sich heute als evangelikale oder als «wiedergeborene» Christen. Der Anteil nimmt ab. 2007 war es noch rund ein Drittel. Allerdings sind die Evangelikalen die grösste Gruppe innerhalb der Protestanten. Denn die Zahl der nichtevangelikalen Christen schrumpft schneller – oder anders gesagt: Die Evangelikalen widerstehen der allgemeinen Säkularisierung stärker.

Es gibt jedoch einen Generationengraben. Junge Amerikaner sind israelkritischer als ältere; das gilt auch für die Republikaner und selbst für amerikanische Juden und Evangelikale.

Was die Evangelikalen politisch verbindet, ist nebst ihrer Unterstützung für Israel vor allem die entschiedene Ablehnung der Abtreibung. Rund 100 Kongressabgeordnete werden zu den Evangelikalen gezählt. Seit den 1980ern und der Präsidentschaft Ronald Reagans, der sich besonders um diese Wählergruppe kümmerte, sind die meisten Evangelikalen Republikaner – nicht nur unter Politikern, sondern in der gesamten Bevölkerung. Innerhalb der Partei stellen die Evangelikalen die wichtigste Lobbygruppe für Israel dar.

Die evangelikalen Trump-Bewunderer

Diese Tendenz intensivierte sich unter Trump, für den die Evangelikalen ebenfalls eine wichtige Wählergruppe waren und sind. Sie unterstützten begeistert Trumps Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt von Israel im Jahr 2017 und seine Entscheidung, die amerikanische Botschaft 2018 von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. In einer Rede im Jahr 2020 sagte er ganz offen: «Die Verlegung der Hauptstadt war für die Evangelikalen.» Und fügte an: «Es ist erstaunlich: Die Evangelikalen freuen sich mehr darüber als die Juden.» Tatsächlich wählen die amerikanischen Juden mehrheitlich demokratisch, und nur 40 Prozent von ihnen billigten Trumps Israel-Politik.

Eine wichtige Untergruppe innerhalb der Evangelikalen sind die sogenannten «christlichen Zionisten». Ihr Aushängeschild sind die Christians United for Israel (Cufi); mit ihren acht Millionen Mitgliedern ist sie die grösste proisraelische Lobbygruppe. Prominente Aushängeschilder sind Trumps ehemaliger Vizepräsident Mike Pence und der ehemalige Aussenminister Mike Pompeo sowie Robert Jeffress, Leiter einer Megakirche in Texas und einer der engsten Berater von Trump.

Direktor der Cufi ist der 80-jährige John Hagee, ein TV-Prediger und glühender Bewunderer Trumps. Manche unter den Cufi-Mitgliedern sahen in Trumps Israelpolitik die Erfüllung eines göttlichen Heilsplans.

Manchen Hardlinern gilt sogar Jesus als zu liberal

Bezeichnend ist auch das «Evangelical Statement in Support of Israel», das letzte Woche 90 evangelikale Pastoren, unter anderem der Präsident der Southern Baptist Convention, unterzeichneten. Das Statement verurteilt die Attacke der Hamas und bekräftigt das Recht und die Pflicht Israels, sich gegen zukünftige Angriffe zu verteidigen. Es beruft sich auf das Konzept des «gerechten Krieges» und auf Bibelstellen, in denen Regierende als Vollstrecker von Gottes Wille bezeichnet werden. Generell verdrängen unter amerikanischen Evangelikalen eher alttestamentarisch orientierte, bellizistische Vorstellungen vom gerechten oder sogar heiligen Krieg zunehmend die eher pazifistische Haltung, wie sie etwa in der Bergpredigt zum Ausdruck kommt. Manchen Hardlinern ist inzwischen sogar Jesus selbst zu «liberal», zu «soft» oder zu «woke».

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