Mit dem Herzen oder mit dem Verstand? Wie die Golfstaaten mit dem Krieg in Gaza umgehen

In Bahrain wird auf der grossen Bühne diskutiert, Katar hat im Geheimen eine Freilassung von Geiseln und eine Feuerpause ausgehandelt. Eine Lösung für den Krieg in Gaza ist aber nicht in Sicht, wie ein Besuch in beiden Ländern zeigt.

Daniel Böhm, Manama und Doha 6 min
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Ein seltenes Bild im autoritären Inselstaat Bahrain: Demonstranten bei einer Protestkundgebung für Gaza in der Hauptstadt Manama.

Ein seltenes Bild im autoritären Inselstaat Bahrain: Demonstranten bei einer Protestkundgebung für Gaza in der Hauptstadt Manama.

Hamad I Mohammed / Reuters

Die Demonstranten, die sich im Hof des Sport-Klubs von Manama versammelt haben, sind äusserst diszipliniert. Geduldig warten sie, bis die Polizei die benachbarten Strassen abgesperrt hat. Erst dann setzen sie sich in Bewegung. Hinter einem grossen Transparent marschieren sie durch die Strassen der Hauptstadt von Bahrain, schwingen Palästina-Fahnen und rufen Parolen.

Es sind finstere Klassiker des Nahostkonflikts, die unter dem tiefblauen Nachmittagshimmel am Persischen Golf erklingen: «Tod Israel», aber auch «Chaibar, Chaibar, oh Jude!» – ein unter Islamisten beliebter Schlachtruf, der auf die Frühzeit des Islam Bezug nimmt, als Mohammeds Armee die Juden von Medina bekriegte, weil diese sich gegen den Propheten gewandt haben sollen.

«Nieder mit der Normalisierung»

Ein dicker Mann mit Bart und Megafon orchestriert die Veranstaltung. Er trägt einen Palästina-Schal um den Hals und gibt sich kurz angebunden. «Ich habe keine Zeit zum Reden», sagt er, um dann anzufügen: «Unsere Demonstration ist natürlich genehmigt. Wir wollen damit das Morden in Gaza stoppen.»

Doch das ist nicht das Einzige, was die Demonstranten fordern. Auf dem Transparent steht auch: «Nieder mit der Normalisierung!» Damit ist das sogenannte Abraham-Abkommen gemeint, welches Bahrain vor drei Jahren mit Israel geschlossen hat und das eine volle Normalisierung der Beziehungen mit Jerusalem beinhaltet.

Dass im autoritär geführten Bahrain die Politik der Regierung offen kritisiert werden kann, ist neu. Während des Arabischen Frühlings 2011 liess das Königshaus einen Volksaufstand mithilfe des saudischen Militärs gewaltsam niederschlagen. Geht es um Palästina, wird der Dissens aber geduldet. «Das zeigt doch, dass wir ein freies Land sind», sagt eine Regierungsvertreterin dazu.

Wut, Ohnmacht und Balance

Die Gründe für die Toleranz liegen aber eher woanders. Denn wie andere Länder im Nahen Osten befindet sich auch der winzige Inselstaat im Persischen Golf in einer Zwickmühle. Während die Bevölkerung voller Wut und Ohnmacht mitverfolgt, wie die israelischen Streitkräfte in Gaza einen brutalen Krieg führen, versuchen die mit Jerusalem verbündeten Herrscher die Balance zu halten.

So hielt der Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa am Wochenende bei der Eröffnung des Manama-Dialogs, einer Art Münchner Sicherheitskonferenz am Golf, eine vielbeachtete Rede, in der er nicht nur Israels Krieg verurteilte, sondern auch den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober. Das Vorgehen der Islamisten sei absolut inakzeptabel gewesen, sagte er im Ritz Carlton.

Bahrains Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa verurteilte die Hamas aufs Schärfste. Sein Land hat 2020 mit Israel Frieden geschlossen.

Bahrains Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa verurteilte die Hamas aufs Schärfste. Sein Land hat 2020 mit Israel Frieden geschlossen.

Hamad I Mohammed / Reuters

Wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Marokko hat auch Bahrain 2020 mit Israel Frieden geschlossen. Das winzige Land, das eng mit Saudiarabien verbündet ist, ist ein wichtiges Banken- und Handelszentrum. Es ist deshalb ganz besonders interessiert an jener «Politik der null Probleme», welche die Golf-Herrscher seit einigen Jahren in der Region verfolgen.

«Wir wollen einen Waffenstillstand»

Nun hat der Gaza-Krieg diesen Traum von einem Nahen Osten der Hochgeschwindigkeitszüge, boomenden Handelsstädte und der friedlichen Koexistenz platzen lassen. Stattdessen sehen sich die Golfstaaten einem Rückfall in längst vergangen geglaubte, finstere Zeiten gegenüber.

Am Manama-Dialog war in den vergangenen Jahren über grosse strategische Themen debattiert worden. Über die Zukunft der Region, den Umgang mit Iran oder die multipolare Weltordnung. Nun müssen die Politiker konkrete Ideen vorlegen, wie sich der Brand im Gazastreifen löschen lässt. Doch die sind dünn gesät.

Einig sind sich die Araber nur darin, dass der Krieg so schnell wie möglich aufhören soll. Denn das Blutvergiessen an der Levante ist nicht nur grausam. Es ist auch verheerend fürs Geschäft, wiegelt die Bevölkerung auf und stärkt den Erzfeind Iran, der am Golf zugleich gefürchtet und umworben wird. «Wir verlangen einen sofortigen Waffenstillstand», sagt der jordanische Aussenminister Ayman Safadi bei seinem Auftritt in Manama.

