Ein sri-lankischer Spitzenbeamter soll in die Schweiz geflüchtet sein

Der Polizeiinspektor Nishantha Silva hat nach Morddrohungen die südasiatische Inselrepublik verlassen. Er führte Untersuchungen gegen die Präsidentenfamilie.

Marco Kauffmann Bossart, Mumbai
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Zurück an der Macht: Der sri-lankische Präsident Gotabaya Rajapaksa (rechts) und sein Bruder Mahinda, der neu als Premierminister amtiert. (Bild: Eranga Jayawardena / AP)

Zurück an der Macht: Der sri-lankische Präsident Gotabaya Rajapaksa (rechts) und sein Bruder Mahinda, der neu als Premierminister amtiert. (Bild: Eranga Jayawardena / AP)

Eine Woche nach der Wahl von Gotabaya Rajapaksa zum Staatschef Sri Lankas hat sich ein hoher Beamter, der gegen den mächtigen Politikerclan der Rajapaksas ermittelte, laut Medienberichten zur Flucht entschlossen. Nishantha Silva soll am Sonntag das Land verlassen haben und sich in der Schweiz um Asyl bemühen. Im sogenannten Criminal Investigations Department untersuchte Silva Korruptionsfälle und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die bis zur Präsidentschaft von Gotabayas älterem Bruder Mahinda (2005 bis 2015) zurückreichen. Der jetzige Präsident Gotabaya führte damals als Spitzenbeamter das Verteidigungsministerium und kommandierte bis 2009 den Vernichtungsfeldzug gegen die tamilische Extremistenorganisation LTTE. Gotabaya hat seinen Bruder vor kurzem zum Premierminister ernannt.

Ein unbequemer Inspektor

Während des ersten Rajapaksa-Regimes wurden zahlreiche Journalisten getötet und Regierungskritiker verschleppt; viele bleiben bis heute verschollen. Polizeiinspektor Silva ermittelte unter anderem im Fall des 2009 verschwundenen Cartoonisten und Menschenrechtsaktivisten Prageeth Eknaligoda. Er hat auch Militärangehörige befragt, die elf Jugendliche entführt und von den Angehörigen Lösegeld erpresst haben sollen. Dennoch wurden die Gekidnappten getötet. In einigen Verfahren haben Zeugen direkt Mitglieder der Familie Rajapaksa belastet, insbesondere Gotabaya: Er soll Geheimdienstleute instruiert haben, unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der Mitte November gewählte Präsident hat die Vorwürfe stets bestritten. Ins Visier der Untersuchungsbehörden geriet Gotabaya auch wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften.

Aus dem Umfeld der Rajapaksas wird Silva politisch motivierte Einseitigkeit angelastet. Silva hat jedoch auch Kriegsgreuel der LTTE untersucht. In Fachkreisen gilt der flüchtige Spitzenbeamte als integer und kompetent. Sri-lankische Medien berichten, Silva habe nach dem Machtwechsel vom 26. November Todesdrohungen erhalten. Dennoch zogen die Behörden seine Leibwächter ab.

Dass eine Rückkehr des Rajapaksa-Clans den mutigen Ermittler in Schwierigkeiten bringen könnte, hatte sich bereits 2018 abgezeichnet. In einem staatsstreichartigen Manöver hatte Präsident Sirisena den damaligen Oppositionsführer Mahinda Rajapaksa zum Regierungschef ernannt. In einer seiner ersten Amtshandlungen setzte Rajapaksa den Inspektor ab. Erst nach der Wiederherstellung der verfassungsmässigen Ordnung konnte Silva seine Arbeit weiterführen.

Sri Lanka verstärkt Kontrollen an Flughäfen

Ob Nishantha Silva und seine Familie tatsächlich in der Schweiz weilen und ein Asylgesuch vorliegt, liess sich am Dienstag nicht zweifelsfrei bestätigen. Aus dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten hiess es lediglich, aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen mache die Schweiz keine Angaben über die Erteilung von Einreisebewilligungen. Wenn eine Person die Bedingungen erfülle, die eine Einreise in die Schweiz beziehungsweise in den Schengen-Raum erlaubten, werde in der Regel ein Visum erteilt. In Colombo teilte die Polizei mit, Silva hätte sich aufgrund seines Amtes nur mit einer Bewilligung ausser Landes begeben dürfen. Inzwischen sind die Kontrollen an den Flughäfen verschärft worden.