Die USA dürften für die Tötung von Kassem Soleimani teuer bezahlen

Der tödliche amerikanische Raketenangriff in Bagdad trägt zu einer Aufwallung antiamerikanischer Gefühle bei, die den Irak in die Arme Irans treiben könnten. Für die USA wäre dies ein schwerer Rückschlag.

Wilfried Buchta
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Eine Demonstration in Teheran gegen die Tötung von Soleimani durch die USA.

Eine Demonstration in Teheran gegen die Tötung von Soleimani durch die USA.

Abedin Taherkenareh / EPA

Liest man die Nachrichten über die Tötung des mächtigen Generals der iranischen Revolutionswächter, Kassem Soleimani, erinnert dies an ein Zitat aus dem Matthäusevangelium: «Wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen.» Auf Soleimani, der am Freitag nahe dem Bagdader Flughafen zusammen mit neun anderen iranischen und irakischen Funktionären durch einen gezielten amerikanischen Raketenangriff umkam, trifft das Bibelzitat wie auf kaum jemand anderen zu. Denn Soleimani war kein gewöhnlicher General der Revolutionswächter, jener schlagkräftigen, rund 120 000 Mann starken Parallelstreitmacht, die 1979 zum Schutz des iranischen Regimes vor inneren und äusseren Feinden aus der Taufe gehoben worden war.

Der 1957 als Sohn einer armen Familie in der südostiranischen Wüstenstadt Kerman geborene Soleimani hatte sein Leben dem bewaffneten Kampf für die Islamische Revolution gewidmet. Früh trat er den Revolutionswächtern bei, kämpfte als Offizier in deren Reihen im Iran-Irak-Krieg bis 1988. Er konnte dank seinem an vielen Frontabschnitten bewiesenen Mut, seinen taktisch-operationellen Fähigkeiten und seiner strategischen Begabung rasch die Karriereleiter hochklettern. Das brachte ihm die Aufmerksamkeit von Revolutionsführer Ali Khamenei ein, der ihn 1998 mit der Führung der Kuds-Brigade betraute, einer etwa 10 000 Mann starken Sondereinheit der Revolutionswächter für Untergrundaktivitäten im Ausland.

Die Kuds-Brigade hat sich unter Soleimani zu einem mit der amerikanischen CIA vergleichbaren mächtigen Apparat gemausert, dessen Hauptziel der ideologisch-militärische Export der Islamischen Revolution ist. Soleimani gelang es, die bis dato eher locker miteinander verbundenen proiranischen paramilitärischen Gruppen und Oppositionsparteien in Libanon, Palästina, Syrien, Afghanistan und im Irak zu einem straff organisierten, von Iran gelenkten Netzwerk zusammenzufassen. Damit konnte Teheran seinen politischen und militärischen Einfluss in der Region sukzessive ausbauen.

Der Architekt des iranischen Einflusses in der Region

Als die USA durch Militärinvasionen 2001 das afghanische Taliban-Regime und 2003 die Baath-Diktatur Saddam Husseins im Irak stürzten, beseitigten sie zwei Erzfeinde des iranischen Revolutionsregimes. Dank diesen «Gottesgeschenken» konnte Teheran vor allem im Irak mittels eng verbundener Parteien und Milizen grossen Einfluss in Parlament, Regierung und sogar staatlichen Sicherheitsinstitutionen erlangen. Eine ähnlich glückliche Hand bewies Iran, als 2011 in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach. Teheran sprang seinem Verbündeten Asad bei. Es rettete dessen Regime durch grosszügige militärische und finanzielle Hilfe vor dem Kollaps und machte es damit von sich abhängig. Und im Bürgerkrieg in Jemen unterstützte Iran die Huthi-Rebellen. Im Ergebnis entstand ein in hohem Masse von Teheran beeinflusstes Bündnisgebiet, das von Iran über den Irak und Syrien bis nach Libanon reicht.

