Ueli Maurer bekräftigt seine Kritik an der Corona-Politik: «Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte»

Der frühere SVP-Bundesrat musste viel Kritik einstecken wegen seiner provokativen Aussagen zur Pandemie oder zur Impfung. Nun legt er noch einen drauf.

Simon Hehli 5 min
Drucken
In der Regierung immer ein Aussenseiter: Ueli Maurer beim Bundesratsreisli 2021.

In der Regierung immer ein Aussenseiter: Ueli Maurer beim Bundesratsreisli 2021.

Laurent Gillieron / Keystone

Ueli Maurer werde, befreit von den Zwängen bundesrätlicher Kollegialität, immer radikaler. Das schrieb die «NZZ am Sonntag» vor zwei Wochen – und führte zahlreiche Beispiele von provokativen Aussagen Maurers zur Schweizer Corona-Politik an. Im Gespräch mit dem früheren «Weltwoche»-Journalisten und SVP-Politiker Philipp Gut auf dem Internetsender «Hoch2.tv» bezeichnete der Alt-Bundesrat die Pandemie als «Hysterie», die bewusst geschürt worden sei. Und als «Massenhypnose». Es sei von Anfang an klar gewesen, dass das Virus nicht so schlimm habe sein können, wie man das dargestellt habe.

Auch zur Impfung äusserte sich Maurer sehr kritisch: «Wir haben vorgegaukelt, wir hätten Impfstoffe, die absolut nützlich seien. Und jetzt stellen wir fest: Das ist sehr viel heisse Luft. Mehr heisse Luft als Inhalt.» Politische Gegner reagierten empört. Die damaligen Entscheide des Bundesrates derart radikal infrage zu stellen, sei eines Alt-Bundesrates unwürdig, sagte die SP-Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi. Und ein Soziologe analysierte: In den Aussagen von Maurer fänden sich «gezielt gesetzte Versatzstücke vieler verschwörungstheoretischer Erzählmuster».

Nun erklärt sich Ueli Maurer in einem Interview in der «Sonntags-Zeitung». Manche Aussagen mildert er zwar etwas ab. Doch von seiner dezidierten Kritik an der Corona-Politik rückt er nicht ab. Er habe dazu nur gesagt, was er schon immer gesagt habe. «Dass dies für so viel Wirbel sorgte, hat mich erstaunt.» Natürlich habe es sich bei der Pandemie um eine «Hysterie» gehandelt, und zwar weltweit.

In der «Hypnose» gefangen

Maurer räumt zwar ein, dass tatsächlich viele ältere Menschen und Infizierte mit Vorerkrankungen gestorben seien. Doch man hätte sich laut Maurer darauf beschränken müssen, diese Risikogruppen zu schützen, statt alles lahmzulegen. «Klar, im Nachhinein ist man immer schlauer, aber damals wurde jeder, der etwas in diese Richtung sagte, als verantwortungsloser Spinner hingestellt. Das meine ich mit Massenhypnose.»

«Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte, der ‹Tote in Kauf nimmt›», sagt Maurer. Aus dieser «Hypnose» sei man nicht mehr herausgekommen – selbst dann nicht, als sich herausgestellt habe, dass die Pandemie gar nicht so tödlich gewesen sei wie befürchtet, zumindest für junge und gesunde Menschen.

Maurer zeichnet von sich das Bild eines Mahners, auf den im Bundesrat niemand gehört hat. Der Trend sei unglaublich stark gewesen: zu immer noch mehr und noch stärkeren Massnahmen. «Dies umzukehren, war unmöglich. Ich musste mich darauf beschränken, das Schlimmste zu verhindern.» Maurer sagt, es sei für ihn ebenso faszinierend wie beängstigend gewesen, zu sehen, wie so eine Dynamik entstehe, bei der schon eine kritische Frage reiche, um als böse zu gelten. Ähnliches sei auch beim Ukraine-Krieg geschehen.

Impfschäden als Problem?

Maurer wehrt sich dagegen, wegen seiner Kritik als genereller Impfgegner hingestellt zu werden. Impfungen gegen Starrkrampf oder Kinderlähmung seien völlig unbestritten. Wenn ein Impfstoff hingegen so schnell entwickelt und zugelassen werde wie jener gegen Covid-19, so sei eine gewisse Skepsis angebracht. Maurer ist nach wie vor der Meinung, man hätte die Impfempfehlung auf Risikogruppen beschränken müssen. Er sei zudem überzeugt, dass man sich in den nächsten Jahren zunehmend mit Impfschäden werde beschäftigen müssen.

