Populär, aber riskant: Mit der Zusatzsteuer für Banken macht Giorgia Meloni ihrem Land keinen Gefallen

Monatelang hat Italiens Regierungschefin an ihrer Glaubwürdigkeit gearbeitet. Dann griff sie in die Mottenkiste des Populismus und kündigte die Einführung einer Sonderabgabe für Banken an. Die Massnahme muss bereits korrigiert werden.

Luzi Bernet, Neapel 4 min
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Erst das Bürgergeld gestrichen, jetzt die Banken belastet: Giorgia Meloni.

Erst das Bürgergeld gestrichen, jetzt die Banken belastet: Giorgia Meloni.

Nicolas Landemard / Imago

Gerade erst erhielt Giorgia Meloni in Washington ihren Ritterinnenschlag, als der amerikanische Präsident Joe Biden sie im Oval Office empfangen und öffentlich gesagt hatte, er zähle die italienische Regierungschefin nunmehr zu den Freunden Amerikas. Es war so etwas wie das Ende des langen Marsches durch die Institutionen, den Meloni seit ihrem Amtsantritt im letzten Herbst absolviert hatte: zahlreiche bilaterale Treffen mit den Staats- und Regierungschefs in Europa, Teilnahme an wichtigen multilateralen Gipfeln – und als krönenden Abschluss den Arbeitsbesuch im Weissen Haus. Meloni, die anfangs misstrauisch beäugte Rechtsaussenpolitikerin, war angekommen im Kreis der wichtigsten Partner Italiens in der Welt. Sehr gut angekommen sogar.

Möglich, dass der diplomatische Höhenflug sie allzu euphorisch gestimmt hat. Anders jedenfalls lässt es sich kaum erklären, dass Melonis Regierung an ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause Massnahmen gebilligt hat, die im Ausland für Erstaunen und Kritik sorgen und Zweifel an der Glaubwürdigkeit Italiens haben aufkommen lassen.

«Sowjetischer» Eingriff in den Flugverkehr

Es war ein ganzes Paket von Entscheidungen zu drängenden Themen. Der akuten Verteuerung der Ticketpreise für Inlandflüge etwa will die Regierung mit einem an die Adresse der Airlines gerichteten Verbot begegnen, die Preise im Sommer über ein bestimmtes Niveau zu heben. «Lächerlich und illegal, populistisch und sowjetisch» ist das in den Augen des CEO von Ryanair, Eddie Wilson. Und die EU will abklären, ob die Eingriffe Roms in den Markt nicht gegen europäisches Recht verstossen.

Dramatischer waren die Reaktionen auf die Ankündigung einer Sondersteuer von 40 Prozent auf Zinsgewinne der Banken. Sie verblüffte Führungskräfte und Anleger gleichermassen und liess die Aktienkurse der italienischen Bankinstitute um bis zu elf Prozent einbrechen. Sie erholten sich erst am Mittwoch leicht, nachdem das Finanzministerium korrigierend eingegriffen und erklärt hatte, die Abgabe auf die Nettozinserträge werde auf 0,1 Prozent der gesamten Aktiva einer Bank begrenzt.

Doch die Zweifel auf den Finanzplätzen liessen sich damit nicht ausräumen. Immerhin hatte der zuständige Minister Giancarlo Giorgetti eine Massnahme, wie sie am Montag beschlossen wurde, noch vor kurzem ausgeschlossen.

Besorgt sind vor allem die grossen Investoren. Selbst in guten Zeiten müssten die Banken damit rechnen, dass sie von den Regierungen unter Beschuss genommen werden, sagten führende Portfoliomanager zur «Financial Times». Interventionen wie diejenige der Regierung Meloni würden ihre Entscheidung rechtfertigen, den Banken künftig weniger Kapital zuzuweisen. Bankenvertreter werteten das Dekret «als ein Beispiel für die steigenden politischen Risiken in Italien», wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete.

Spaghetti und Rigatoni

Doch nicht nur die Interessenvertreter klagen über die Massnahmen. Auch führende italienische Ökonomen üben teilweise heftige Kritik. Francesco Giavazzi, Wirtschaftsprofessor an der Bocconi-Universität in Mailand und ehemaliger Berater des früheren Ministerpräsidenten Mario Draghi, hält die neue Steuer für ein «Eigengoal». Weil sie sich nur auf die Zinsgewinne konzentriere und nicht auf die übrigen Erträge der Banken, verzerre sie die Kreditvergabe und setze falsche Anreize. Für die Bankinstitute werde es nun auch weniger interessant, in Staatsanleihen zu investieren, was wiederum Folgen für den Staatshaushalt habe.

«Bei den Steuern sollte nicht nach der Herkunft der Gewinne unterschieden werden», sagte Giavazzi. Das wäre so, «als ob der Staat die Firma Barilla nur auf den Gewinn aus Spaghetti besteuern würde, nicht aber auf den aus Rigatoni». Die Folge wäre dann, dass Barilla keine Spaghetti mehr produziere. «Natürlich kann die Regierung beschliessen, Barilla zu besteuern, weil sie der Meinung ist, dass das Unternehmen zu viel Gewinn macht, aber sie kann es nicht dazu bewegen, die Spaghettiproduktion zu verringern. Das ist nicht ihre Aufgabe.»

Andere Beobachter zeigen sich besorgt darüber, dass die Regierung mit der überraschenden Ankündigung der neuen Steuer zur Unzeit ein Notsignal und damit ein Zeichen der Verunsicherung absetze. Die jüngste Vergangenheit habe gezeigt, wie rasch sich solche Fehlentscheide zu einem Flächenbrand ausweiten könnten. «Wer beruhigt die Anleger, wenn es an den Märkten stürmisch zugeht?», fragte der frühere Regierungschef Matteo Renzi in einem Zeitungskommentar.

Reaktion auf Ende des Bürgergeldes

Giorgia Meloni ficht die geballte Ladung Kritik nicht an. In einem Videobeitrag bezeichnete sie das Dekret am Mittwoch als eine Antwort auf die «unfairen Gewinnspannen der Banken». Sie kann sich des Applauses ihrer Wählerschaft sicher sein. Auch in Italien sind die Banken alles andere als beliebt. Von der Opposition hat sie deshalb wenig Widerstand zu erwarten. Geht es um den Finanzplatz, sind sich linke und rechte Politikerinnen und Politiker in Italien rasch einig. Nur die kleinen Mitte-Parteien, die unter sich im Streit liegen, begehren auf.

Giorgia Meloni erklärt die Entscheidungen ihrer Regierung.

Youtube

Gleichzeitig kann Meloni mit dem neuen Paket jenen Kreisen entgegentreten, die sie für die brüske Beendigung des Bürgergeldes kritisiert hatten. Per SMS hatte die Regierung letzte Woche über 160 000 Empfängern des sogenannten «reddito di cittadinanza» mitgeteilt, dass sie künftig keine solchen Staatshilfen mehr erhielten beziehungsweise andere Formen der Unterstützung beantragen müssten. Die – übrigens längst angekündigte – Massnahme hatte vor allem im Süden des Landes zu heftigen Protesten geführt.

Die Genese der Bankensteuer und die Korrekturen, die die Regierung bereits hat anbringen müssen, nähren den Verdacht, dass Giorgia Meloni derzeit zwar populistisch (und populär) agiert, aber auch höchst riskant. Möglich, dass sie den Vertrauensvorschuss, den sie sich in den letzten Monaten bei ihren Partnern im Ausland und auf den Märkten erarbeitet hat, allzu optimistisch einschätzt.