Ideen für die Zeit danach gibt es kaum

Doch während sich die arabischen Politiker im Ritz Carlton echauffieren, geht der Krieg in Gaza trotz der angekündigten Feuerpause weiter. Es bleibt völlig unklar, wie er beendet werden kann. Kann die Hamas überhaupt besiegt werden? Wird Gaza wieder von Israel besetzt? Soll die diskreditierte und machtlose Palästinenserbehörde, deren Vertreter es nicht bis Manama geschafft haben, das Trümmerfeld übernehmen? Oder schafft es eine arabische Kontaktgruppe, konkrete Vorschläge für die Zukunft auszuarbeiten, wie es die Europäer vorschlagen?

Auf der Bühne herrscht genauso Ratlosigkeit wie in den verrauchten Hotelbars von Manama, wo Experten, Journalisten und Diplomaten am Abend noch stundenlang diskutieren.

Doha, die Hauptstadt von Katar. Das Emirat setzt auf Diskretion und hat so ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas ausgehandelt.

Doha, die Hauptstadt von Katar. Das Emirat setzt auf Diskretion und hat so ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas ausgehandelt.

Ibraheem al-Omari / Reuters

Man werde niemals das Chaos der Israeli aufräumen, schimpft der jordanische Aussenminister Safadi. Anwar Gargash, der Berater von Abu Dhabis mächtigem Herrscher Mohammed bin Zayed, empört sich hingegen über die radikalen Araber. «Sie unterlaufen unsere Bemühungen, die Region zu stabilisieren», sagt er. Ähnlich klingen auch die Bahrainer. Sie arbeiteten weiter mit Israel zusammen, sagen sie, nur so könnten sie beruhigend einwirken.

Flüstern hinter verschlossenen Türen

Viele Experten glauben aber, der Einfluss der Abraham-Staaten auf Israel sei begrenzt. Zudem hätten sich Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain oder das ebenfalls mit den Israeli flirtende Saudiarabien ihrer Möglichkeit beraubt, mit den radikalen Palästinensern zu sprechen. Denn die Hamas ist inzwischen fast überall am Golf als Terrororganisation geächtet.

Nur in einem Land ist das anders. 80 Kilometer südlich von Bahrain, nur einen kurzen Flug über das flache Meer entfernt, liegt Katar, ein weiterer staubtrockener Petro-Staat. Im Gegensatz zu Manama, dessen Öl-Ära bereits länger zurückliegt und dessen Siebziger-Jahre-Bauten reichlich Patina angesetzt haben, wirkt das dank seinem Erdgas märchenhaft reiche Doha wie ein futuristischer Ort aus Glas und Beton.

Das selbstbewusste Emirat betreibt eine eigenständige Aussenpolitik – und hat sich dadurch als wichtigster Verhandlungsführer in der ganzen Region etabliert. Während in Manama auf der Bühne diskutiert wird, wird in Katar hinter verschlossenen Türen geflüstert. Denn das kleine Land verfügt als einziges über einen direkten Draht zur Hamas.

Immerhin gelang den Katarern ein Gefangenenaustausch

Mit Israel Frieden geschlossen hat Katar hingegen nicht. Katar werde das erst tun, wenn es eine gerechte Lösung für den Palästinakonflikt gebe, sagen die jungen Regierungsvertreter in Doha, deren smarte Diskretion und Professionalität sich am besten mit dem in Amerika verwendeten Adjektiv «sharp» beschreiben lässt. Doch hinter den Kulissen reden die Mächtigen hier seit Jahren mit Jerusalem.

Eine Lösung für die Zukunft scheinen die Katarer aber auch nicht zu haben. Stattdessen konzentrieren sie sich auf das Machbare. So gelang es den Maklern aus Doha, nach wochenlangem Seilziehen eine mehrtägige Feuerpause und einen Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln. Es ist eine Politik der kleinen Schritte, die das Emirat verfolgt. Wohin sie am Ende führt, ist unklar.

Auch Katar ist hin- und hergerissen zwischen der Solidarität mit den Palästinensern, der Wut auf den israelischen Krieg und dem Bedürfnis, in der Region für Ruhe zu sorgen. Zwar findet in Doha keine Demonstration statt. Die riesigen LED-Bildschirme an den Fassaden der Hochhäuser leuchten aber trotzdem in den Farben Palästinas.

Ein Augenblick der Wahrheit

Für die Golfstaaten ist der Krieg in Gaza ein Augenblick der Wahrheit. Wollen sie dem eigenen Anspruch, als Führungsmächte die Zukunft der Region aktiv zu gestalten, gerecht werden, müssen sie irgendwann konkrete Vorschläge für die Zukunft des Gazastreifens auf den Tisch legen. Gleichzeitig ist der hochemotionale Konflikt ein heisses Eisen, an dem sich alle Beteiligten die Finger verbrennen.

In Manama wird dieses Dilemma sichtbar: Während auf der Strasse die Demonstranten einen totalen Boykott Israels fordern, wollen die Politiker im Ritz Carlton davon nichts wissen. Politik werde oftmals nicht mit dem Herzen gemacht, sagt Anwar Gargash, der Gesandte der Emirate. Sondern mit dem Verstand.

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