Igitt: Zum Apéro gibt’s Schafsaugapfel in Tomatensauce und danach in Urin eingelegte Eier

Gute Nachrichten für alle Freunde des schlechten Geschmacks: In Berlin präsentiert das Disgusting Food Museum ekliges Essen aus aller Welt. Als Eintrittsbillett gibt’s vorsorglich eine Kotztüte.

Heidi Diehl 5 min
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Was für die einen eine absolute Köstlichkeit, ist für andere einfach nur eklig: Schafsaugapfel in Tomatensauce.

Was für die einen eine absolute Köstlichkeit, ist für andere einfach nur eklig: Schafsaugapfel in Tomatensauce.

Disgusting Food Museum

Was essen wir denn heute? Pizza? Spaghetti? Älplermagronen mit Apfelmus? Oder zur Abwechslung mal was ganz anderes? Hier ein Hinweis für Unerschrockene: Reisen Sie nach Berlin, und besuchen Sie das Disgusting Food Museum. Dort erhalten Sie Anregungen aus den Küchen der Welt. Allerdings sollten Sie ein bisschen mutig und offen für Unbekanntes sein. Denn frei übersetzt, lässt sich die Kultureinrichtung auch mit «Museum der ekligsten Speisen der Welt» bezeichnen.

Eine Kostprobe gefällig? Wie wäre es als Apéritif mit einer «Mongolischen Mary»? Also einem Tomatensaft, in dem Schafsaugäpfel schwimmen. Diese gelten in der Mongolei als Delikatesse. Guten Appetit!

Als Vorspeise sind danach «virgin boy eggs» empfohlen. Also Eier, die einige Stunden im Urin von kleinen Jungs köchelten. Die chinesische Spezialität, die auch «Goldene Eier» genannt wird, soll zwar stark nach «Bisi» riechen, geschmacklich aber delikat sein, zart und salzig, und geradezu süchtig machen.

Zum Hauptgericht könnten «Prärie-Austern» aufgetischt werden – frittierte Bullenhoden, die sich in den USA und Kanada grosser Beliebtheit erfreuen. In China bevorzugt man von des Bullen Männlichkeit eher den Penis, dem man gesundheitliche und aphrodisierende Wirkung nachsagt.

Wer auf Fisch steht, könnte beim Hauptgang zum «Surströmming» greifen, einem monatelang vergorenen Salzhering. Der beissend faulige Geruch ist möglicherweise nichts für empfindliche Nasen, aber viele Schweden schwören auf die Delikatesse, die man wegen ihres extremen Gestanks besser im Freien verzehrt.

Dasselbe gilt auch für das vorgeschlagene Dessert, die Durian, auch Stink- oder Kotzfrucht genannt. Das sehen viele Asiaten anders, für sie ist das nach vergorenen Eiern und Ammoniak riechende Tropengewächs die «Königin der Früchte».

Mehr als 90 Lebensmittel aus aller Welt sind im Ekel-Museum zu sehen, von vielen kann an einer «Tasting Bar» eine Nase oder ein Mund voll genommen werden.

Mehr als 90 Lebensmittel aus aller Welt sind im Ekel-Museum zu sehen, von vielen kann an einer «Tasting Bar» eine Nase oder ein Mund voll genommen werden.

Reto Klar / Imago

Mehr als 90 Lebensmittel aus aller Welt sind im Berliner Disgusting Food Museum nahe dem Checkpoint Charly zu sehen, von vielen können Sie an einer «Tasting Bar» eine Nase oder einen Mund voll nehmen. Was zumeist einiges an Überwindung kostet – und was am Ende immer mit einem Aha-Effekt verbunden ist. Nicht selten fragt man sich danach, warum man sich so vor etwas Unbekanntem dermassen geekelt hat.

Probieren und Hinterfragen geht eben über Vorurteile – eines der Anliegen der ungewöhnlichen Institution. «Unser Museum richtet sich an alle Freundinnen und Freunde des schlechten Geschmacks. Sowie an jene, die ihren guten Geschmack auf unterhaltsame Weise hinterfragen wollen», sagt Martin A. Völker, Gründungsdirektor der Sammlung.

Das Berliner Museum ist weltweit das zweite seiner Art und entstand im Frühjahr 2021 nach dem Vorbild des gleichnamigen Museums in Malmö, Schweden, das sich seit 2018 auf die Fahnen geschrieben hat, Essen und Kultur zu verbinden.

Im Disgusting Food Museum gibt es allerhand Essen zum Ekeln oder Darübernachdenken, etwa ziemlich spezielles Dosenfutter.

Im Disgusting Food Museum gibt es allerhand Essen zum Ekeln oder Darübernachdenken, etwa ziemlich spezielles Dosenfutter.

Sabine Gudath / Imago

Vielfältiger Ekel

Essensvorlieben unterscheiden sich weltweit stark voneinander. Was für die einen eine absolute Köstlichkeit, ist für andere einfach nur eklig und – pardon – zum Kotzen. Wobei Ekel überaus facettenreich ist: Formen und Farben können abstossen, der Geruch, der Geschmack, die Konsistenz einer Speise genauso wie die Produktionsbedingungen, die hinter einem Nahrungsmittel stehen.

