Wo sterben nicht genehm ist

Suizidbegleitungen im Wohnquartier – das finden nicht alle unproblematisch. Eine Baselbieter Ärztin weicht nun auf ein Wohnmobil aus. Sie kämpft für die weltweite Legalisierung der Sterbehilfe.

Valerie Zaslawski, Basel
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Suizidbegleitung in einem Basler Wohnquartier wirft Fragen nach der Belastbarkeit der Anwohner auf. (Bild: Imago)

Suizidbegleitung in einem Basler Wohnquartier wirft Fragen nach der Belastbarkeit der Anwohner auf. (Bild: Imago)

Es ist nicht das erste Mal, dass Erika Preisig ein grosses Medienecho auslöst. Seit 2012 begleitet die Baselbieter Ärztin mit ihrer Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit kranke Menschen in den Tod. Sie tut dies in einem Studio an der Hegenheimerstrasse in Basel – noch bis Ende Februar. Dann müssen die Türen des Sterbezimmers geschlossen werden, denn das baselstädtische Bauinspektorat (BI) hatte die Umnutzung für jene Räumlichkeiten Mitte Januar als nicht zonenkonform rechtskräftig abgelehnt. Gegen das von Preisig eingereichte Gesuch waren drei Einsprachen eingegangen, die gutgeheissen wurden.

Der Fall Wetzikon

Als Grund für den negativen Entscheid wird die seelische Belastung der Anwohnerschaft genannt. Preisig wird empfohlen, sich einen Standort im Industriequartier zu suchen. Ausserhalb der Wohnzone stünden die Chancen für ein derartiges Lokal besser, sagt BI-Leiterin Luzia Wigger Stein. Suizidbegleitungen an sich sind in Basel – wie auch in der restlichen Schweiz – erlaubt.

In ihrer Argumentation stützt sich die Basler Behörde auf jene der Zürcher Gemeinde Wetzikon. Diese wollte Suizidbegleitungen im Wohnquartier unterbinden, weil sie für Anwohner eine zu grosse Belastung darstellten. Der Streitfall zwischen der Baukommission und der Sterbehilfeorganisation Dignitas wurde bis ans Bundesgericht weitergezogen, welches Wetzikon 2010 das Recht zusprach, in diesem Fall so zu entscheiden. Das Bundesgericht, als höchste juristische Instanz, hatte damals aber kein Machtwort gesprochen und die Suizidbegleitung in der Wohnzone nicht grundsätzlich verboten. Auch ist der Fall Wetzikon mit jenem in Basel nur bedingt vergleichbar. Dignitas führte dort in einem Wohnquartier, in der Nähe eines Kindergartens, täglich eine derartige Begleitung durch, während Eternal Spirit dies nur im Wochenrhythmus tut.

Wie Preisig erzählt, habe sie über zwei Jahre lang Suizidbegleitungen durchgeführt, ohne dass sich jemand daran gestört habe. Dann aber informierte ein Anwohner die Behörden. Als diese ein Schild mit dem Grund für das nachträgliche Umnutzungsgesuch anbrachten, kam es zu zwei weiteren Einsprachen. «Das Schild vermittelte den Eindruck, es entstehe eine riesige Sterbehilfeklinik», sagt Preisig.

Für den Entscheid des BI hat die Ärztin kein Verständnis: In Wohnquartieren gebe es auch Altersheime, es gebe palliative Einrichtungen wie zum Beispiel das Hospiz im Park in Arlesheim, wo Menschen täglich stürben. «Das akzeptiert man, aber bei uns stört man sich daran.» Bis Preisig ein neues Lokal gefunden hat, weicht sie auf ein Wohnmobil aus. Die Reaktionen ihrer Patienten darauf seien positiv gewesen. Auch habe sie viele Angebote für Liegenschaften – die meisten jedoch in Wohnzonen – erhalten.

Preisig wird den negativen Entscheid des BI nicht anfechten. «Ich möchte in Frieden arbeiten.» Eternal Spirit sei eine Sterbehilfe- und keine Kampforganisation. Eine Sterbehilfeorganisation, die in der Vergangenheit zu Unrecht auf den Radar der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt gelangt war. 2014 spekulierten Medien, Preisig handle aus «selbstsüchtigen Motiven». Ein Verfahren wurde zwar eröffnet, im November 2015 mit Nichtanhandnahme aber wieder abgeschlossen. Dass sie Menschen aus Profitgier in den Tod begleite, stritt Preisig entschieden ab und rechtfertigte den hohen Preis für die Suizidbegleitung ausländischer Patienten – die insgesamt drei Viertel ihrer Patienten ausmachen – mit dem mindestens fünfmal grösseren Aufwand. Die Ärztin ist bereits auf Monate hinaus ausgebucht.

Keine ethische Frage

Preisig wünscht sich eine Welt ohne Sterbetourismus und kämpft mit Inbrunst für die Legalisierung der Sterbehilfe auf der ganzen Welt. «Sterben gehört zum Leben», sagt sie. Um dieses Ziel zu erreichen, gehe Preisig an die Grenzen des Akzeptablen, so die persönliche Meinung von Markus Zimmermann, Mitglied der Nationalen Ethikkommission. Bereits vor mehreren Jahren stand er mit ihr in Kontakt. Wie Zimmermann sagt, ist die Ausübung von Sterbehilfe im Wohnquartier nicht in erster Linie eine ethische Frage, sondern ein Problem der öffentlichen Ordnung. Aus ethischer Sicht sei die Suizidhilfe beispielsweise dann problematisch, wenn die Urteilsfähigkeit einer sterbewilligen Person zweifelhaft sei oder der Sterbewunsch nicht auf seine Beständigkeit hin überprüft wurde. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Suizidhilfe geleistet werden darf, darauf gebe es aus ethischer Sicht unterschiedliche Antworten. Die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften fordern, dass ein Patient am Lebensende stehen und der Sterbewunsch konsistent sein müsse. Ausserdem müsse stets eine Zweitmeinung eingeholt werden. Diese Standesregeln werden indes nicht von allen befolgt.