Putin präsentiert sich dem Land auch in Zeiten des Krieges voller Selbstzufriedenheit

Erstmals seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine stand Wladimir Putin Bürgern und Journalisten stundenlang Red und Antwort. Unbeirrt sieht er Russland auf dem richtigen Kurs – ganz im Gegensatz zum Westen.

Markus Ackeret, Moskau 4 min
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Russlands Präsident Wladimir Putin stellt sich den Fragen von Bürgern und Journalisten.

Russlands Präsident Wladimir Putin stellt sich den Fragen von Bürgern und Journalisten.

Alexander Kazakov / Sputnik via Reuters

«Solange ich mich erinnern kann, so lange sind Sie schon an der Macht.» So leitete ein Journalist aus der fernöstlichen russischen Region Magadan seine Frage an Präsident Wladimir Putin ein und strahlte dabei in die Fernsehkameras. Was als Lob gemeint war, umschreibt zugleich die Tücken, denen Putin im 25. Jahr in der Führung Russlands ausgesetzt ist. Mit jedem Amtsjahr wird es schwieriger, die Versäumnisse auf die Vergangenheit abzuschieben. Am Donnerstag hatte Putin das auch gar nicht vor: Er war voll und ganz mit der Gegenwart beschäftigt.

Nach einer Pause von zwei Jahren und damit erstmals seit der Entscheidung zum umfassenden Krieg gegen die Ukraine stellte er sich den Fragen von Bürgern und Journalisten. Die Fernsehsprechstunde «Direkter Draht» und die Jahrespressekonferenz vereinigte der Kreml zu einer Veranstaltung. Das hatte den Nachteil, dass zu viele Moderatoren – zwei Fernsehjournalisten für die Bürger und Putins Sprecher für die Journalisten – einander öfter ins Wort fielen und der Präsident mitunter die drei einfach überging.

Blick in die Seelenlage der Nation

So orchestriert das Ganze jeweils ablaufen mag – einen Einblick in die Seelenlage der Nation gab die Veranstaltung immer schon, zumal sich auch die Medienvertreter weniger als kritische Fragesteller denn als Fürsprecher ihrer Herkunftsregionen verstehen. Zugleich gewährleistet der Rahmen, dass Überraschungen ausbleiben. Für etwas mehr als vier Stunden drehte sich die Veranstaltung um den Krieg in der Ukraine, um hohe Preise für Eier und Geflügel und Personalmangel in den Spitälern, um fehlende Eisenbahnstrecken und teure Autos, aber auch um die Beziehungen zum Westen. Für alles hatte Putin eine Antwort bereit, eine Beschwichtigung oder eine frohe Botschaft.

Auf eine der wenigen Fragen einer westlichen Korrespondentin hin bestätigte er, dass um den Austausch des wegen angeblicher Spionage inhaftierten amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich Verhandlungen mit den USA stattfänden. Zuerst tat er aber so, als wüsste er gar nicht, wer gemeint sei, und scherte sich auch nicht um die Unschuldsvermutung dem Verhafteten gegenüber.

Insgesamt blieb es eine hermetische Welt derer, die Russlands «Spezialoperation» in der Ukraine unterstützen und die patriotische Re-Ideologisierung begrüssen. Die vier Stunden vermittelten dem durchschnittlichen Zuschauer das beruhigende Gefühl, um Russland stehe es allen Wirren in der Welt zum Trotz gut, um die offensichtlichen Probleme kümmere sich der Präsident gewissenhaft und Besserung dafür sei in Sicht.

Putin ist dabei stets die letzte Instanz, auf die die Bürger angesichts von Ungerechtigkeiten und Widrigkeiten im Alltag hoffen – der eklatante Beweis für das Fehlen funktionierender Institutionen im Land. Aufschlussreich war aber auch die sich wiederholende Bitte um staatliche Unterstützung für alles und jedes.

