Vergessene Automarken: Brennabor – vom Kinderwagen- zum Autobauer

Drei Brüder gründen 1871 in Brandenburg eine Firma für Kleinvehikel, die um 1925 zum grössten deutschen Autohersteller wird.

Peter Münder
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Die Marke sollte Brandenburg repräsentieren, doch die Wortkreation entsprang einem Irrtum.

Die Marke sollte Brandenburg repräsentieren, doch die Wortkreation entsprang einem Irrtum.

PD

Ähnlich wie die Hersteller Adler in Frankfurt, Stoewer in Stettin oder die US-Edelmarke Pierce-Arrow in Buffalo, die um 1900 zuerst Schreibmaschinen, Nähmaschinen oder auch Vogelkäfige und Kühlboxen bauten, hatte sich die Brandenburger Firma Reichstein eine rustikale handwerkliche Basis – sozusagen als Technikbaukasten – aufgebaut.

Carl Reichstein, der 1862 verstorbene Vater der drei Firmengründer Adolf, Carl und Hermann Reichstein, hatte sich noch auf die Herstellung von Korbwaren kapriziert. Doch das vom Fahrzeugbau faszinierte brüderliche Trio begann 1871 sofort mit dem Bau von Kinderwagen und Hochrädern und 1882 auch von Fahrrädern, bevor man 1907 den ersten Dreirad-Motorwagen baute.

Inserat für Kinderwagen von 1913.

Inserat für Kinderwagen von 1913.

brennabor-brandenburg.de

Die Firma expandierte während der Gründerjahre rapide, da ihre robusten und dennoch preiswerten Fahrzeuge schnell populär wurden. Dementsprechend rasant stieg auch die Zahl der Mitarbeiter innerhalb von drei Jahren von fünfzehn auf dreihundert.

Der Markenname Brennabor wurde erst 1888 eingeführt, in der Annahme, damit eine uralte wendisch-slawische Bezeichnung für den Ortsnamen Brandenburg zu verwenden – doch wie Historiker inzwischen eruierten, war dies ein Irrtum: Ein böhmischer Mönch soll sich den Namen um 1600 ausgedacht haben. Wie auch immer: Der für muntere Reime wie «Ein Stück Blech und ein Stück Rohr – fertig ist der Brennabor» attraktive Firmenname machte Furore und erwies sich besonders bei Radfahrern als zündender Werbeslogan.

Als bodenständiges Erfolgssymbol hielt auch der heutige deutsche Bundespräsident Steinmeier ein rot lackiertes Brennabor-Rad in die Luft, als er im Oktober 2012 in einer ehemaligen Brennabor-Werkshalle als Direktkandidat für den Wahlkreis aufgestellt wurde. Und wenn in diesen Tagen die Produktion von Brennabor-E-Bikes im niedersächsischen Hoya aufgenommen wird, dann knüpft die Firma Hartje KG als neuer Markenrechtsinhaber an diese Tradition mit dem Werbespruch an: «Wer ein Brennabor fährt, der fährt nicht nur ein Rad, sondern ein Stück Fahrradgeschichte.»

Aus Fahrrädern wurden auch bei Brennabor Motorräder.

Aus Fahrrädern wurden auch bei Brennabor Motorräder.

SchiDD

Von drei Rädern auf vier

Von den drei Brüdern war Carl als Ingenieur und Firmenchef der massgebliche Technikpionier. Er war offensichtlich mit einem hohen Oktan-Anteil im Blut gesegnet und engagierte sich stark für die Herstellung von Motorrädern und Automobilen.

Der Dreirad-8-PS-Motorwagen Brennaborette von 1907, den er konstruiert hatte, war noch mit einem zugekauften 2-Zylinder-V-Motor des Aachener Motorenbauers Fafnir ausgerüstet. Es war jedoch absehbar, dass Fafnir als Motorenzulieferer am Limit war, als die Aachener Firma zum Bau eigener Autos überging.

Daher begann Brennabor 1910, eigene Wagen mit komplett selbst konstruierten Motoren zu produzieren. Der B1 war ein ausgewachsenes Vierradauto mit einem von Carl Reichstein entworfenen Vierzylinder und leistete bereits 14 PS. Es war ein ausbaufähiges Mittelklassemodell, das er mit dem Bau zuverlässiger Limousinen, Sport- und Rennwagen medienwirksam vermarkten wollte.

Der Brennabor Typ B von 1911 war bereits die zweite Baureihe.

Der Brennabor Typ B von 1911 war bereits die zweite Baureihe.

