Interview

«Wir kennen leider die Informanten des FBI nicht»

Der überprüfbare Inhalt eines bis dahin unbekannten FBI-Dokuments decke sich mit seiner langjährigen Forschung – deshalb erachtet es der deutsche Terrorexperte Wolfgang Kraushaar für glaubhaft.

Marc Tribelhorn
Drucken
«Ein singuläres Dokument, das man ernst nehmen muss»: Politikwissenschafter Wolfgang Kraushaar in seinem Büro. (Bild: Valeska Achenbach)

«Ein singuläres Dokument, das man ernst nehmen muss»: Politikwissenschafter Wolfgang Kraushaar in seinem Büro. (Bild: Valeska Achenbach)

Herr Kraushaar, laut einem bisher unbekannten FBI-Bericht wurden die palästinensischen Terroristen, die für den Absturz der Swissair-Maschine in Würenlingen von 1970 verantwortlich sind, von zwei Deutschen unterstützt. Wie schätzen Sie diesen Archivfund ein?

Es ist ein singuläres Dokument, das man ernst nehmen muss, auch wenn es dem bisherigen Kenntnisstand widerspricht. Offenbar verfügte der amerikanische Inlandgeheimdienst FBI über brisante Informationen zu den Anschlägen, die seinerzeit weder den bundesdeutschen noch den Schweizer Ermittlern bekannt waren – und zwar aus dem Innern der palästinensischen Terrorgruppe PFLP/General Command (PFLP/GC). Interessanterweise ging das FBI davon aus, dass es sich bei den geschilderten Vorgängen um gesicherte Tatsachen und nicht einfach nur um Gerüchte oder Behauptungen handelte, wie sie nur zu oft unter Geheimdiensten kursieren.

Der Bericht ist also glaubhaft?

Wir kennen leider die Informanten des FBI nicht, das macht insbesondere die Überprüfung der Aussagen über die beiden «unidentified West Germans» natürlich schwierig. Doch allein die Tatsache, dass das FBI im Bericht keinerlei Zweifel daran vermerkt hat, lässt aufhorchen. Zudem sind die übrigen Informationen, die sich in dieser offenbar zur heimischen Terrorabwehr verfassten Synthese finden und sich allgemein auf ein Profil palästinensischer Terroristen beziehen, durchaus akkurat. Sie decken sich jedenfalls mit den Ergebnissen meiner langjährigen Forschung zu den Fedayin, ihren Netzwerken und den verübten Anschlägen. Insbesondere die Feststellung, dass die Generalunion Palästinensischer Studenten, kurz GUPS genannt, eine der Schlüsselgruppen für die Untergrundarbeit in der Bundesrepublik Deutschland gewesen sei, halte ich für stichhaltig.

«Am spektakulärsten ist die Nennung der beiden nicht identifizierten Deutschen.»

Wie kann es sein, dass die unmittelbar betroffenen Länder Deutschland und die Schweiz nichts davon wussten?

Das ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Beide Länder trieben die Untersuchung der beiden Anschläge auf die Flugzeuge der Swissair und der Austrian Airlines energisch voran. Sie versuchten auch, über befreundete Geheimdienste an weitere Informationen zu gelangen. Davon zeugen die Unmengen an Akten, die damals angelegt wurden und von denen heute sehr viele zugänglich sind. Aber vielleicht gibt es in den Archiven der Geheimdienste ja noch Hinweise, die uns bisher nicht bekannt sind.

Stützt sich der FBI-Bericht auf Erkenntnisse der CIA?

Das ist wahrscheinlich. Denn es gab in Deutschland eine ganze Reihe von CIA-Dépendancen, die dafür infrage kämen und von denen einige damals bereits bekannt waren. Eingeflossen in den Bericht sind möglicherweise aber auch Informationen von anderen Diensten, wie etwa dem deutschen Bundesnachrichtendienst und dem israelischen Mossad.

Was hat Sie am meisten frappiert?

Befunde, die quer zu den deutschen und schweizerischen Ermittlungsakten stehen – etwa die Aussage, eine der beiden Paketbomben sei gar nicht in München, sondern in Zürich aufgegeben worden. Die Ermittler fragten sich ja 1970, weshalb die mit einem Höhenmesser versehene Bombe erst auf dem Flug von Zürich nach Tel Aviv explodiert ist und nicht bereits zuvor auf dem Weg von München nach Zürich. Man ging nach längeren Abklärungen davon aus, dass auf dem Zwischenflug die für die Zündung kritische Höhe nicht überflogen worden war. Am spektakulärsten ist indes die Nennung der beiden nicht identifizierten «Westdeutschen».

Um wen könnte es sich dabei handeln?