«Der Ekel ist ein starker erster Eindruck. Manchmal aber auch nur ein notwendiges Vorurteil. Es bewahrt uns vor einer mutmasslichen Gefahr», sagt Martin A. Völker. «Je länger wir uns Dingen aussetzen, die Ekel hervorrufen, desto mehr beginnen wir zu verstehen, warum sie so sein müssen, wie sie sind. Und wie wir uns positiv auf sie beziehen können. Welchen Reiz oder Vorteil sie uns gewähren. Ekel und Ablehnung verwandeln sich in die Bereitschaft, Unbekanntes zuzulassen und zu geniessen. So entstehen durch Ekel Brücken, die kulturell unterschiedliche Menschen verbinden.»

Ekel ist eine grundlegende menschliche Emotion, doch jeder ekelt sich vor anderen Dingen. Wer sich aufmerksam im Museum umschaut, wird schnell merken, wie stark kulturelle, religiöse und regionale Einflüsse unsere Essgewohnheiten und unsere Lebensmittel bestimmen und damit auch, wovor wir uns ekeln. So empört es Mitteleuropäer zutiefst, dass in vielen asiatischen Ländern die bei uns vergötterten «Kuscheltiere» Hund und Katze auf dem Speiseplan stehen. Wir finden es aber normal, Rinder und Schweine zu verzehren.

Wir verabscheuen (zu Recht), dass Gänsen ihr Futter qualvoll eingetrichtert wird, um die insbesondere in Frankreich so beliebte Stopfleber zu erzeugen, greifen aber gern zum Billigfleisch von Tieren, die hierzulande in viel zu engen Ställen gehalten und zum Schlachten tagelang eingepfercht quer durch Europa gekarrt wurden. Wir schwärmen für stinkenden Käse, der ja im Grunde nichts anderes als «vergammelte» Milch ist und manchmal in modrigen, feuchten Kellern reift, lehnen aber «Harkal», eine isländische Spezialität aus dem Fleisch des Grönlandhais, ab, das erst im Erdboden vergraben verrottet und anschliessend luftgetrocknet gegessen wird.

Auf der amerikanischen Pazifikinsel Guam gilt eine Suppe mit Fledermaus als köstlicher Schmaus.

Auf der amerikanischen Pazifikinsel Guam gilt eine Suppe mit Fledermaus als köstlicher Schmaus.

Sabine Gudath / Imago

Als Eintrittsbillett erhalten die Besucher übrigens vorsorglich eine Kotztüte. «Es gibt tatsächlich Leute, die sie benutzen. Bei manchen Speisen sollte man einfach das Kopfkino ausschalten», sagt Amira Assenmacher, Marketingchefin des Museums. Sie steht übrigens auf Bibergeil, einen Schnaps, der seinen besonderen Geschmack durch Castoreum, eine Flüssigkeit aus der Analdrüse von Bibern, erhält, die früher auch zur Herstellung von Vanilleersatz Verwendung fand.

Das Disgusting Food Museum will auch Zukunftsperspektiven aufzeigen. Und fragt: Können veränderte Vorstellungen von Ekel dazu beitragen, dass wir andere Lebensmittel essen, sie anders produzieren, allenfalls sogar nachhaltiger?

Etwa Insekten, die zum Future-Food gehören, aber erst in wenigen Ländern auf dem täglichen Speiseplan stehen. Obwohl sie auch in der Schweiz schon da und dort pur oder verarbeitet auftauchen, sind sie für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten noch mit einem extrem hohen Ekelpotenzial verbunden und werden abgelehnt. Erstaunlicherweise kommen aber Mehlwürmer, Heuschrecken und Co. an der «Tasting Bar» des Museums besonders gut an. Als nussig, angenehm in der Konsistenz und ganz und gar nicht eklig werden sie von den Testern beschrieben. Und ja, so die Rückmeldungen, man könne sie sich gut in verarbeiteten Lebensmitteln oder als proteinhaltigen Snack vorstellen. Man müsse sich nur trauen!

Es heisst, über Geschmack lasse sich nicht streiten: In Südafrika isst man Baumwanzen.

Es heisst, über Geschmack lasse sich nicht streiten: In Südafrika isst man Baumwanzen.

Sabine Gudath / Imago

Wenn Sie Würmer und Krabbeltiere probieren, warum nicht auch einmal die Durian? Die schöne, stachelige Frucht mit ihrem extrem schlechten Ruf und ihrem Duft nach vergorenen Eiern. Ein beherzter Schnitt durch ihr grünliches Stachelkleid gibt nicht nur den besonderen Geruch frei, sondern auch ein gelbliches, puddingartiges Fruchtfleisch. Dieses in den Mund nehmen braucht Überwindung. Doch wenn das geschafft ist, passiert ein geschmackliches Wunder: Angenehm fruchtig, süss-säuerlich mit einem Hauch von Ananas, Lauch und Vanille schmiegt es sich an den Gaumen. Wow! Fazit der Testerin: Die Durian ist so, wie der Autor eines britischen Reiseführers sie einst beschrieb: «Sie stinkt wie die Hölle und schmeckt wie das Himmelreich.»

Disgusting Food Museum, Schützenstrasse 70, Berlin, Nähe U-Bahn-Station Stadtmitte, geöffnet Freitag bis Dienstag, 12 bis 18 Uhr; www.disgustingfoodmuseum.berlin.