Der Krieg ist der Normalzustand

Der Krieg in der Ukraine, dessen die Mehrheit der Bevölkerung wohl überdrüssig ist, wurde in der Fragerunde nicht verdrängt. Er gehört jetzt einfach dazu, mit all seinen Nebenerscheinungen: dem Lob auf die Freiwilligen, die Geld für die Front sammeln, und auf die Schüler, die Briefe an die Soldaten schreiben, aber auch der Klage über fehlende Kompensationen und die fehlende Anerkennung geleisteten Dienstes.

Paradox mutete es an, als ein ehemaliger Kämpfer einer Privatarmee darüber klagte, er werde nicht als Veteran anerkannt, und Putin das damit erklärte, dass in Russland eben Privatarmeen verboten seien. Dabei hatte der Kreml ganz bewusst die Privatarmee Wagner für den Einsatz an der Front beauftragt.

Putin zeigte sich guter Dinge, was die Lage an der Front betrifft. Nach seinen Angaben sind entlang der 2000 Kilometer langen Linie im Kampfgebiet mehr als 600 000 Mann im Einsatz, unter ihnen 244 000 Mobilisierte. Deren Leistung würdigte er. Zudem erläuterte er, dass aufgrund der erfolgreichen Rekrutierung von bis jetzt rund 480 000 Freiwilligen keine weitere Welle der Mobilisierung geplant sei. Geschwiegen wurde dagegen darüber, wann die im Herbst 2022 Einberufenen nach Hause dürfen. Der Unmut unter diesen Soldaten und ihren Angehörigen wächst seit einigen Monaten, und die Betroffenen hatten auf einen Wink des Präsidenten gehofft.

Der russische Präsident Wladimir Putin gab sich an der Medienkonferenz volksnah, locker und selbstsicher.

Der russische Präsident Wladimir Putin gab sich an der Medienkonferenz volksnah, locker und selbstsicher.

Alexander Kazakov / Sputnik via Reuters
Auch auf Moskaus Gebäudefassaden wurde die Fragestunde mit Putin gezeigt.

Auch auf Moskaus Gebäudefassaden wurde die Fragestunde mit Putin gezeigt.

Maxim Shemetov / Reuters

Putin hält an Zielen gegenüber Kiew fest

Putin stellte klar, wann es Frieden geben könne: sobald die Ziele erreicht seien. Und diese Ziele seien dieselben wie zu Beginn – «Entnazifizierung», Entmilitarisierung und ein neutraler Status für die Ukraine. Kiew habe im Frühjahr 2022 ein mögliches Verhandlungsresultat in den Papierkorb geworfen. Also erfolge die Entmilitarisierung jetzt halt mit Gewalt. Auch die «Entnazifizierung» bleibe aktuell. Wieder einmal schob er die Verantwortung für den Krieg dem Westen in die Schuhe: «Nicht wir haben die Beziehungen zur Europäischen Union zerstört.»

Putin wiederholte seine These, wonach der Südosten der Ukraine historisch russisches Land sei, die Russen und Ukrainer ein Volk seien und es sich daher um eine enorme Tragöde, um einen Bürgerkrieg, handle. Dessen Folgen relativierte er aber, indem er den Gaza-Krieg als viel grausamer darstellte. In Europa gebe es kaum mehr eigenständige Politiker, befand er – als Ausnahmen nannte er den Slowaken Robert Fico und den Ungarn Viktor Orban. Die anderen Europäer hätten ihre Souveränität eingebüsst.

Die Stärkung der Souveränität Russlands stellte Putin als sein wichtigstes Ziel dar. Das sagte er gleich zu Beginn als Antwort auf die Frage, was ihn zur neuerlichen Präsidentschaftskandidatur bewege. Daran hänge Russlands Existenz. Putin ist davon überzeugt, dass die Politik, die er dem Land in den vergangenen Jahren aufgezwungen hat, diesem Ziel dient. Russlands Position in der Welt sieht er auch durch das Festhalten an den sogenannten «traditionellen Werten» gefestigt – die Zuneigung aus allen Kontinenten fliege dem Land deshalb zu, behaupteten auch die Moderatoren.

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