PD

Ausserdem hatte Reichstein auch schon die Serienproduktion im grossen Stil anvisiert. Während seines amerikanischen Bildungsurlaubs, den er in etlichen US-Unternehmen verbrachte, konzentrierte er sich ausser auf Henry Fords am Fliessband produziertes Model T ganz auf die enormen Möglichkeiten der Automatisierung, die Brennabor nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1923 als erster deutscher Autobauer ebenfalls einführte, wodurch er zum grössten deutschen Autohersteller wurde. In dieser Boomphase produzierten 8000 Mitarbeiter täglich 120 Autos und jährlich 90 000 Fahrräder.

Ab 1912 baute Brennabor auch in hohen Stückzahlen mittelgrosse Lkw und Omnibusse, die als Postbusse und Transporter bei Behörden des Deutschen Reichs eingesetzt wurden – die Expansion der umsatzstarken Firma schien keine Grenzen zu kennen. Brennabor gehörte ohnehin schon zu den grössten europäischen Kinderwagenherstellern und produzierte dazu erstklassige Fahrräder und auch Motorräder.

War die Modellpalette überhaupt noch ausbaufähig? Für Carl Reichstein schien jedenfalls nur ein amerikanisch anmutendes Leitmotiv zu existieren: «Es muss doch mehr als alles geben.»

Ab auf die Rennpiste

Der ehrgeizige Fabrikant Reichstein hatte jedenfalls schnell registriert, dass sich der technische Fortschritt am wirkungsvollsten mit Erfolgen im Rennsport demonstrieren und verkaufen liess. Daher baute er mit dem Beginn der Autoserienfertigung auch einen eigenen Brennabor-Rennstall mit den Fahrern Fritz Backasch, Fritz Feldmann und Albert Mitzlaff auf und nahm selbst an den beliebten, aber extrem strapaziösen mehrtägigen Prinz-Heinrich-Fahrten, den russischen und schwedischen Winterfahrten sowie den 1928 und 1929 gewonnenen Alpenfahrten teil.

Er wollte vor allem die auf diesen mörderischen Langstreckenrennen erforderliche Zuverlässigkeit seiner Wagen beweisen, was ihm auch eindrucksvoll gelang.

Das grosse Berliner Avus-Rennen von 1922 gewann Hans Jacobs auf Brennabor in der 2-Liter-Klasse, den von 230 000 Zuschauern besuchten Grand Prix von 1926 auf der Avus beendeten alle drei mit einem 1,5-Liter-Brennabor-Sport gestarteten Fahrer. Es war dies eine enorm starke Leistung, denn sie mussten gegen Fahrer wie Rudolf Caracciola im 8-Zylinder-Kompressor-Mercedes bestehen und die schnellen Bugatti T30 in Schach halten. Von 36 gestarteten Fahrern erreichten nur 17 das Ziel – unter ihnen alle drei von Brennabor. Fünf Bugatti waren ausgefallen.

Der begeisterte Rennfahrer Reichstein konnte also zahlreiche Erfolgserlebnisse verbuchen, die sich auch beim zunehmenden Kundeninteresse und bei den Verkaufszahlen bemerkbar machten. Er hatte aber auch registriert, dass der grosse konstruktive und finanzielle Aufwand für die international besetzen Rennen viel zu hoch war, und zog sich daher aus dem Rennsport zurück.

An den Kosten geschraubt

Der weitsichtige Konstrukteur Carl Reichstein hatte auch schon gemeinsame Plattformen für unterschiedliche Modelle entworfen, denen entweder Vier-, Sechs- oder Achtzylindermotoren implantiert werden konnten. Alle diese Rationalisierungsmassnahmen ermöglichten aufgrund hoher Stückzahlen Preisreduktionen und erleichterten Reparaturen und Verbesserungen bei der Ersatzteilversorgung.

Die Nutzung von Skaleneffekten demonstrierte, dass der Autopionier Reichstein seiner Zeit weit voraus war. Denn auch die Phase der Produktion von Granaten und anderen Kriegswaffen während des Ersten Weltkriegs überstand die Firma ohne grosse Probleme.

Der 1919 vorgestellte 1,6-Liter-Mittelklassewagen Typ P mit 24 PS wurde zum Erfolgsmodell, das ab 1921 in die Grossserienproduktion ging. Bis 1925 wurden davon erstaunliche 10 000 Exemplare verkauft – obwohl der Preis von 7500 Mark doch ziemlich üppig war.

Der Brennabor Typ P von 1921 war teuer, aber erfolgreich.

Der Brennabor Typ P von 1921 war teuer, aber erfolgreich.

