Der Ständerat will die Schweizer Rüstungsindustrie retten

Die Kleine Kammer hat eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes angenommen. Damit würde der Bundesrat mehr Handlungsfreiheit in ausserordentlichen Lagen erhalten.

Georg Häsler, Bern 3 min
Drucken
Die Schweizer Rüstungsindustrie geriet in den vergangenen Monaten in eine existenzielle Krise.

Die Schweizer Rüstungsindustrie geriet in den vergangenen Monaten in eine existenzielle Krise.

Adrien Perritaz / Keystone

Es gibt voraussichtlich keinen Kriegsmaterial-Kompromiss, sondern eine sanfte Korrektur einer zu radikalen Korrektur aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg. Der Ständerat hat am Donnerstag als Erstrat einer Motion seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SIK) zugestimmt, die dem Bundesrat beim Export von Schweizer Rüstungsgütern wieder eine gewisse Handlungsfreiheit zurückgeben will.

Mit der Korrekturinitiative im Nacken verschärfte das Parlament vor zwei Jahren das Kriegsmaterialgesetz (KMG) derart, dass es keine Ausnahmen mehr gibt: Waffen und Munition aus der Schweiz dürfen unter keinen Umständen mehr in kriegführende Staaten oder Länder mit einem internen Konflikt ausgeführt werden können.

Nun soll das Kriegsmaterialgesetz wieder um einen Passus ergänzt werden, der es dem Bundesrat in zwei Fällen erlaubt, von dieser bisher absolut formulierten Restriktion abzuweichen: entweder unter ausserordentlichen Umständen oder zur Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes.

Konkret bedeutet dies: Der Bundesrat könnte es der Firma Mowag in Kreuzlingen erlauben, dem Nato-Land Dänemark weiterhin Eagle-Aufklärungsfahrzeuge zu liefern, falls der Bündnisfall nach Artikel 5 des Atlantikpakts ausgerufen würde. Dann befinden sich alle Mitgliedstaaten im Kriegszustand, auch wenn unter Umständen gar keine Kampfhandlungen ausbrechen.

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Schwäche des bisherigen Gesetzes in aller Schonungslosigkeit offenbart. Der Bundesrat musste sämtliche Gesuche nach Schweizer Kriegsmaterial für die ukrainische Armee ablehnen: Deutschland konnte 12 400 Schuss 35-mm-Munition für den Fliegerabwehrpanzer Gepard nicht liefern, Dänemark keine Piranha-Radschützenpanzer.

Plötzlich realisierte das Parlament, dass dieses Schönwetter-Gesetz von der falschen Annahme ausging, dass Kriege weit weg stattfinden. Es sollte vor allem verhindert werden, dass Schweizer Kriegsmaterial in einem Bürgerkrieg zum Einsatz kommt – etwa Handgranaten in Libyen oder in Syrien.

Komplizierte Kompromisse

Monatelang feilschte das Parlament um einen Kompromiss, solche Wiederausfuhren doch möglich zu machen. Ein erster, relativ simpler Vorstossvon FDP-Präsident Thierry Burkart scheiterte am ideologischen Widerstand von links und rechts. Die SP und die Grünen wollten keinesfalls die Rahmenbedingungen der Schweizer Rüstungsindustrie verbessern, die SVP beharrte auf einer harten Anwendung des Neutralitätsrechts.

In der SIK Nationalrat versuchten schliesslich die Sicherheitspolitikerinnen von FDP bis SP über alle Gräben hinweg, eine mehrheitsfähige Vorlage zu entwerfen. Das Kernstück dieser parlamentarischen Initiative ist ein Rückgriff auf das uniting for peace, ein Verfahren der Uno, das bei einer Blockade im Sicherheitsrat zur Anwendung kommt. Falls zwei Drittel der Generalversammlung einen Konflikt als Angriffskrieg gegen die Uno-Charta anerkennen, könnte die Schweiz eine Weitergabe von Rüstungsgütern bewilligen.

Existenz der Rüstungsindustrie

Die Vorlage ist zwar gut gemeint, aber viel zu kompliziert und praktisch nur auf den Ukrainekrieg anwendbar. Deshalb versucht der Ständerat nun, das Problem an der Wurzel zu packen. Dagegen wehrte sich Links-Grün, allen voran der Zürcher SP-Vertreter Daniel Jositsch: «Mit einem Wort wie ‹ausserordentlich› begründe ich ihnen als Jurist alles», sagte er in der Debatte: «Sie könnten auch schreiben: Wenn der Bundesrat Lust hat.»

Werner Salzmann, SVP-Ständerat und SIK-Präsident, konterte grundsätzlich. «Wenn Sie die Milizarmee abschaffen wollen, dann schauen Sie, dass die Leute nicht mehr kommen, dass Sie das Geld abstellen und dass Sie die Rüstungsindustrie zerstören.»

Tatsächlich geriet die Schweizer Rüstungsindustrie in den vergangenen Monaten in eine existenzielle Krise. Die harte Haltung des Bundesrats und die restriktive Rechtslage schwächten ihre Position im Markt nachhaltig. Die Niederlande und auch Lettland begannen laut darüber nachzudenken, kein Schweizer Kriegsmaterial mehr zu kaufen.

Der SVP, der FDP und der Mitte-Partei ist es nun gelungen, die Interessen der Rüstungsindustrie und damit der schweizerischen Landesverteidigung über die moralischen und parteipolitischen Parolen zu stellen. Nach den Wahlen ist das Geschäft im Nationalrat.

Weitere Themen