Architekt und treibende Kraft hinter diesem gefürchteten «schiitischen Halbmond» war der Kuds-Kommandant Soleimani. Dieser wird von Teherans Staatsmedien als Held des schiitischen revolutionären Aktivismus gefeiert. Nicht zuletzt deshalb galt er in Iran als aufsteigender Stern am politischen Himmel. Glaubt man gut informierten iranischen Oppositionellen, so war Soleimani innerhalb des komplizierten Herrschaftssystems, dessen Hauptmerkmal miteinander konkurrierende Machtzentren sind, informell zur Nummer zwei des gesamten Regimes aufgestiegen. Grund waren seine grosse Popularität bei Teilen des nationalistisch gesinnten iranischen Volkes und sein Rückhalt bei den Revolutionswächtern.

Letztgenannte sind nicht nur der wichtigste militärische Machtfaktor des Regimes. Mehr noch: Aufgrund ihres seit 1990 aufgebauten Firmenimperiums aus über 1200 Unternehmen, das schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der gesamten Wirtschaft kontrolliert, sind die Revolutionswächter auch ökonomisch der mächtigste Spieler in Iran. Soleimanis Einfluss übertraf nicht nur den des ihm formal übergeordneten Oberkommandanten der Revolutionswächter, sondern auch den des gewählten Präsidenten Hassan Rohani. Deshalb wurde er als jemand gehandelt, der nach dem Ableben des 80-jährigen Revolutionsführers Ali Khamenei dereinst die Rolle des Königsmachers spielen würde.

Die Tötung des iranischen Generals Soleimani, der hier an einer Demonstration in Teheran verehrt wird, könnte den Irak weiter von den USA entfremden.

Die Tötung des iranischen Generals Soleimani, der hier an einer Demonstration in Teheran verehrt wird, könnte den Irak weiter von den USA entfremden.

Abedin Taherkenareh / EPA
In Iran haben sich bei Trauerzügen für den getöteten General Soleimani riesige Menschenmengen versammelt.

In Iran haben sich bei Trauerzügen für den getöteten General Soleimani riesige Menschenmengen versammelt.

Morteza Jaberian / AP

So populär Soleimani in Iran war, so verhasst war er bei der amerikanischen Militärführung. Diese machte ihn dafür verantwortlich, dass von ihm instruierte und militärisch aufgerüstete proiranische Milizen im Irak während der amerikanischen Besetzung (2003–2011) mehr als 600 Militärangehörige der USA töteten.

Kampf um die Vorherrschaft im Irak

Die USA und Iran sind jene beiden Mächte, die seit dem Sturz der irakischen Baath-Diktatur 2003 die Geschicke des Landes weitgehend bestimmen wollten. Anfänglich hatten die USA die Nase vorn; sie versuchten dem Land eine demokratische Grundstruktur zu geben. Doch dann begann ihr Einfluss mit dem Abzug der Truppen ab 2011 abzuschmelzen. Nutzniesser war Iran. Es konnte seinen Einfluss auf Kosten der USA stark ausweiten. 2014 gab es noch einmal vorübergehend ein Erstarken der Amerikaner im Irak. Der sogenannte Islamische Staat hatte die irakische Armee besiegt und war mit seinen Truppen bis an Bagdads Tore vorgerückt. Notgedrungen rauften sich die beiden Rivalen USA und Iran im Kampf gegen den IS zusammen und verständigten sich auf eine informelle Koordinierung ihrer Militäroperationen. Diese Zusammenarbeit kam jedoch zum Erliegen, als der IS im Herbst 2017 besiegt und bis auf einige verstreute Widerstandsnester zerschlagen war.

Im Zuge der neuen Aussenpolitik unter Präsident Trump brach dann die alte Rivalität zwischen Washington und Teheran wieder auf. Die USA verliessen im Mai 2017 das Atomabkommen mit Iran, und Washington versuchte fortan, Teheran mit immer härteren Finanz- und Wirtschaftssanktionen in die Knie zu zwingen. Angewiesen auf die militärische und wirtschaftliche Kooperation mit Teheran und Washington, setzten die jeweiligen Regierungen in Bagdad alles daran, die fragile Balance zwischen den USA und Iran zu wahren. Aber diese Bemühungen schienen letztlich zum Scheitern verurteilt. Ein Problem stellt derjenige Teil der für den Kampf gegen den IS gebildeten irakischen Volksmobilisierungsmilizen dar, der als proiranisch gilt. Diese Milizionäre entziehen sich der Autorität der irakischen Zentralregierung. Sie sind es, die von den USA beschuldigt werden, ohne Unterlass nadelstichartige Militäraktionen gegen die Botschaft und Truppenbasen der USA im Irak zu unternehmen, hinter denen die USA wiederum Kassem Soleimani als Spiritus Rector vermuten.

