Minenfelder und Helikopter - ukrainische Offensive kommt trotz westlichen Waffen nur langsam voran

Kampf- und Schützenpanzer aus den Nato-Staaten können bisher nicht die Wende bringen. Es häufen sich die Berichte über Verluste an westlichem Material auf ukrainischer Seite. Doch ein Scheitern bedeutet das deshalb noch nicht.

Marco Seliger, Berlin 5 min
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Dieses Bild basiert auf Material des russischen Verteidigungsministeriums. Es zeigt zerstörte und aufgegebene deutsche Leopard-2A6-Kampfpanzer und amerikanische Bradley-Schützenpanzer, gemäss den Angaben auf einem Feld in der Region Saporischja.

Dieses Bild basiert auf Material des russischen Verteidigungsministeriums. Es zeigt zerstörte und aufgegebene deutsche Leopard-2A6-Kampfpanzer und amerikanische Bradley-Schützenpanzer, gemäss den Angaben auf einem Feld in der Region Saporischja.

Russian Defence Ministry Press S / EPA

Was wurde nicht alles über die westlichen Kampf- und Schützenpanzer geschrieben. Game-Changer könnten sie sein, Waffen, die den Unterschied machen. Der deutsche Leopard 2 etwa sei ein Panzer, der den Krieg verkürzt. So hiess es in Politik und Medien, auch in der NZZ, als im Winter die Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine tobte. Ein halbes Jahr später häufen sich nun die Berichte über ukrainische Verluste an vom Westen gelieferten Waffen.

Wie hoch die Verluste sind, darüber gibt es widersprüchliche Angaben. Die ukrainische Regierung äussert sich dazu nicht, auch in Deutschland zur Ausbildung befindliche ukrainische Soldaten halten sich nach Informationen von Bundeswehr-Angehörigen sehr bedeckt. Doch die niederländische Dokumentationsplattform «Oryx» führt seit Kriegsbeginn eine Liste mit den Materialverlusten beider Seiten. Sie erhebt ihre Daten auf der Basis öffentlicher Quellen und belegt jedes aufgelistete Waffensystem mit einem geolokalisierten Foto. Danach sind bisher 25 US-amerikanische Schützenpanzer Bradley, 4 Leopard 2A6, 3 Leopard 2A4, 3 Minenräumpanzer und 1 Bergepanzer zerstört worden.

Wenn man die «Oryx»-Zahlen in Relation zur Gesamtmenge der Lieferungen setzt, entsteht folgendes Bild: Deutschland hatte der Ukraine 18 Leopard 2A6 geliefert, aus Polen, Kanada, Norwegen und Spanien waren 36 Leopard 2A4 gekommen. Das macht in Summe 54 Kampfpanzer, von denen bisher sieben vernichtet sein sollen. Das sind etwa 13 Prozent. Die USA hatten der Ukraine im März 113 Bradley geliefert, von denen 25 zerstört wurden. Das macht einen Verlust von 22 Prozent.

Panzer bleiben in vorgelagerten Minenfeldern hängen

Das amerikanische Magazins «Forbes» berichtete vor kurzem über einen ukrainischen Angriff vom 8. Juni auf die Stadt Robotine im Süden. Die beiden mit westlichen Waffen ausgerüsteten Brigaden seien auf zwei motorisierte russische Schützenregimenter, Speznas-Spezialeinheiten und Reserveverbände gestossen. Allein bei diesem Angriff seien 17 Bradley-Schützenpanzer, 4 Leopard 2A6 und 3 Leopard 2R verlorengegangen. Leopard 2R sind finnische Minenräumpanzer auf der Basis des deutschen Kampfpanzers Leopard 2.

Die Verluste offenbaren die Schwierigkeiten, mit denen die Ukrainer bei ihrer Offensive konfrontiert sind. Sie rennen gegen mehrfach gestaffelte Verteidigungslinien an, blieben bisher aber meist in den vorgelagerten Minenfeldern hängen. Diese Felder bestehen aus Panzerabwehr- und Antipersonenminen. Eine Panzerabwehrmine ist eine mit Sprengstoff gefüllte Metallscheibe, häufig mit einem Druckzünder versehen. Sie kann von Hand oder mit Fahrzeugen im Boden vergraben werden. Antipersonenminen sind deutlich kleiner. Die Russen verschiessen sie aus grosser Entfernung mit einem Artilleriegeschütz und verstreuen die tückischen Sprengsätze auf diese Weise grossflächig.

Minenfelder verlangsamen einen Angriff massiv, weil erst schweres Räumgerät eingesetzt werden muss, um eine Minengasse für die vorgehende Truppe zu schlagen. Mobilen Panzerabwehrtrupps der Russen gelang es, mehrere dieser Minenräumpanzer zu zerstören, während sie die Gassen schlugen. Zum Teil kamen die ukrainischen Kampf- und Schützenpanzer aber gar nicht erst weiter als bis zu ihrer Aufmarschposition. Sie wurden von Helikoptern und Kampfjets zerstört, bevor sie den Angriff starten konnten. Den Ukrainern fehlen Flugabwehrsysteme, um diese Luftangriffe zu verhindern.

Was der ukrainischen Gegenoffensive im Weg steht: Minenfelder, Panzergräben, Drachenzähne, Schützengräben

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Auch beim Einsatz von Drohnen haben die Russen derzeit einen erheblichen Vorteil. Mit ihren Kamikaze-Drohnen Lanzet fügen sie den Ukrainern seit Monaten empfindliche Verluste an Panzern, Geschützen und Flugabwehrsystemen zu. Zudem setzen sie erfolgreich Störsender an der Frontlinie ein, um ukrainische Drohnenangriffe abzuwehren. Auch deshalb konnten die Ukrainer bisher keine grösseren Geländegewinne erzielen.

