Kommentar

Keine Ruhe bei der Ruag: Ein Staatsbetrieb taugt nicht zum Waffenhändler

Weil der jetzigen Führung jede politische Sensibilität fehlt, ist ein möglicher Ausweg aus der neutralitätsrechtlichen Sackgasse vorerst versperrt. Der Rüstungskonzern des Bundes hätte gar nicht erst ins Altmetall-Geschäft mit Kampfpanzern einsteigen dürfen.

Georg Häsler, Bern 26 Kommentare 3 min
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Ein Leopard 1 in Flensburg

Ein Leopard 1 in Flensburg

Morris Macmatzen / Getty Images Europe

Eine Luftaufnahme von 96 rostenden Panzern in Norditalien: So könnte dereinst das Titelbild eines Schulbuchs über die Schweiz während des Ukraine-Kriegs aussehen. 96 ausgemusterte Leopard 1 der italienischen Bodentruppen, die gar nie in der Schweiz waren, aber seit 2016 dem Rüstungsbetrieb des Bundes, der Ruag, gehören. 96 Einheiten Altmetall aus dem Kalten Krieg, erworben als Ersatzteilspender, symbolisieren die Schräglage der Schweiz in einer sicherheitspolitisch angespannten Zeit.

Der deutsche Rheinmetall-Konzern entdeckte die Leopard 1 in Schweizer Besitz schon in der zweiten Hälfte 2022, als in ganz Europa fieberhaft nach Kampfpanzern für die Ukraine gesucht wurde. Im Januar dieses Jahres erhielt die Ruag das Angebot, die 96 Panzer nach Deutschland zu verkaufen. Rheinmetall wollte die Panzer ausweiden, neu zusammensetzen und der ukrainischen Armee im Kampf gegen die russischen Besatzer zur Verfügung stellen.

Schon die Anfrage war hochpolitisch: Die westlichen Partner waren verärgert, weil der Bundesrat bereits die Wiederausfuhr von Schweizer Rüstungsgütern in die Ukraine verbietet. Der Grund ist die Schönwetter-Politik in Bern: Das Kriegsmaterialgesetz verhindert, dass Kriegsmaterial überhaupt in ein Kriegsgebiet gelangen kann. Die Landesregierung untermauert die Ablehnung ausländischer Gesuche zusätzlich mit einer orthodoxen Auslegung des Neutralitätsrechts.

Politische Verhältnisse waren bekannt

Kein Weiterverkauf von Gepard-Munition oder Piranha-Radschützenpanzern – und nun ein Handel mit Leopard 1: In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» hat Bundesrätin Viola Amherd am Mittwoch nun bestätigt, dass sie schon im Januar über die Anfrage von Rheinmetall informiert war. Als Chefin des Verteidigungsdepartements (VBS) trägt sie einen wesentlichen Teil der politischen Verantwortung für die Ruag, die zu 100 Prozent dem Bund gehört.

Amherd scheint aber nur passiv in den delikaten Deal involviert gewesen zu sein. Zuerst wollte Ruag den geschäftlichen Teil klären, dann den politischen. «Als Juristin», sagt sie dem «Tages-Anzeiger», habe sie sich später «aufgeregt», dass vor der endgültigen Klärung der Rechtslage ein Kaufvertrag aufgesetzt worden sei – immerhin mit einer Ausstiegsklausel. Der Bundesrat schmetterte das Geschäft mit Rheinmetall vor der Sommerpause schliesslich ab.

Es hat allen Beteiligten an politischer Sensibilität gefehlt. Unter dem faktischen Druck eines Vertragsentwurfs war eine Anpassung der bundesrätlichen Ukraine-Verordnung, die bei Rüstungsgeschäften eine Gleichbehandlung von Angreifer und Verteidiger festschreibt, eine Illusion. Es ist bekannt, dass die Gralshüter des Neutralitätsrechts in der Landesregierung gegenwärtig in der Mehrheit sind, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

Es braucht einen klaren Schnitt

Die Kernfragen werden nun mit einer Flut von Details über die zeitlichen Abläufe zugedeckt: Die 96 Leopard-1-Panzer dürften sich gar nicht erst im Besitz der Ruag befinden. Ein Staatsbetrieb eignet sich nicht als Waffen- und Altmetallhändler. Anders als echte Privatunternehmen in der Branche ist der Rüstungsbetrieb des Bundes mit den Sicherheitsinteressen der Schweiz verbunden. Geschäfte der Ruag sind immer politisch.

Die aussenpolitische Schräglage der Schweiz hat das Problem nun verschärft: Das ungeschickte Vorgehen hat ein Kompensationsgeschäft mit den westlichen Partnern vorerst verhindert. Dafür steigt der Druck, dass die Schweiz 25 eigene Leopard 2A4 in einem Ringtausch abgeben muss. Das ist kaum vermittelbar: Statt faktisch einfach Ersatzteillager zum Wiederaufbau neuer Panzer zu liefern, schmälert der Bundesrat lieber die Kampfkraft der eignen Armee.

Die Leopard 1 rosten derweil weiter vor sich hin: Während die Nachbarn jede Lagerhalle nach Kriegsmaterial abklopfen, um den Kampf der Ukraine zu unterstützen, untersucht die Schweiz nun die Abläufe zwischen dem VBS und dem Rüstungsbetrieb des Bundes. Es ist zu hoffen, dass das Resultat einen klaren Schnitt erlaubt: Die Armee braucht keine Ruag, sondern eine funktionierende Werkstatt. Alles andere können Private besser – auch Schweizer Unternehmen.

26 Kommentare
Adrian Heberlein

Es ist lächerlich, wie sich die Schweiz dumm verhält. Wenigstens ein bisschen Flexibilität könnte der Bundesrat an den Tag legen und die Panzer in Italien verkaufen. Der Bundesrat schadet den Sicherheitsinterssen der Schweiz erheblich, denn die Schweiz wäre, würde sie in einen bewaffneten Konflikt geraten, auch wie die Ukraine auf Partnerländer angewiesen. Mit Sturheit und keinem Willen sich den Gegebenheiten anzupassen schneidet sich die Schweiz eigne Fleisch.

M. M.

Wir sollten uns genau überlegen, ob die sture Auslegung der Neutralität gegen unsere westlichen Partner wirklich klug ist. Ich bin der Meinung, dass bei einem offensichtlichen Agressor wie Russland die Schweiz durchaus parteiisch sein darf. So könnte man die Neutralität auch als Befürwortung des russischen Angriffs einordnen.