Pfusch im Parlament: Ausländische Ärzte können nie mehr in einen anderen Kanton wechseln

Eine Gesetzesreform sollte verhindern, dass deutsche oder französische Spezialisten in die Schweiz strömen und teure Praxen eröffnen. Doch die Regelung hat Nebenwirkungen, an die niemand gedacht hat.

Simon Hehli 4 min
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Einfach in einem anderen Kanton operieren: Das geht für ausländische Spezialärzte nicht, auch wenn sie schon lange in der Schweiz praktizieren.

Einfach in einem anderen Kanton operieren: Das geht für ausländische Spezialärzte nicht, auch wenn sie schon lange in der Schweiz praktizieren.

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Wenn sich Patienten im Chirurgiezentrum Solothurn die Hand operieren liessen, sorgte jahrelang Michael Preuss für die Narkose. Er ist auch weiterhin auf der Website der Praxis zu finden. Aber als Anästhesist dort tätig sein darf Preuss nicht mehr. Denn es gibt da zwei Probleme: Preuss ist Deutscher. Und er hat eine Zulassung für den Kanton Aargau. Er ist in Holziken in einer Praxis angestellt, die ambulante Anästhesisten zu Chirurgen wie jenen in Solothurn schickt.

Preuss ist zum Opfer einer Gesetzesänderung geworden. Seit dem 1. Januar 2022 gilt die Zulassungssteuerung, die verhindern soll, dass ausländische Ärzte in die Schweiz strömen und mit neu eröffneten Praxen die Kosten noch weiter in die Höhe treiben. Deshalb dürfen nur noch ausländische Ärzte über die Krankenkasse abrechnen, die mindestens drei Jahre an einem Schweizer Spital tätig waren, das als Weiterbildungsstätte anerkannt ist.

Preuss arbeitet zwar schon seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz, aber die Bedingung mit der Spitalerfahrung erfüllt er nicht. Das bedeutet für ihn, dass er zwar problemlos im Aargau tätig bleiben kann – aber in keinem anderen Kanton die Zulassung zur Krankenkassenabrechnung erhält, sofern er sich nicht zuvor nochmals drei Jahre an einem Schweizer Spital anstellen lässt. Vor das gleiche Problem sehen sich zahlreiche ausländische Ärzte gestellt, die schon länger in der Schweiz arbeiten, nun aber in einen anderen Kanton wechseln möchten. Etwa, um dort eine Praxis zu übernehmen.

Gesetzgeberisches Versagen

Den Passus mit den drei Jahren hat der Nationalrat ins Gesetz geschrieben. Der Bundesrat wollte weniger weit gehen: Die ausländischen Ärzte sollten lediglich einen Nachweis erbringen müssen, dass sie über die notwendigen Kenntnisse des schweizerischen Gesundheitssystems verfügen – etwa mit einer Prüfung. Gross zu reden gaben die Drei-Jahres-Regel und ihre möglichen Konsequenzen weder im Nationalrat noch im Ständerat.

«Das war ein Fehler von uns, wir haben das schlicht nicht bedacht», sagt heute die mittlerweile zurückgetretene Mitte-Politikerin Ruth Humbel, die das Geschäft mitgeprägt hat. «Wir sind davon ausgegangen, dass ein ausländischer Arzt, der in einem Kanton die qualitativen Anforderungen erfüllt, dies natürlich auch in jedem anderen Kanton tut.» Wie Humbel einräumt, handelt es sich um einen Fall von gesetzgeberischem Versagen.

Dass sie gepfuscht hatten, merkten die Parlamentarier rasch. Diverse Kantone beklagten sich über die rigide Regelung: Sie führe zu einer unzureichenden medizinischen Versorgung im Bereich der ambulanten Grundversorgung. Insbesondere in den Randregionen sei es für Ärzte kurz vor der Pensionierung schwierig, eine Praxisnachfolge zu finden, wenn ein Teil der ausländischen Mediziner als Kandidaten wegfalle.

Berset zuckte mit den Schultern

Wenige Monate nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften musste die Gesundheitskommission des Nationalrates deshalb nachputzen: Sie legte eine überarbeitete Version des Gesetzes vor, gemäss der die Kantone Grundversorger von der Drei-Jahres-Regel ausnehmen können, also Hausärzte, Kinderärztinnen und Kinderpsychiater. Im vergangenen Frühling stimmte das Parlament dieser neuen Ausführung zu, mit sofortiger Wirkung.

Einem Anästhesisten wie Michael Preuss und anderen Spezialmedizinern nützt dies allerdings nichts. Als Ruth Humbel von Alain Berset in einer Fragestunde wissen wollte, ob die Drei-Jahres-Regel wirklich gelte, zuckte der Gesundheitsminister mit den Schultern und verwies auf den Gesetzestext. «Ja, ich glaube, es ist wirklich so gemeint und wird im Moment so umgesetzt.»

Die Arbeitgeber von Preuss setzten alle Hebel in Bewegung, damit er doch noch in Solothurn arbeiten darf. Die beiden Leiter des Chirurgenzentrums und der Leiter der Aargauer Anästhesistenpraxis schrieben gemeinsam einen Brief an das Solothurner Gesundheitsamt und betonten, wie dringend sie auf Preuss’ Dienste angewiesen seien. Weil ein starker Fachkräftemangel in der Anästhesie herrsche, sei es nicht gelungen, einen Ersatz für den Deutschen zu finden.

An rund 30 Prozent der Operationstage stehe 2024 deshalb kein Anästhesist zur Verfügung, und die ambulanten Eingriffe müssten verschoben werden. Oder, noch schlimmer, sie fänden im Spital statt – mit entsprechend höheren Kosten. Angesichts dieser Umstände bitten die Praxisbetreiber das Amt, für Preuss eine Ausnahmebewilligung zu erteilen.

Kanton wünscht Nachbesserung

Doch die Solothurner Behörden argumentieren, ihnen seien wegen des Bundesgesetzes die Hände gebunden. Amanda Brotschi, Leiterin Gesundheitsversorgung, lässt auf Anfrage durchblicken, dass sie die heutige Regelung für nicht optimal hält: «Es wäre wünschenswert, wenn die Kantone bei einer Unterversorgung in bestimmten Fachgebieten mehr Spielraum für Ausnahmen hätten, als dies heute der Fall ist.» So dass ein ausländischer Arzt mit langjähriger Berufserfahrung in der Schweiz «im Falle eines unterversorgten Fachgebietes eine Zulassung erwerben könnte, um im entsprechenden Kanton die medizinische Versorgung zu sichern».

Ob vom nationalen Parlament bald Hilfe kommt, ist allerdings fraglich. Der Ständerat hätte im März die Möglichkeit gehabt, auch für Spezialisten Ausnahmen zu erlauben. Doch er lehnte einen entsprechenden Antrag des jurassischen Mitte-Politikers Charles Juillard deutlich ab.