Wie viele Asylsuchende möchte der deutsche Innenminister zurückweisen?

Nach den Vorstellungen des deutschen Innenministers Horst Seehofer würde bei flächendeckenden Grenzkontrollen rund ein Viertel der Asylbewerber abgewiesen. Im letzten Jahr wären das etwa 60 000 Menschen gewesen.

Christoph Eisenring, Berlin
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An der deutsch-österreichischen Grenze bei Kufstein. Auch hier will Horst Seehofer wieder Grenzkontrollen durchführen. (Bild: Imago)

An der deutsch-österreichischen Grenze bei Kufstein. Auch hier will Horst Seehofer wieder Grenzkontrollen durchführen. (Bild: Imago)

Der CSU-Parteichef und deutsche Innenminister Horst Seehofer will Asylbewerber an der Grenze zurückweisen, die bereits in einem anderen Land registriert worden sind oder dort einen Antrag gestellt haben. Aber auf wie viele Personen trifft das zu? Im Jahr 2017 gab es in Deutschland 198 000 Erstanträge auf Asyl. Davon waren 60 000 Menschen im Fingerabdruck-Identifizierungssystem Eurodac gespeichert. Ihr Fingerabdruck wurde somit schon in einem anderen EU-Land erfasst. Im laufenden Jahr sind die Relationen bisher ähnlich: Es gab bis April 68 000 Erstanträge auf Asyl. Unter ihnen fanden sich 18 000 Personen, deren Angaben schon in einem anderen EU-Staat gespeichert worden waren.

Niedrige Zahl an Überstellungen

Diese – bezogen auf 2017 – 60 000 Personen kämen nach Seehofers Plänen also für eine Rückweisung infrage. Doch dies ist aus zwei Gründen schwierig: Erstens müsste dann die Bundespolizei die gesamte deutsche Aussengrenze überwachen und nicht nur einzelne Kontrollpunkte in Bayern. Zweitens könnte es dazu kommen, dass Länder, über die die Asylbewerber die EU erstmals betreten, diese gar nicht mehr registrieren, damit sie nicht im Eurodac-System erscheinen. Sie würden einfach weitergeschickt. Eine solche Retourkutsche wäre denkbar, wenn Seehofer seine Ankündigung in die Tat umsetzt.

Deutschland ersucht schon heute im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere EU-Länder darum, Flüchtlinge zurückzunehmen. 2017 gab es 64 000 solche Anfragen. In 47 000 Fällen stimmten die Mitgliedstaaten der Übernahme zu. Im selben Jahr wurden aber nur 7102 Menschen in andere EU-Länder überstellt. Im laufenden Jahr ging es ähnlich weiter: Es gab bis Ende April 21 523 Ersuchen zur Übernahme, von denen 14 652 Fälle akzeptiert wurden. Im selben Zeitraum fanden nur bei 3178 Personen Überstellungen statt. Was steckt hinter dieser Diskrepanz? Es kann sein, dass Personen untertauchen oder in Kirchenasyl eintreten. Auch die fehlende Reisefähigkeit ist eine Ursache. Schliesslich können Asylbewerber gegen eine Überstellung klagen. Wenn jedoch keine Überstellung ins andere Land innert sechs Monaten erfolgt, findet das Verfahren schliesslich in Deutschland statt. In den von Kanzlerin Merkel angedachten Abkommen mit Nachbarländern könnte es auch darum gehen, wie man diese Überstellungen vereinfacht.

3 von 10 beantragen Asyl in Deutschland

Um die deutsche Grenze so zu schützen, wie das vor dem EU-Beitritt Polens der Fall war, müsste Deutschland laut Schätzungen der Polizeigewerkschaft rund 4300 zusätzliche Bundespolizisten einstellen. Derzeit wird besonders an drei Autobahnen zwischen Deutschland und Österreich kontrolliert. Im letzten Jahr wurden an diesen Kontrollpunkten und im übrigen Grenzgebiet 14 600 Personen aufgegriffen, die illegal einzureisen versuchten. 7200 von ihnen wurden zurückgewiesen. In den ersten vier Monaten 2018 gab es 3800 unerlaubte Einreisen, in 2100 Fällen wurden Personen zurückgeschickt.

Der Zeitpunkt von Seehofers Vorstoss kommt insofern etwas überraschend, als Deutschland in der EU zwar immer noch am meisten Asylbewerber aufnimmt, sich das Ungleichgewicht aber reduziert hat. So gab es in Frankreich und besonders in Spanien mehr Asylbewerber als im Vorjahr. Die Zahl der neuen Asylanträge ging dagegen in Deutschland um drei Viertel zurück. In der EU beantragen immer noch drei von zehn Personen Asyl in Deutschland, 2016 waren es aber sechs von zehn gewesen. Auf die Bevölkerung umgelegt, sind die Zahlen in Griechenland und Zypern sowie Luxemburg und Malta noch deutlich höher als in Deutschland.

Asylbewerber in der EU und der Schweiz

Im Jahr 2017, 15 Staaten mit höchsten Werten (in Tausend)

Mehr Beschäftigung – mehr Sozialhilfe

Und wie sieht die Lage für diejenigen Flüchtlinge aus, die schon in Deutschland sind? Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden sich die Flüchtlinge wegen meist fehlender Sprachkenntnisse und mangelnder Berufsausbildung nur langsam in den Arbeitsmarkt integrieren. Von den Personen, die aus Kriegs- und Krisengebieten stammen (Afghanistan, Eritrea, dem Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien), waren im März 26% der 15- bis 65-Jährigen beschäftigt. Insgesamt haben aber in Deutschland 66% der Personen im Erwerbsalter eine Stelle, woran man erkennt, wie lang der Weg noch ist.

Allerdings war die Beschäftigungsquote vor einem Jahr mit 18% noch niedriger gewesen. 289 000 Personen aus Kriegs- und Krisenstaaten haben eine Stelle – 100 000 mehr als vor Jahresfrist. Gleichzeitig beziehen mittlerweile 981 000 Menschen aus diesen Ländern Grundsicherung für Arbeitssuchende («Hartz IV»). Das sind fast 200 000 mehr als noch vor einem Jahr.

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