Universitätsdiplome werden wie Pizzas geliefert – Nigeria diskutiert einen Skandal um gefälschte Hochschuldokumente

Die Regierung reagiert rabiat – dabei muss sich der Staatspräsident Fragen zu seiner eigenen Bildung gefallen lassen.

Christian Putsch, Kapstadt 3 min
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Hat Nigerias Präsident Bola Tinubu bei seinen akademischen Titeln geschummelt?

Hat Nigerias Präsident Bola Tinubu bei seinen akademischen Titeln geschummelt?

Sean Gallup / Getty

Neulich in Nigeria fragte ich einen Mann, der bei einer Recherche behilflich war, nach seinem Alter. Der Angesprochene grinste. 52, antwortete er. Aber in seinem Ausweis stehe 38. Das helfe bei Job-Bewerbungen.

Die Anekdote kann nicht wirklich überraschen. 1989 sperrte der Weltfussballverband Fifa vorläufig alle nigerianischen Jugendnationalmannschaften, weil das Land bei den Olympischen Spielen 1988 einige Spieler eingesetzt hatte, in deren Pässen falsche Geburtsdaten verzeichnet waren. Ähnliches wiederholte sich mehrfach, etwa 2016 bei einem Qualifikationsspiel der U 17 zum Afrika-Cup.

Das mit 213 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas hat also eine gewisse Erfahrung beim Fälschen offizieller Dokumente. Die Gesetze sehen dafür bis zu 14-jährige Haftstrafen vor, dennoch begleitet das Thema sogar Wahlkämpfe. So wirft die Opposition dem amtierenden Staatspräsidenten Bola Tinubu – wie bereits dessen Vorgänger Muhammadu Buhari – die Manipulation der akademischen Qualifikationen vor. Beide streiten das ab, Beweise liegen bislang nicht vor. Bei Tinubu wurden die Spekulationen dadurch angeheizt, dass er die Veröffentlichung von Unterlagen zu seinem in den USA erworbenen Diplom mit dem Verweis auf die Privatsphäre verhindern liess.

Diplome geliefert wie Pizzas

Debatten um die Schönung von Lebensläufen sind natürlich kein exklusiv nigerianisches Thema. Auch Länder in Europa haben in dieser Hinsicht Schlagzeilen produziert.

Doch in Nigeria ist es durchaus bemerkenswert, dass Tinubus Regierung in diesen Tagen so rigoros wie nie auf einen besonders dreisten Fälschungsskandal akademischer Qualifikationen reagiert. Ende Dezember hatte der investigative Journalist Umar Audu geschrieben, wie einfach es sei, innerhalb von sechs Wochen an ein Universitätsdiplom im Fach «Massenmedien» aus dem Nachbarland Benin zu kommen. «Es wurde mir wie Pizza geliefert, zu einem überschaubaren Preis», sagte Audu in einem Interview mit dem nigerianischen Fernsehsender Channels Television. Mit den ausländischen Dokumenten hatte er sich dann in Nigeria erfolgreich für ein staatliches Jobbeschaffungsprogramm beworben. Er habe Hinweise darauf, dass der Fälscher direkt mit der Universität in Benin kooperiert habe, sagte Audu. Die Universität dementierte alles, teilte aber mit, es laufe eine Untersuchung.

Schuld sind immer die andern

Nigerias Regierung lässt im Allgemeinen wenig Gelegenheiten aus, seine Probleme auf ausländische Einflüsse zurückzuführen. Prompt wurde die offensichtlich verbesserungswürdige Verifizierung und Anerkennung von Diplomen aus Benin ausgesetzt, und die von Togo gleich mit. Damit sei es keineswegs getan, verlautete kämpferisch aus dem Bildungsministerium, bald sollten auch entsprechende Abschlüsse aus Uganda, Kenya und Niger nicht mehr so einfach berücksichtigt werden.

Neu sind derartige Schnellschüsse in Nigeria keineswegs. Vor einigen Jahren wurde der Import von Reis fast unmöglich gemacht, um die heimische Produktion anzukurbeln. Was prinzipiell ein nachvollziehbarer Gedanke war, erfolgte allerdings ohne vorgängige Frist. Entsprechend teuer wurde das plötzlich rare Grundnahrungsmittel. Letztlich musste der Bann wieder aufgehoben werden.

2022 wurde der Einsatz von ausländischen Models in Nigerias Werbeindustrie ganz plötzlich verboten. In der Berichterstattung wurde das in erster Linie als Ausschluss weisser Models aus Europa und den USA dargestellt, es traf aber besonders die Branche in anderen Ländern des Kontinents hart. Ausser in Südafrika fanden bis dahin nirgends so viele afrikanische Models Arbeit wie in Nigeria. So richtig passt das alles nicht zum panafrikanischen Gedanken, den die Afrikanische Union mit ihren jüngsten Bestrebungen nach freiem Handel und Personenverkehr auf dem Kontinent vorantreiben will.

Zurück zu dem um 14 Jahre verjüngten Recherchehelfer. Dieser erzählte damals noch, er sei mit seinem jetzigen Job ganz zufrieden und plane keine Bewerbungen. So richtig nötig sei die Flunkerei deshalb nicht mehr. Vielleicht lasse er das mit dem gefälschten Geburtsdatum bei Gelegenheit ändern.

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