Die Rache folgt bestimmt

Zweifellos haben die USA mit der Tötung Soleimanis die Eskalationsspirale weitergedreht. Wann, wo und auf welche Weise Iran dafür Rache nehmen wird, ist ungewiss. Dass sie kommen wird, ist aber unstrittig, zumal Irans Revolutionsführer Ali Khamenei bereits erklärt hat, Rache üben zu wollen. Jedoch dürfte sich Irans Führung, die in wichtigen geostrategischen Fragen nie übereilt handelt, bei der Auswahl der Ziele Zeit nehmen. Mit Sicherheit wird sie andere Mittel wählen als einen konventionellen Krieg. Gegen die USA wäre dieser nicht zu gewinnen. Doch Iran beherrscht die Kunst der asymmetrischen Kriegsführung meisterhaft. Als deren Hauptinstrumente werden Teheran eine oder mehrere der zahlreichen, von ihm ideologisch und militärisch aufgerüsteten und finanziell abhängigen Organisationen im Irak, in Libanon, Afghanistan, Syrien, Palästina oder Jemen dienen. Das könnte dienlich sein, um nach Anschlägen auf amerikanische Ziele die Verantwortung Teherans abzustreiten und Anklagen oder gar Strafmassnahmen durch die Uno zu entgehen.

Weit wichtiger als Spekulationen über iranische Vergeltungsschläge ist ein Blick auf die vermutlich kolossalen Langzeitschäden für die geostrategischen Interessen der USA, die durch die Tötung Soleimanis verursacht werden könnten. Die derzeit politisch hoch angespannte Lage könnte zu einem Kollaps der irakischen Regierung und zu langanhaltender politischer Instabilität führen.

Seit Oktober wüten Proteste Hunderttausender fast ausschliesslich schiitischer Demonstranten im Irak, die bisher über 470 Tote und mehr als 17 000 Verletzte gefordert haben. Die Demonstranten verlangen nicht weniger als den restlosen Austausch der herrschenden, von ihnen als korrupt denunzierten politischen Klasse, Neuwahlen unter einem neuen Wahlgesetz und ein Ende der iranischen Interventionen im Irak. Viele schiitische Iraker sind der Bevormundung durch den befreundeten schiitischen Nachbarstaat überdrüssig. Das zeigten nicht zuletzt die von Demonstranten im November und im Dezember in Basra, Najaf und Kerbala in Brand gesetzten iranischen Generalkonsulate und die von ihnen verübten Verwüstungen und Angriffe auf etliche Parteizentralen von irakischen Parteien, die Iran nahestehen. Kurzum: Sie verlangen eine demokratische Generalerneuerung des politischen Systems.

Gravierende politische Folgen im Irak

Eine Folgewirkung von Soleimanis Tötung ist, dass sich die Auseinandersetzung in Parlament und Regierung des Iraks, die zwischen den Anhängern der USA und den proiranischen Kräften tobt, enorm verschärft. Niederschlag findet dies in den nationalen Medien und in der irakischen Öffentlichkeit, wo der Meinungsstreit jetzt vor allem unter nationalistisch-patriotischen Vorzeichen ausgefochten wird.