Dass seine Aussagen vor zwei Wochen einen derartigen Wirbel auslösten, erklärt sich der SVP-Mann mit dem «zuverlässigen Anti-Maurer-Reflex» in den Medien. «Privat erhalte ich sehr viel Zustimmung, auch von Ärzten und Wissenschaftern.» Doch ihm gehe es um etwas anderes: Dass man eine ganze Gesellschaft manipulieren könne, wie das während der Pandemie passiert sei, sei gefährlich.

Maurer nimmt die Kritik auf, er bereite Verschwörungstheoretikern den Boden – und dreht das Argument um: «Die Vorgänge während Corona waren Wasser auf die Mühlen all jener, die das Vertrauen verloren haben und nicht mehr an den Staat glauben. Die Folgen spüren wir nun durch die zunehmende Anzahl an Staatsverweigerern oder die Verschwörungstheorien, zum Beispiel, dass das WEF oder Bill Gates schuld an allem seien und die Weltherrschaft anstrebten.»

Maurer fordert, dass man diese Leute zurückholen müsse, sonst würden sie zu Extremisten. Daran werde die Schweiz noch eine ganze Weile zu beissen haben. «Doch der Staat hat es nicht einmal geschafft, einzugestehen, dass er bei der Ausgrenzung zu weit gegangen ist. Das wäre das Mindeste, was man tun müsste.»

Der Weg zum «Nanny-Staat»

Als Finanzminister war Maurer verantwortlich für die Kredite an Unternehmen, die wegen Corona in Schwierigkeiten gerieten. Obwohl auch Betrüger sich die Kredite sicherten und der Bund mit Ausfällen von 1,7 Milliarden rechnet, sieht der Alt-Bundesrat keine eigenen Fehler. Diese habe das Parlament begangen, indem es mit beiden Händen À-fonds-perdu-Gelder verteilt habe. «Dies führte dazu, dass viele, die zuvor einen rückzahlbaren Kredit aufnahmen, dachten: ‹Wenn die das Geld nicht zurückzahlen müssen, so tu ich es auch nicht.›»

Corona hat aus Maurers Sicht die Verwandlung der Schweiz von einem Land, in dem die Eigenverantwortung ein zentraler Wert ist, in einen «Nanny-Staat» verstärkt. Der Staat könne nicht für alles die Verantwortung übernehmen. Er könne auch nicht alle vor dem Tod schützen. «Doch genau das war der Anspruch, auch bezüglich der Firmen. Selbst marode Betriebe durften nicht in Konkurs gehen.» So sei es für Beizen zum Teil lukrativer gewesen, den Laden zu schliessen und Corona-Gelder zu kassieren, als zu öffnen und einen Lieferservice einzurichten.

CS-UBS-Deal als bestmögliche Variante

Maurer äussert sich auch zum Niedergang der CS, den er als Finanzminister nicht verhindern konnte. Er hält es weiterhin für richtig, dass der Staat erst später eingegriffen hat. Man müsse sich vorstellen, was eine vorübergehende Verstaatlichung bedeutet hätte: «Dass der Staat plötzlich eine weltweit tätige Bank führen muss, die überall Dreck am Stecken hat und in Rechtsfälle verwickelt ist. Wie soll das gehen? Wer sollte eine solche Bank führen? Ich, jemand aus dem Bundesrat, der Kanzler? Das wäre nicht gut gekommen.»

Die Übernahme der CS durch die UBS, die seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter aufgegleist hat, war für Maurer die bestmögliche Variante. «Es ist eine eigenständige Lösung, der Schaden für Wirtschaft und Staat ist minimal, es bestand nie die Gefahr, dass die CS beziehungsweise die UBS die staatlichen Kredite nicht zurückzahlen kann.» Dass es besser gewesen wäre, die CS in dieser Situation und mit dieser Vorgeschichte durch alle Böden als eigenständige Bank zu erhalten, bezweifelt er.

Maurer ist 73-jährig. Doch der frühere Präsident der SVP zeigt keine Lust, in aller Ruhe die Rente zu geniessen und – wie andere frühere Bundesräte – der Maxime «servir et disparaître» zu folgen. Er erklärt bereits, gegen «einen möglichen schlechten Rahmenvertrag» an vorderster Front kämpfen zu wollen.