PD

Die später am Fliessband produzierten 4-Zylinder-Modelle wie der Typ S mit 20 PS konnten schon günstiger, nämlich für 5800 Mark, verkauft werden. Auch mit dem Vierzylinder vom Typ R mit 1,6 Liter Hubraum und 25 PS fokussierte man noch auf das bewährte Mittelklassesegment, obwohl der inzwischen immer stärkere Konkurrent Opel mit dem Laubfrosch und anderen kleinen, billigen Modellen den Spitzenreiter Brennabor stark unter Druck setzte.

Bis 1928 hatte Brennabor immerhin noch 20 000 Typ-R-Modelle verkauft. Was also war dann in den letzten drei Jahren des Brandenburger Autobauers schiefgelaufen? Mit der Produktion der teuren Juwel-6- und der überzogen hochklassigen Juwel-8-Zylinder-Modelle, die mit dem bodenständigen Mittelklasse-Image von Brennabor kaum zu vereinbaren waren, hatte man auf das falsche, wenn auch noch hübsch funkelnde Pferd gesetzt, das sich kaum noch jemand leisten konnte.

Eine Nummer zu gross

Offenbar wollte Carl Reichenbach mit dem ab 1930 gebauten, 65 PS starken 8-Zylinder-Juwel einen prestigeträchtigen Wagen anbieten, um in derselben Liga wie Horch, Mercedes oder Maybach mitrollen zu können. Doch der vermeintliche Hochkaräter wurde mitten in der Weltwirtschaftskrise nur hundertmal gebaut und verursachte obendrein viel zu hohe Konstruktionskosten.

Mit der Juwel-Baureihe hat sich Brennabor übernommen. Er war in der Weltwirtschaftskrise ein Flop.

Mit der Juwel-Baureihe hat sich Brennabor übernommen. Er war in der Weltwirtschaftskrise ein Flop.

PD

Da rettete auch der 1933 noch schnell aus dem Hut gezauberte kleine 1-Liter-Typ C mit 20 PS nichts mehr. Er war eine rustikale, unerprobte Fahrmaschine mit etlichen Kinderkrankheiten, die man noch nicht in Angriff genommen hatte. Der Typ C markierte das Ende der Brennabor- Autoproduktion, doch wie in den kommoden Anfangszeiten lief die Fabrikation von Kinderwagen und Fahrrädern bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs weiter.

Ab 1907 bis zur Liquidation und Umwandlung in eine AG 1931 und zum Produktionsstopp 1933 wurden etwa 70 000 Fahrzeuge in insgesamt 24 Modellreihen gebaut, vom kleinen Typ C bis zum 8-Zylinder-Juwel mit 65 PS. Die mit 15 Millionen Mark verschuldete Firma Brennabor meldete daraufhin Insolvenz an und gab die Autoproduktion auf. Bis 1942 baute man noch Leichtmotorräder und produzierte Rüstungsgüter für das Naziregime, bis die Sowjets 1945 den verwertbaren Rest der Produktionsanlagen demontierten.

Auch hundert Jahre nach der Blütezeit von Brennabor umweht immer noch ein kräftiger nostalgischer Hauch den Namen der Brandenburger Firma. Im Industriemuseum Brandenburg konnte man vor der Corona-Pandemie regelmässig Ausstellungen mit Autos, Kinderwagen und Fahrrädern dieser faszinierenden Marke besichtigen, was demnächst hoffentlich wieder möglich sein wird.

Die eilends produzierten Brennabor-1-Liter-Modelle Typ C und Typ D (Bild) konnten die Autoproduktion der Firma nicht mehr retten.

Die eilends produzierten Brennabor-1-Liter-Modelle Typ C und Typ D (Bild) konnten die Autoproduktion der Firma nicht mehr retten.

PD

Zudem gibt es die sehr aktive Interessengemeinschaft Brennabor und den Brennabor-Verein Brandenburg, die Rückblicke auf die Firmengeschichte veröffentlichen und Oldtimer-Veranstaltungen organisieren.

Elon Musk, dessen Tesla-Fabrik in Grünheide, nur rund 90 Kilometer östlich von Brandenburg gelegen, jetzt in einer gigantischen Kraftanstrengung mit hohem Tempo gebaut wird, dürfte von der Marke Brennabor bisher noch nichts gehört haben. Aber einen Blick zurück auf einen so vielseitigen und begnadeten Kollegen und Technikpionier wie Carl Reichstein sollte er sich schon gönnen. Damit er erkennt, welche grossartigen technischen Leistungen man an der Havel schon vor hundert Jahren vollbrachte und dabei ganz ohne gigantischen Touchscreen oder Computer-Chips auskam – solange einfach nur ein Stück Blech und ein Stück Rohr griffbereit waren.

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