Schokolade aus abgeholzten Wäldern – jede achte Tafel betroffen

In Westafrika wurden in den letzten Jahrzehnten riesige Waldflächen abgeholzt, auch in Schutzgebieten. Grund dafür ist oft die Kakaoproduktion.

Fabian Urech 3 min
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Kakaoernte in Côte d’Ivoire: 30 Prozent der Produktion des Landes finden laut einer Studie in Naturschutzgebieten statt.

Kakaoernte in Côte d’Ivoire: 30 Prozent der Produktion des Landes finden laut einer Studie in Naturschutzgebieten statt.

Luc Gnago / Reuters

Im Süden von Ghana und Côte d’Ivoire gibt es kaum noch grosse Wälder. Gemäss Schätzungen der Weltbank haben die beiden Länder an der Westküste Afrikas in den letzten sechzig Jahren zwischen 65 und 90 Prozent ihrer Waldfläche verloren.

Einer der Hauptgründe ist der Anbau von Kakao. Côte d’Ivoire und Ghana sind die beiden grössten Produzenten der Bohnen, aus der Schokolade gemacht wird. Auf sie entfielen im vergangenen Jahr rund 58 Prozent der globalen Produktion.

Die öffentlich verfügbaren Statistiken zur dortigen Abholzung und zum Zusammenhang mit dem Kakaoanbau waren bisher lückenhaft oder beruhten auf Schätzungen. Eine neue Studie, an der auch die ETH Zürich beteiligt war, bietet nun ein gesamtheitlicheres Bild. Es zeigt: Das Problem ist gravierend – und es dürfte so bald nicht verschwinden.

30 Prozent der Produktion in Naturschutzgebieten

In Côte d’Ivoire und Ghana gibt es insgesamt über 500 Naturschutzgebiete. Dazu gehören Nationalparks, Naturreservate und geschützte Wälder. In diesen sind die Abholzung und der Betrieb von Landwirtschaft eigentlich verboten. Doch das ist seit langem Theorie.

In der Praxis werden viele dieser Schutzgebiete längst als Landwirtschaftsflächen genutzt. Laut der Studie sind in den beiden Ländern allein seit dem Jahr 2000 rund 11 500 Quadratkilometer geschützter Wald gerodet worden. Das entspricht etwa zweimal der Grösse des Kantons Bern.

Besonders in Côte d’Ivoire geht ein bedeutender Teil dieser Abholzung auf den Kakaoanbau zurück. Hier wurden gemäss der Studie auf 37 Prozent der gerodeten Schutzflächen Kakaobäume angepflanzt. In Ghana liegt dieser Wert bei 13,5 Prozent.

Im Falle Côte d’Ivoires, des klaren Kakao-Weltmarktführers, liegen laut der Studie insgesamt 30 Prozent der Kakaoplantagen in Naturschutzgebieten. Das ist selbst in Relation zur globalen Gesamtproduktion eine bedeutende Menge: Etwa ein Achtel aller Kakaobohnen wird demnach in ivoirischen Gebieten geerntet, in denen eigentlich Wald stehen sollte. Kommt hinzu, dass in diesen Gebieten auch die Kinderarbeit, von der der Kakaosektor stark betroffen ist, besonders verbreitet ist.

Côte d’Ivoire und Ghana sind die klaren Weltmarktführer im Kakaoanbau

Anteil an der globalen Kakaoproduktion im Jahr 2022

Zaghaftes Engagement von Regierung und Firmen

Die Studie, die sich hauptsächlich auf eine vertiefte, mit künstlicher Intelligenz verbesserte Analyse von Satellitenaufnahmen stützt, bestätigt damit, was bereits frühere Untersuchungen gezeigt hatten: Offensichtlich gelingt es den Regierungen vor Ort nicht, in diesem Bereich umfassende Fortschritte zu erzielen. Zwar versucht die Politik in beiden Ländern, die Missstände zu beheben und einen Wandel anzustossen. Doch die meisten Initiativen sind angesichts der Dimension des Problems völlig unzureichend.

Auch das Engagement der Privatwirtschaft bleibt zaghaft. Obwohl mit Schokolade viel Geld verdient wird – die Industrie soll global etwa 100 Milliarden Franken pro Jahr umsetzen –, fallen die Investitionen vieler Firmen in eine ökologisch und sozial verantwortungsvolle Beschaffung der Kakaobohnen bescheiden aus. «Alle grossen Firmen kaufen aus geschützten Gebieten», sagte ein Kakaohändler in der ivoirischen Hafenstadt Abidjan in einem früheren Gespräch gegenüber der NZZ. «Wer nicht weiss, woher die Bohnen kommen, weiss eigentlich: Oft kommen sie vom falschen Ort.»

Die Zürcher Firma Barry Callebaut etwa, einer der weltgrössten Schokoladeproduzenten, kennt nur bei rund der Hälfte der Kakaobohnen, die sie in Côte d’Ivoire und Ghana kauft, deren genaue Herkunft, wie sie auf Anfrage mitteilt.

Zurzeit deutet wenig darauf hin, dass die Missstände beim Kakaoanbau bald behoben sein werden. Manche Beobachter erhoffen sich von einem neuen EU-Gesetz gewisse Verbesserungen punkto Abholzung. Gemäss diesem müssen europäische Firmen künftig sicherstellen, dass der in die EU eingeführte Kakao nicht auf einstigen Waldflächen produziert wurde, die nach 2020 abgeholzt worden sind. Auch könnte ein griffiges EU-Lieferkettengesetz, über das das Europäische Parlament in den nächsten Tagen abstimmen wird, die grossen Schokoladefirmen zu einem umfassenderen Engagement in diesem Bereich bewegen. Für die meisten Wälder in Ghana und Côte d’Ivoire kommen diese Initiativen freilich zu spät – sie sind längst verschwunden.

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