Hier tappen wir noch im Dunkeln, aber es gibt im FBI-Bericht immerhin zwei Konkretisierungen, die den dafür infrage kommenden Personenkreis einschränken: So sollen die beiden Deutschen im September oder Oktober 1969 das Hauptquartier der PFLP in Amman besucht haben. Einer von ihnen sei zudem Elektroingenieur gewesen. Mir sind zwei Gruppen bekannt, die damals in Jordanien waren. Einerseits rund drei Dutzend Mitglieder aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), die in einem Camp zum Teil auch an Waffen und Sprengstoff ausgebildet wurden. Unter ihnen befanden sich Studierende von technischen Hochschulen. Die SDS-Mitglieder waren Teil einer internationalen Gruppe, von denen die letzten allerdings schon Anfang August in ihre Heimatländer zurückgekehrt sein sollen. Zum anderen denkt man schnell auch an jene fünfköpfige Gruppe um Dieter Kunzelmann, die nach ihrer Ausbildung bei der Fatah die terroristischen Tupamaros West-Berlin gründete. Doch von ihnen hatte niemand eine Ingenieursausbildung.

Es wurden aber auch Rechtsextreme in den palästinensischen Camps für den Kampf gegen Israel ausgebildet . . .

. . . das stimmt in der Tat. Auch deutsche Rechtsradikale haben sich bereits zu dieser Zeit dort aufgehalten. Die Palästinenser scheinen damit kein Problem gehabt zu haben, ob jemand links- oder rechtsextrem war. Hauptsache, sie kämpften mit ihnen gegen Israel. Die Reisebewegungen von Rechtsradikalen im fraglichen Zeitraum habe ich aber nicht speziell erforscht.

«Israel verfügte offensichtlich über hervorragende Informationen zu Sufian Kaddoumi.»

Was halten Sie von der Hypothese, es habe sich bei den beiden Westdeutschen um israelische Agenten gehandelt?

Diese Schlussfolgerung erscheint mir abenteuerlich. Laut FBI-Bericht äusserte der Hauptattentäter, also Sufian Kaddoumi, diese Vermutung. Demnach soll die PFLP/GC vom Mossad unterwandert gewesen sein. Ich halte diese Äusserung aber für eine reine Schutzbehauptung Kaddoumis. In anderer Hinsicht gibt es allerdings auch einige Ungereimtheiten.

Zum Beispiel?

Ganz offensichtlich verfügte Israel über hervorragende Informationen zu Sufian Kaddoumi. Dafür gibt es viele Indizien. Nach den Paketbomben-Anschlägen erhielt das Bundeskriminalamt von der israelischen Botschaft in Bonn beispielsweise umgehend ein Fahndungsfoto und weitere personenbezogene Hinweise. Zudem: Warum sind die Paketbomben nicht wie geplant in El-Al-Flugzeugen explodiert? Eine der anvisierten Maschinen nahm damals auf einmal keine Luftpost mit an Bord, die andere fiel kurzfristig aus. Beides ohne plausible Erklärung. Das führte dazu, dass die Bomben in die Fracht-Zonen zweier europäischer Airlines gelangten.

Das klingt stark nach Verschwörungstheorie.

Sorry, das sind nichts anderes als Fakten, öffentlich zugänglich und von jedermann überprüfbar. Ihr Vorwurf trifft eher die am Ende des FBI-Dokuments wiedergegebene Behauptung Kaddoumis, die beiden ominösen Deutschen seien Mossad-Agenten und sie hätten die Anschläge lediglich aus dem Grund verübt, um die Fedayin blosszustellen. Das ist doch an den Haaren herbeigezogen. Aber im Gegensatz dazu bin ich mir ziemlich sicher, dass die Israeli wussten, was am 21. Februar 1970 geplant war, und sie dann alles taten, um einen Anschlag auf ihre zwei El-Al-Maschinen zu verhindern.

Weshalb wurden die anderen Fluggesellschaften nicht informiert, wenn es Anhaltspunkte für einen Anschlag gab?

Darüber kann man nur spekulieren. Es existiert aber ein interessanter Hinweis. Ein El-Al-Pilot, der den Überfall einer palästinensischen Kommandogruppe kurz zuvor schwer verletzt überlebt hatte, sagte einen Tag nach dem Absturz der Swissair-Maschine in Würenlingen gegenüber dem Schweizer Fernsehen: Das schreckliche Unglück sei einerseits zwar ein Schock, andererseits aber auch eine Lehre für die europäischen Fluggesellschaften gewesen, die nicht mit Israel in der Terrorabwehr hätten kooperieren wollen. Israel fühlte sich in der Tat bereits seit längerem von den westlichen Partnern im Stich gelassen. Dass der Mossad die Anschläge aber wissentlich zuliess, lässt sich nicht belegen und ist zumindest in einer Hinsicht auch nicht plausibel: Auf dem Swissair-Flug nach Tel Aviv befanden sich zahlreiche israelische Staatsangehörige, unter ihnen auch jüdische Holocaust-Überlebende.

Mehr zum Thema