Zugleich sind hohe Verluste auf der Seite eines Angreifers nichts Ungewöhnliches. Im Militär heisst es, das Verhältnis von Angreifer und Verteidiger müsse drei zu eins betragen, damit ein Durchbruchversuch erfolgversprechend sein könne. Den Ukrainern aber fehlen dafür nicht nur die personellen Voraussetzungen, sondern auch die Waffen. Sie haben zu wenig Kampfflugzeuge und Helikopter, Minenräumpanzer und Flugabwehrsysteme, Kampfpanzer und Schützenpanzer.

Bisher keine Anstrengungen, entschlossen durchzubrechen

Zudem schaffen es die Russen, die Ukrainer mit eigenen Angriffen an verschiedenen Frontabschnitten im Donbass mit starken Verbänden zu binden. Damit verhindern sie, dass die Ukrainer Schwerpunkte bilden können. Militärbeobachter sagen, es gebe bisher keine grossen ukrainischen Anstrengungen, an einer Stelle entschlossen durchzubrechen.

Nach den Verlusten passen die Ukrainer nun ihre Taktik an. Sie versuchen, Minenfelder nicht mehr zu räumen, sondern sich ihren Weg durch die Felder freizusprengen. Dazu verschiessen sie an einer Linie verbundene Sprengladungen, deren Explosion die im Boden vergrabenen Minen zur Detonation bringen soll. Ausserdem setzen sie nicht mehr Marschkolonnen aus Panzern, Schützenpanzern und gepanzerten Fahrzeugen ein, sondern kleinere Angriffstrupps, die im Schwerpunkt aus Soldaten zu Fuss (abgesessene Infanterie) und nur einigen Kampf- und Schützenpanzern bestehen.

Doch in den von ihnen besetzten Gebieten haben die Russen entlang der gesamten Front mutmasslich Hunderttausende Minen verlegt. An welcher Stelle die Ukrainer auch angreifen, sie werden Minengassen schlagen müssen. Das sorgt dafür, dass weder westliche Kampfpanzer wie der Leopard noch Schützenpanzer wie Marder oder Bradley zunächst ihre Stärken ausspielen können. Sie werden kanalisiert und auf einen eng begrenzten Weg gezwungen. Das macht sie zum leichten Ziel für Artilleriefeuer, Kampfhelikopter und Panzerabwehrlenkwaffen.

Es ist eine perfide, aber wirksame Art der Kriegsführung, die die Russen anwenden. Mehrere Videos dokumentieren den katastrophalen Verlauf der ukrainischen Angriffe. Auf ihrem Weg durch die Minengassen werden Kolonnen von Artillerie oder nicht geräumten Minen getroffen. Soldaten, teilweise verletzt, verlassen die Panzer, geraten unter Feuer und suchen Deckung in Gebieten ausserhalb der Minengasse. Dort geraten sie in Felder aus Antipersonenminen. Sie sterben qualvoll mit abgerissenen Gliedmassen, während ihre Kameraden kaum helfen können, weil sie sich dazu selbst in das Minenfeld begeben müssten.

Mögliche Debatte über Lieferung von Flugkörpern Taurus

Bei einer Offensive sind meist die ersten Wochen entscheidend. In der Militärgeschichte gibt es viele Beispiele, wie ein überraschender Angriff auf die gegnerischen Stellungen einen Durchbruch brachte und so die Front in Bewegung geriet. In der Ukraine ist ein solcher Moment derzeit nicht zu sehen. Die Verluste von Kampfpanzern und anderen Fahrzeugen in den ersten Wochen wiegen gemäss westlichen Militärfachleuten wie dem ehemaligen US-General Ben Hodges noch nicht so schwer, dass sie die gesamte Offensive infrage stellten. Dazu hätten die Ukrainer bisher noch genügend gut ausgerüstete Verbände in der Hinterhand.

Die amerikanische Regierung hat vor kurzem weitere Waffenlieferungen angekündigt, darunter 30 Bradley und 25 Radpanzer vom Typ Stryker. Rheinmetall will bis Anfang nächsten Jahres im Auftrag der Niederlande und Dänemarks 14 weitere Leopard 2A4 an die Ukraine liefern. Die deutsche Regierung beabsichtigt, in den kommenden Monaten bis zu 100 ältere Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 in die Ukraine zu schicken. Militärbeobachter wie der österreichische Generalstabsoffizier Markus Reisner sehen Anzeichen dafür, dass sich die Ukrainer nun zunächst konsolidieren, um im Spätsommer noch einmal eine neue Offensive zu starten.

Möglicherweise kommt bis dahin auf Deutschland die nächste Debatte um Waffenlieferungen zu. Die Ukrainer brauchten dringend Präzisionswaffen wie den Marschflugkörper Taurus, mit denen sie aus sicherer Entfernung russische Stellungen bekämpfen könnten. Unter deutschen Sicherheitspolitikern wird darüber bereits diskutiert.

Ob die Russen bisher einen der deutschen Panzer erbeuten konnten, ist nicht bekannt. Die meisten zerstörten und aufgegebenen Leopard 2 stehen offenbar im Niemandsland zwischen den Fronten.

In einer früheren Fassung dieses Artikels hatten wir eine Quelle zu Angaben möglicher ukrainischer Materialverluste verwendet, die sich als zweifelhaft herausgestellt hat. Wir haben den Text entsprechend angepasst.

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