Ein neues Gesicht prägt Finnlands Politik – und es ist nicht das des nächsten Regierungschefs

Die Parlamentswahl in Finnland hat der Bevölkerung eine Überraschung präsentiert und dem bürgerlichen Parteivorsitzenden Petteri Orpo ein Dilemma für die Regierungsbildung eingebrockt. In beiden Fällen geht es um die rechtsnationale Finnenpartei und ihre Chefin Riikka Purra.

Rudolf Hermann 4 min
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Riikka Purra und ihre rechtsnationale Finnenpartei sind die heimlichen Sieger der Wahl.

Riikka Purra und ihre rechtsnationale Finnenpartei sind die heimlichen Sieger der Wahl.

Roni Rekomaa / Bloomberg

Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin hat am Sonntag nicht bloss den Kampf um eine zweite Amtszeit an der Regierungsspitze verloren, sondern auch die Ausmarchung um den inoffiziellen Titel der «Stimmenkönigin». Die 37-jährige Sozialdemokratin, die sich in den letzten vier Jahren ein veritables Rockstar-Image aufgebaut hat, musste bei den persönlichen Präferenzstimmen überraschend Riikka Purra den Vortritt lassen, der Chefin der Rechtsnationalen.

Die um sieben Jahre ältere Purra führt seit anderthalb Jahren die Finnenpartei, früher auch bekannt als die Wahren Finnen. Diese ist die heimliche Siegerin der Wahl – auch wenn in nackten Zahlen die Bürgerlichen noch ein bisschen besser abschnitten und damit das Recht haben werden, als Erste einen Anlauf zur Bildung einer Regierung zu unternehmen.

Spektakuläres Comeback der Rechtsnationalen

Ein Blick auf die Landkarte zeigt das Ausmass des Wahlerfolgs der Rechtsnationalen: Ausser in den grossen städtischen Agglomerationen des Südens, wo die Bürgerlichen herrschen, und drei Wahlkreisen Mittelfinnlands, dem traditionellen Stammland der Sozialdemokraten, sind sie nun in allen Landesteilen die grösste Partei.

Der neuerliche Aufstieg der Rechtsnationalen ist umso erstaunlicher, als die Partei sich vor sechs Jahren, als sie erstmals an einer Regierung beteiligt war, etwa hälftig in einen fundamentalistischen und einen pragmatischen Flügel aufgespalten hatte. Die Pragmatiker verblieben bis zum Ende der Amtsperiode in der Regierungskoalition und verschwanden darauf in der Versenkung. Die Fundamentalisten begaben sich in Opposition und erreichten in den Wahlen von 2019 schon fast wieder 20 Prozent Wähleranteil. Nun setzten sie noch einen drauf, erzielten das beste Wahlresultat ihrer Geschichte und zogen sogar an den Sozialdemokraten vorbei auf den zweiten Platz.

Wenn sie nun ein zweites Mal zurück an die Regierungsmacht drängen, stellt sich die Frage, ob sie diesen Schritt vollziehen können, ohne erneut zu implodieren – oder ob sie nur zur Protestpartei taugen. Die Frage ist auch deshalb aktuell, weil politische Kommentatoren in Finnland eine bürgerlich-rechtskonservative Koalition als die eher plausiblere Variante einschätzen denn ein Bündnis von Bürgerlichen und Sozialdemokraten.

In jedem Fall steht der Parteichef der Bürgerlichen, Petteri Orpo, hier vor einem Dilemma. Zwar hat seine Nationale Sammlungspartei die Wahl mit einem wirtschaftspolitisch nüchternen Programm gewonnen: Arbeiten und Sparen. Doch diese Vision steht in Kontrast nicht nur mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Rechtsnationalen, sondern auch der Sozialdemokraten. Mit einer dieser zwei grossen Parteien werden sich die Bürgerlichen für die Bildung einer tragfähigen Mehrheitskoalition aber arrangieren müssen.

Partnersuche mit Hürden

Beim Kapitel «Sparen» sehen die wirtschaftsnahen Bürgerlichen einen klaren Bedarf, ausländische Arbeitskräfte nach Finnland zu bringen. Die Bevölkerung ist auf dem Weg zur Überalterung, und schon jetzt herrscht in zahlreichen Berufsgruppen, vom Gesundheitsdienst über die Administration bis zum Bauwesen und der Informationstechnologie, ein Arbeitskräftemangel.

Doch bei den Rechtsnationalen ist ein zentraler Teil des politischen Programms, Immigration möglichst ganz zu unterbinden. An der Personenfreizügigkeit im Rahmen der EU kann zwar auch die Finnenpartei nicht rütteln, solange sie ihr langfristiges Ziel nicht verwirklicht hat, Finnland aus der EU zu führen. Doch Riikka Purra möchte laut Äusserungen aus dem Wahlkampf den Migrationsfluss wenigstens aus Ländern von ausserhalb der EU stoppen, weil dieser die finnischen Steuerzahler belaste.

Unter Purra hat sich laut Analytikern die Finnenpartei jedoch in gewissen anderen wirtschaftspolitischen Positionen den Bürgerlichen angenähert. Und Purra gilt generell als moderater im Vergleich zu ihrem Hardliner-Vorgänger Jussi Halla-aho.

Die Sozialdemokraten wiederum sind zwar der humanitären Migration gegenüber freundlich eingestellt, doch ein genereller Skeptizismus herrscht bei ihnen gegenüber der Arbeitsmigration. Dies hat seinen Grund in der immer noch starken Verbandelung der Partei mit den Gewerkschaften. Diese fürchten durch den Zufluss billiger ausländischer Arbeitskräfte eine Unterwanderung des nordischen Arbeitsmarktmodells mit seinen relativ hohen Löhnen und einem starken Arbeitnehmerschutz.

Auch was die Vorstellungen über den Umgang mit dem nordischen wohlfahrtsstaatlichen Modell im Allgemeinen angeht, liegen Sozialdemokraten und Bürgerliche weit auseinander. Die Bemühungen einer von 2015 bis 2019 regierenden Mitte-rechts-Koalition, den finnischen Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten, das System der Sozialleistungen zu straffen und die Arbeitsmarkt-Partizipation zu verbessern, wurden von der Linksopposition damals mit Kritik bedacht.

Für den Parteichef der Bürgerlichen, Orpo, macht diese Konstellation die Suche nach Bündnispartnern schwierig. Zumal er neben einer grossen Partei auch noch eine kleinere benötigt, um auf eine Mehrheit im Parlament zu kommen.

Die Zentrumspartei, die in den letzten zwei Legislaturperioden zuerst an einer bürgerlich und dann einer sozialdemokratisch ausgerichteten Regierung beteiligt gewesen war, will nun aufgrund ihres anhaltenden Vertrauensschwunds im Wahlvolk sich in Opposition rekonstituieren. Die Schwedische Volkspartei wiederum, die als Mitte-Formation die Interessen der schwedischsprachigen Minderheit Finnlands vertritt, kündigte bereits an, mit den Rechtsnationalen nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Für die Grünen und die Linksallianz, die die Bürgerlichen auf ihrer Partnersuche ohnehin eher nicht im Sucher haben dürften, gilt das ebenso. Der «grosse Sieg», den Orpo am Sonntag überschwänglich verkündete, kommt deshalb mit einer bitteren Pille.

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