Unter den getöteten Begleitern Soleimanis war Abu al-Muhandis, der Führer der Kataib Hizbullah, einer für die meisten Anschläge auf amerikanische Ziele verantwortlich gemachten proiranischen Miliz. Verhängnisvoll für die USA dürfte aber sein, dass Abu al-Muhandis zugleich auch stellvertretender Chef des Volksmobilisierungskomitees war, eines seit 2016 vom irakischen Staat legitimierten und von der Regierung besoldeten Kampfverbands. Seine Tötung rührt an patriotische Gefühle vieler Iraker und schürt eine nationalistische, antiamerikanische Stimmung im Land. Sie stärkt die Argumentation proiranischer Parteien und Milizen, die USA benähmen sich weiterhin wie eine arrogante, an keine irakischen Gesetze gebundene Besatzungsmacht, die nicht nur internationale Gesetze breche, sondern auch die Souveränität des Iraks mit Füssen trete.

Argumentativ derart aufmunitioniert, könnte den irantreuen politischen Kräften im Irak ein Imagewechsel glücken. Sie könnten den ihnen anhaftenden üblen Geruch höriger, vaterlandsloser Spiessgesellen Irans abstreifen und sich stattdessen den Mantel als Verteidiger der irakischen Unabhängigkeit umhängen. Viele Dutzend irantreue Medien, gleich ob Zeitungen, Fernsehkanäle oder Rundfunksender, haben sich bereits auf diese neue Marschrichtung festgelegt. Dass diese verbale Eskalation alles andere überschatten und zulasten der demokratisch gesinnten Demonstranten gehen wird, kann als sicher gelten. Diese dürften in den Augen grosser Teile der irakischen Öffentlichkeit an Relevanz verlieren und mitsamt ihrer Forderung nach dem Aufbau einer echten Demokratie in den Hintergrund gedrängt werden.

Den USA droht der zwangsweise Rückzug

Diese Entwicklung spielt auch jenen Gegnern der USA in Regierung und Parlament in die Hände, die seit über einem Jahr versuchen, ein Gesetz zum zwangsweisen Abzug der amerikanischen Streitkräfte im Irak durchzubringen. Am Sonntag hat eine Mehrheit der Abgeordneten einer Resolution zum Abzug der rund 5000 im Land stationierten US-Soldaten zugestimmt. Diese fordert die Regierung dazu auf, den Abzug aller ausländischen Truppen im Land einzuleiten. Der glücklos agierende und schwache Ministerpräsident Adel Abdul-Mahdi kann sich dem nun kaum mehr entziehen. Er hat die Tötung Soleimanis als Verletzung der irakischen Souveränität bereits scharf verurteilt.

Die USA wären dann gezwungen, ihre noch im Lande stationierten und für den Aufbau der regulären Streitkräfte eingesetzten 5200 Militärberater abzuziehen und würden ihren politischen Halt im Irak gänzlich verlieren. Was wäre das für eine Schmach und was für ein gigantischer Verlust für eine Weltmacht, die allein in der Ära der achtjährigen Okkupation (2003–2011) offiziell über 880 Milliarden Dollar für den Irak ausgegeben hat.

Der frohlockende Sieger wäre Teheran, das es verstanden hätte, eine vermeintliche Niederlage in einen politischen Triumph zu verwandeln. Schlimmer noch: Damit hätte Iran den Irak fest und dauerhaft an sich gekettet. Nichts stünde ihm fortan im Wege, um den Irak zu einem Vasallenstaat Irans zu machen – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die irakische Bevölkerung, angefeuert durch die demokratische Protestbewegung, damit begonnen hatte, sich vom übermächtigen Bann des grossen Nachbarlandes zu befreien.

Das Credo von Präsident Trump lautet «America first». Doch käme es im Irak zu einer solchen Entwicklung, dann hätte Trump durch eine wenig durchdachte, nur auf kurzfristige Vorteile zielende Aktion seinem Land grossen Schaden zugefügt. Das wäre eine bittere Ironie des Schicksals.

Wilfried Buchta ist Islamwissenschafter und Publizist. Er hat für nationale und internationale Organisationen in Marokko, Iran, Jordanien und im Irak gearbeitet, zuletzt von 2005 bis 2011 als politischer Analytiker für die Uno in Bagdad. Zuletzt ist von ihm bei Campus erschienen: «Terror vor Europas Toren. Der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht».

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